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„Den Geruch werde ich nie vergessen“

Foto: Catherine Victoria Guscin Bernal

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Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In den Klimatagebüchern berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert. 

In der 26. Folge berichtet Catherine Victoria Guscin Bernal, 25, wie die historischen Überflutungen, die vor kurzem ihren Wohnort verwüstet haben, Freund:innen und Bekannte getroffen haben – und wie sie selbst den Wassermassen entgangen ist. 

„Am Tag vor den Überflutungen saß ich gerade in einer Vorlesung, als die Meldung kam, dass der Unterricht wegen der Unwetterwarnungen nur noch online stattfinden würde. Das hat mich überrascht, weil es nicht so schlimm aussah zu dem Zeitpunkt. Aber ich kenne das aus Galizien, wo ich herkomme: Wenn dort Wetterwarnungen – meist wegen Sturm – ausgesprochen werden, dann wird es gefährlich. In den Nachrichten wurden abends große Regenmassen angekündigt für den nächsten Tag. Eine Uni-Freundin fragte mich, ob ich zu ihr nach Valencia kommen wollte, weil wir am nächsten Tag viele gemeinsame Vorlesungen hatten. Ich überlegte, ob eine Reise bei Unwetter gefährlich werden könnte, aber letztendlich dachte ich, es würde schon nicht so schlimm werden, und fuhr nach Valencia. Das war mein Glück. Denn dadurch war ich nicht in Paiporta, als die Überflutungen alles zerstört haben: Innerhalb von acht Stunden regnete es so viel wie normalerweise in einem Jahr. 

Meine WG wurde nicht beschädigt. Aber mein Mitbewohner schickte mir am nächsten Tag ein Video von unserer Straße, er filmte aus unserer Wohnung im ersten Stock: Man sieht unzählige Autos, die in den Wassermassen schwimmen. Komplett absurd. Aber da wussten wir noch nicht, wie schlimm das Ausmaß war, dass mindestens 219 Menschen gestorben sind und Dutzende noch immer vermisst werden. Ich blieb erstmal eine Woche in Valencia bei meiner Freundin. Mein Mitbewohner hielt mich über SMS auf dem Laufenden, das war die einzige funktionierende Kommunikationsmöglichkeit.

Schließlich ging ich zurück nach Paiporta, weil ich helfen wollte.  Mein Mitbewohner hat – im Gegensatz zu mir – auch Familie dort, zum Glück ist von ihnen niemand gestorben. Fast alle haben ihr Auto verloren, im Haus seiner Oma stand das Wasser zwei Meter hoch. Glücklicherweise sind das nur materielle Schäden. Aber sich klarzumachen, dass man Glück hat, noch am Leben zu sein, macht etwas mit einem. Es ist eine Sache, das alles auf Bildern und Videos zu sehen. Wenn man es dann wirklich erlebt, ist es etwas vollkommen anderes, die Energie an dem Ort war ganz anders, sie zieht einen runter. 

Ich ging mit ein paar Freund:innen zum Helfen nach Paiporta. Wir waren tagsüber dort und sind abends wieder nach Valencia gefahren. Vor Ort war das Wasser zwar inzwischen abgeflossen, aber es herrschte totales Chaos. Möbel und Trümmer türmten sich in den kaputten Straßen. Alles war zerstört, überall war Schlamm und Schmutz, es gab keine Einkaufsmöglichkeiten mehr, da auch alle Läden zerstört waren. Viele Menschen waren in ihren Wohnungen eingesperrt, da Autoberge ihre Türen blockierten. Also fingen wir an, sie über Zuruf zu fragen, was sie brauchten, und bemühten uns, die Dinge zu besorgen – meistens Lebens- und Putzmittel.

Wir haben die Sachen dann meist mit Seilzügen durchs Fenster oder über den Balkon zu den Menschen gebracht. Meine Cousine begleitete mich, sie ist Krankenschwester und war ziemlich besorgt, da die ersten Menschen ins Krankenhaus kamen, die durch verunreinigtes Wasser erkrankt waren. In einer Straße stank es schrecklich, wir wussten sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich kann den Geruch nicht beschreiben, aber uns allen war klar, dass dort ein toter Körper herumliegen muss. Diesen Geruch werde ich nie vergessen. Wir haben in dem Moment alle nichts gesagt, aber als wir später wieder im Auto waren und nach Valencia fuhren, sprach es eine von uns an. Wir wussten alle, was sie meinte. 

Es war gut, vor Ort zu sein und zumindest ein bisschen zu helfen. Aber ich glaube, wenn es besser organisiert gewesen wäre, hätte man viel mehr schaffen können. Trotzdem war es gut zu sehen, dass alle einander nach Möglichkeit unterstützten. Denn was viele Tage komplett gefehlt hat, war Hilfe vom Staat. Das Militär kam erst nach einigen Tagen an, bis dahin mussten die Menschen vor Ort alles allein regeln. Wäre die staatliche Hilfe früher gekommen, hätten vielleicht Menschenleben gerettet werden können. Das hat viele hier sehr wütend gemacht. Viele sagen auch, die Warnungen hätten früher kommen müssen. 

Die Situation in Paiporta und der ganzen Region ist weiterhin angespannt. Strom und Wasser gibt es wieder, einige Supermärkte haben wieder geöffnet. Aber es ist nicht klar, wie lange es dauern wird, bis man dort wieder normal leben kann. Da auch mein Unterricht mindestens bis Dezember nur online stattfindet, bin ich zu meinen Eltern nach Galizien gefahren. Ich denke viel an Paiporta und die Leute dort, es macht mich traurig. Ich fühle mich wahnsinnig hilflos und ausgeliefert, weil wir gegen solche Überflutungen nichts tun können. Und nun sitze ich Mitte November im Garten meiner Eltern – im T-Shirt! Das ist nicht normal. Mein Vater meinte: ‚Ich weiß, die Klimakrise ist schrecklich, aber immerhin können wir jetzt hier so draußen sitzen.‘ Und ich weiß, was er meint. Natürlich fühlt es sich schön an, wenn es länger warm ist im Jahr. Aber es ist nicht richtig. Wir wollen Regen und Kälte, einfach weil das bedeutet, dass nicht alles außer Kontrolle ist. Das ist eine schwer auszuhaltende Ambivalenz. Ich studiere im Master Menschenrechte, Frieden und nachhaltige Entwicklung, deshalb setze ich mich viel mit der Klimakrise und ihren Konsequenzen auseinander. 

Was ich jetzt in Paiporta erlebt habe, hat etwas in mir verändert: Vorher wollte ich immer irgendwann eigene Kinder haben. Das will ich jetzt nicht mehr. Denn ich finde es unverantwortlich, jemanden in eine Welt zu setzen und diesen Menschen nicht beschützen zu können. Ich lebe privilegiert in Spanien, wahrscheinlich würde mein Kind also auch 2050 genug zu essen haben – aber es ist doch nicht verantwortungsvoll. Gerne hätte ich mehr Hoffnung, aber gerade bin ich an einem Punkt, an dem es mir schwerfällt.“ 

Mehr Informationen zur Klimakrise in Spanien 

Die starken Überflutungen Ende Oktober 2024 in der Region um Valencia waren laut Wissenschaftler:innen wegen der Klimakrise so heftig.  Denn durch die Erderwärmung kann die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen, die sich dann auch in sintflutartigen Niederschlägen abregnen kann. Zusätzlich ist Spanien verstärkt von immer höheren Temperaturen und damit einhergehenden Dürreperioden betroffen. In den vergangenen 50 Jahren ist die jährliche Durchschnittstemperatur in Spanien bereits um 1,5 Grad angestiegen, vor allem im Sommer ist der Anstieg stark. Der spanische Sommer hat sich durch die Klimaveränderungen um fünf Wochen verlängert (verglichen mit den 1980er-Jahren).  

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