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„Der Regen ist außer Kontrolle, Häuser und Ernten werden weggespült“

Flawa studiert in Tansanias Hauptstadt, steht aber in engem Austausch mit Menschen aus dem ganzen Land.
Foto: Flawa Malle

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Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In den Klimatagebüchern berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert.

 In der 24. Folge berichtet Flawa Malle, 23, warum in ihrem Land traditionelle Erntezeremonien kaum mehr stattfinden und wieso die Klimakrise in Tansania auch eine Kulturkrise ist.

„Wir stecken im Chaos fest. Im ganzen Land sind die Menschen von unterschiedlichen Klimafolgen sehr stark betroffen. Im vergangenen Jahr war ich in meinem Heimatdorf bei Arusha, im Norden Tansanias, nahe der kenianischen Grenze, als zwei kleine Massai-Mädchen an unsere Tür kamen und uns um Essen baten. Ich fragte sie, warum sie nicht in der Schule waren. Sie erzählten, dass aufgrund der starken Dürren viele ihrer Tiere gestorben waren und ihre Eltern sehr alt waren.

Die Massai leben von der Viehzucht, seit Jahrtausenden. Sie betreiben keine Landwirtschaft und sind mit ihren Herden auf klimatische Stabilität angewiesen. Wir sind zwar alle von derselben Krise betroffen, aber manche von uns sind widerstandsfähiger als andere. Die indigenen Massai sind ein wichtiger Teil unserer Kultur, aber sie leiden stark unter den Folgen der Klimakrise. Deswegen müssen wir sie unterstützen, sich besser anzupassen.

Die Klimakrise ist bei uns auch eine Kulturkrise: Früher gab es viele Erntezeremonien. Diese variierten je nach Gemeinde und Gegend. Mittlerweile sind viele dieser Zeremonien weggebrochen, weil die Ernten so gering ausfallen. Dass solche kulturellen Bräuche wegfallen, verändert unser Zusammenleben in den Gemeinden. Auch der Großteil der tansanischen Bevölkerung, der von der Landwirtschaft lebt, leidet unter der Klimakrise. Die Niederschlagsmuster haben sich so stark verändert und Hitzewellen haben dermaßen zugenommen, viele können sich nur schwer oder gar nicht daran anpassen. Der Regen ist außer Kontrolle, Häuser und Ernten werden weggespült.

Ich studiere Umweltingenieurswesen in Dodoma, der Hauptstadt. Die Gegend ist eine der trockensten in Tansania. Dort habe ich eine Frau kennengelernt, sie ist Witwe und hat ein kleines Stück Land. Die Pflanzzeit ist durch die kurze Regenzeit sehr kurz. Die Ernten sind ohnehin klein, aber nun trocknen immer mehr Brunnen aus und die Erträge sinken. Ihre Tochter hilft ihr beim Wasserholen. Das Mädchen muss neun Kilometer laufen zur nächsten Wasserstelle. Dürren beeinflussen also nicht nur die Produktivität, sondern auch die Zeit der Menschen: Die Frau und ihre Tochter verbringen ungefähr neun Stunden am Tag mit Wasserholen, der Bestellung des Feldes und Kochen. Schlafen müssen sie auch noch. Wann soll das Mädchen in die Schule gehen und Hausaufgaben machen?

Mädchen und Frauen sind von dieser Folge der Klimakrise deutlich stärker betroffen, weil sie meistens die Haus- und Feldarbeit übernehmen – oder in diesem Fall eben keine:n Partner:in haben, der:die helfen könnte. Sie verpassen ihre Bildung und haben dadurch weniger Chancen, der Armut zu entkommen. Die Frau hat außer den Ernteerträgen kein Einkommen – von was sollen sie und ihre Tochter leben?  

Die ständigen Gedanken, wie man die Familie ernähren kann, wie die Kinder in die Schule gehen können, wie man die Felder trotz veränderter Bedingungen bestellen kann – das macht etwas mit den Menschen. Viele haben große mentale Probleme wie Angststörungen oder Depressionen, führen diese aber oftmals nicht auf die Klimakrise zurück. Sie denken, das sei normal. Aber das ist es nicht. Auch physische Krankheiten verbreiten sich durch die Klimakrise schneller, etwa Malaria. Und es gibt immer wieder klimawandelbedingte Unfälle.

Meine vor kurzem gegründete Organisation ,Eco Pulse Network‘ unterstützt zwei Mädchen in ihrer Schulbildung. Eines davon ist etwa zehn Jahre alt und hat als indirekte Folge der Klimakrise ein Bein verloren: Es musste beim Wasserholen immer weitere Strecken zurücklegen. Es beeilte sich auf dem Weg von der Schule nach Hause, um noch genug Zeit haben, um zum Brunnen zu laufen. Vor lauter Hast stolperte es, fiel hin und brach sich das Bein. Die Eltern konnten sich eine angemessene Behandlung im Krankenhaus nicht behandeln. Als das Bein sich entzündete, war es schon zu spät: Die Ärzt:innen konnten es nur noch amputieren. Nun hat das kleine Mädchen nur noch ein Bein und kann das Haus nicht verlassen, da kein Geld für einen Rollstuhl da ist. Wir versuchen alles Mögliche, um genug Spenden zu sammeln, um einen zu kaufen. Hätte die Klimakrise die Brunnen nicht ausgetrocknet, hätte das Mädchen sich nicht so hetzen müssen und wäre nicht gestürzt. Das bricht mir das Herz.

Es fehlt an gerechten Klimamaßnahmen. Die tansanische Regierung hat einen Plan veröffentlicht: Bis 2034 sollen 80 Prozent der Bevölkerung klimafreundlich kochen können. Das ist derzeit undenkbar, denn viele Familien kochen auf traditionellen Öfen, dafür braucht es Feuerholz. Sie können sich keine modernen Öfen leisten. Man kann den Menschen nicht sagen, dass sie keine Bäume fällen dürfen, um Feuerholz zu verkaufen, wenn sie nichts zu essen haben. In einem unserer Projekte bauen wir klimafreundlichere Öfen, die rund 65 Prozent des Brennholzes einsparen und dadurch weniger CO₂ ausstoßen. Manche Communities können sich leichter anpassen, sie haben die nötigen Mittel. Anderen fällt es schwerer. Sie brauchen mehr Zeit. Hier in Tansania sind mehr Communities in der letzten Kategorie. Deswegen ist es so wichtig, dass die Anpassungsmaßnahmen sozial gerecht verteilt sind und die unterschiedlichen Möglichkeiten mitdenken.

Ich mache mir große Sorgen um die Menschen und den Planeten. Die Klimaverhandlungen dauern viel zu lange, jede Unterstützung wird immer weiter nach hinten verschoben. Unsere Leute sterben hier schon heute wegen der Klimakrise. Ich glaube, viele der Entscheidungsträger:innen vergessen die Menschen, sie denken an sich selbst und an ihre Profite. Wie soll diese Welt in 50 oder 100 Jahren aussehen? Was werden unsere Kinder erleben? Derzeit ist die Lage noch friedlich, aber wer weiß, wie lange das so bleibt. Ich hoffe einfach, dass die Politiker:innen rechtzeitig handeln.“    

Mehr Informationen über die Klimakrise in Tansania:    

Starkregenfälle, länger anhaltende Dürren, höhere Temperaturen: Das ostafrikanische Land Tansania erlebt schon seit geraumer Zeit starke klimatische Veränderungen. Vor allem Dürren und Temperaturanstiege steigern das Problem der Wasserknappheit. Sämtliche Klimafolgen beeinträchtigen auch die Gesundheit der tansanischen Bevölkerung. Ein Großteil der rund 65 Millionen Tansanier:innen lebt nur knapp oberhalb der Armutsgrenze – schon kleine ökonomische Schocks – auch verursacht durch Klimafolgen wie Erdrutsche –  können viele in die Armut rutschen lassen. Kleinbäuerliche Strukturen sind einer der wichtigsten Pfeiler der nationalen Landwirtschaft, die jedoch besonders von der Klimakrise betroffen ist. Das führt unter anderem auch zu Fluchtbewegungen innerhalb des Landes.

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