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Sprecht uns wegen Festivals nicht unser Umweltbewusstsein ab
„Ihr demonstriert bei Fridays for Future und wählt die Grünen, lasst aber nach dem Festival euer Zelt stehen! Ihr doppelmoralischen Blender!“ So in etwa argumentierte nach dem Festival Rock im Park die Bild-Zeitung. Tatsächlich gab es wie jedes Jahr nach dem Festival das gleiche Problem: Das Gelände sah aus wie ein Schlachtfeld. Tonnen von Müll wurden einfach stehen gelassen – zerrissene Pavillons, kaputte Zelte und Müllsäcke voll mit Bierdosen und Plastikbesteck. Aber heißt das automisch, dass das Umweltbewusstsein der jungen Generation heuchlerisch ist?
Zunächst mal: Umweltverschmutzung und unnötiges Verursachen von Müll ist immer schlecht. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass Menschen nach Festivals einfach ihr Zelt und ihren Pavillon auf einer Wiese stehen lassen. Wer Müll verursacht, muss ihn danach wieder aufräumen. Und auch auf Festivals kann man sich nachhaltig verhalten: normales Besteck einpacken, Pfand wieder mit heim nehmen oder von vornherein unverpackte Lebensmittel mitbringen.
Und trotzdem glaube ich, dass es für das wenig nachhaltige Verhalten meiner Generation einen Grund gibt: Festivals sind immer ein Ausnahmezustand. Einer der letzten Orte, an denen wir uns bewusst unbewusst verhalten können. Denn im Alltag ist das Umweltbewusstsein völlig in unseren Köpfen drin: Coffee-To-Go Becher sind uncool und Secondhand-Klamotten cool. Auf einem Festival lassen wir das für ein Wochenende hinter uns und pfeifen auf nachhaltiges Bewusstsein. Was ja okay wäre – wenn wir danach wieder aufräumen würden. Marc Bilabel von der Green Music Initiative schätzt allerdings, dass nach Festivals in Deutschland ein Drittel der Zelte einfach stehen bleibt und entsorgt werden muss. Das sind zu viele. Aber: Wer gar keinen Müll produzieren will, müsste Festivals komplett verbieten. Und das kann auch niemand wollen.
Aus unserem Verhalten auf Festivals ließe sich einiges für die große Politik lernen
„Wer die Umwelt schützt, muss kein Heiliger sein“, hat Boris Palmer, der Bürgermeister von Tübingen, der sich auch als Hilfssheriff der Stadt versteht, der Bild als Reaktion auf die Müllproblematik bei Festivals gesagt. Damit hat er ausnahmsweise mal Recht. Sich an einem Wochenende nicht nachhaltig zu verhalten, widerspricht nicht den großen Zielen meiner Generation: dem Kohle- und Atomausstieg und einer C02-Steuer. Tatsächlich ließe sich aus unserem Verhalten auf Festivals sogar einiges für die große Politik lernen: Nämlich, dass Menschen Rahmen gesetzt werden müssen, damit sie sich richtig verhalten. Der Staat muss dafür sorgen, dass Klimaziele erreicht werden und Festivals müssen dafür sorgen, dass sie so nachhaltig wie möglich sind.
Tatsächlich arbeiten einige Festivals daran schon seit mehreren Jahren. Das baden-württembergische Southside Festival bekämpft das Müllproblem mit mehr Personal, 400 Helfer waren dort dieses Jahr im Einsatz und räumten den Campingplatz auf. Außerdem stellt das Festival laut eigener Website auf dem „Grüner wohnen“ Campingplatz 30 Komposttoiletten zur Verfügung. Zum Vergleich: Bei Rock am Ring gab es dieses Jahr während des Festivals nur 60 Aufräumer, dabei hatte das Festival 30 000 Besucher mehr.
Es gibt schlimmere Klimakiller als Open Air Festivals
Beim Southside gab es dieses Jahr auch wieder ein Müllpfandsystem: Jeder bekommt am Eingang einen leeren Müllsack. Wer den am Ende des Festivals wieder voll zurückgibt, bekommt zehn Euro vom Ticketpreis zurück. Bei Rock im Park und Rock am Ring wurde das Müllpfand dieses Jahr abgeschafft, dem Online-Portal infranken.de sagte der Veranstalter ARGO, dass das System zu wenig genutzt wurde. Entsprechende Zahlen dazu, oder was sie in Zukunft noch bei ihren Festivals verbessern wollen, lieferten die Veranstalter vom Southside, von Rock am Ring und Rock im Park auf Anfrage von jetzt allerdings nicht.
Das Müllpfand hilft allerdings nicht gegen die Müllproduktion an sich: Für das Southside gibt es noch keine offiziellen Zahlen, bei Rock im Park wurden am Festivalwochenende Anfang Juni insgesamt um die 300 Tonnen Müll verursacht, bei Rock am Ring waren es sogar 500 Tonnen. Laut dem Öko-Institut in Freiburg produziert ein Mensch in Deutschland pro Jahr 226 kg Verpackungsmüll. Wenn man das pro Kopf auf die Länge des Festivals runterrechnet, verbrauchten die Besucher von Rock im Park an den vier Festivaltagen also doppelt so viel Müll wie normalerweise. Das ist zwar immer noch zu viel, allerdings nicht auch nicht so exorbitant wie in verschiedenen Medien dargestellt.
Ist es jetzt also angebracht, jungen Menschen Doppelmoral vorzuwerfen? Unnötiger Müll ist immer schlecht, da gibt es nichts daran rumzureden oder zu -rechnen. Trotzdem gibt es weitaus schlimmere Klimakiller als Open Air Festivals: Kreuzfahrtschiffe, Autos, Billigflüge. Diese Faktoren muss man einschränken. Wenn dann auch noch die Festivals ihren Beitrag leisten, um ihre Veranstaltungen umweltfreundlicher zu machen, haben alle gewonnen.