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„Das Horrorszenario wäre, dass die Insel unbewohnbar wird“

Rieke lebt heute in München, kann sich aber vorstellen, wieder auf ihre Heimatinsel zurückzukehren.
Foto: Leonie Fößel, Bearbeitung: SZ jetzt

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Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In den  Klimatagebüchern  berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert. 

In der 13. Folge erzählt Rieke Frener, 27, wie die Klimakrise das Leben auf der Nordseeinsel Pellworm verändert. Dabei macht nicht nur der steigende Meeresspiegel den Bewohner:innen zu schaffen, sondern auch Gänse. 

„Ich erinnere mich, dass wir als Kinder im Winter den Deich mit dem Schlitten heruntergefahren sind. Auf dem See sind wir Schlittschuh gelaufen und haben Eishockey gespielt. Das geht nur noch selten, weil die Winter milder sind und es weniger Schnee gibt. Sorgen macht mir aber vor allem etwas anderes: Pellworm ist stark vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen. Teile der Insel liegen bereits unter dem Meeresspiegel – deswegen haben wir den Deich. Er ist etwa acht Meter hoch und wurde gebaut, um die Bewohner:innen der Insel vor Sturmfluten und Überschwemmungen zu schützen. Auf Pellworm ist allen bewusst, dass die Klimakrise real ist und dass sie auch eine Gefahr für das Leben auf der Insel darstellt.  

Meine Eltern vermieten Unterkünfte an Tourist:innen und arbeiten in der Landwirtschaft, sie haben eine konventionelle Schweinezucht. Ich kann mich an kaum ein Jahr erinnern, in dem die Ernte des Futtergetreides gut gewesen wäre. Es war entweder zu trocken und die Pflanzen wuchsen nicht richtig. Oder es regnete zu viel und die Pflanzen ertranken auf den Feldern. Und dann sind da noch die Gänse. Jedes Jahr kommen viele Graugänse nach Pellworm, sie überwintern hier einen Teil der kalten Jahreszeit. Doch da die Winter viel milder geworden sind, bleiben sie mittlerweile oft viel länger als früher und ziehen später oder gar nicht nach Süden weiter. Sie fressen das gesamte Wintergetreide, das meine Eltern als Futtermittel pflanzen und zum Teil auch weiterverkaufen. Das ist ein großes Problem. Meine Eltern mussten Alternativen suchen – etwa Sommergetreide pflanzen, das sie für den Winter einlagern, oder auf Pflanzen wie Mais umschwenken.  

Die Vorstellung, dass es mein Zuhause nicht mehr geben könnte, macht mir Angst

Ich persönlich habe riesigen Respekt vor der Klimakrise. Das Horrorszenario für mich wäre, dass die Insel unbewohnbar wird. Sie ist mein Zuhause und  der Großteil meiner Familie wohnt hier. Meine Großeltern stammen fast alle von Pellworm, meine Eltern wurden hier geboren und sind hier aufgewachsen. Meine Brüder und ich ebenso. Die Vorstellung, dass es all das nicht mehr geben könnte, macht mir Angst. Auch weil mein Bruder den Hof meiner Eltern übernehmen wird. Ich selbst lebe mittlerweile in München, aber ich würde es nicht ausschließen, wieder nach Pellworm zurückzugehen. Wenn ich mir allerdings vorstelle, mir dort etwas Eigenes aufzubauen, habe ich im Hinterkopf immer diese Zukunftssorgen. Viele meiner Jugendfreund:innen sind auf Pellworm geblieben oder nach Studium oder Ausbildung wieder zurückgekehrt, einige von ihnen haben mittlerweile Kinder und eigene Familien. Man blendet vieles aus – mit meinen Freund:innen rede ich auch nicht andauernd über die Klimakrise. 

Auch bevor die Klimakrise so viel diskutiert wurde, hatte ich immer Respekt vor dem Meer. Vor allem vor Sturmfluten, ich habe selbst einige miterlebt: Im Herbst und Winter werden die Wellen vom Sturm hochgepeitscht, das Wasser kam zum Teil auch bis auf das Gras hinter dem Deich. Das ist beängstigend. In Hinblick auf den steigenden Meeresspiegel ist eine Deichverstärkung ein Thema in Pellworm, aber bisher ist noch nichts gesichert. Pellworm ist eine eher arme Gemeinde und wir sind auf Gelder von Bund und Land angewiesen. Viele Menschen hier leben von der Landwirtschaft und dem Tourismus, wir sind aber keine Tourismus-Hochburg wie etwa Sylt. Wir mussten uns immer schon Alternativen suchen – vielleicht ist deswegen auch schon 1997 der Bürgerwindpark entstanden: Bürger:innen können sich bei diesem Projekt an der Errichtung der Windräder finanziell beteiligen, im Gegenzug erhalten sie eine Ausschüttung aus den Gewinnen der Stromerzeugung. Damals haben nur 42 Gesellschafter:innen mitgemacht, eine Investition in das Projekt war vielen zu unsicher. Als der Windpark vor einigen Jahren erneuert wurde, haben sich schon mehr als 200  Pellwormer:innen beteiligt.

Auf Pellworm war es immer cool, Strom aus der Natur zu erzeugen

Für Windkraft ist Pellworm wahrscheinlich einer der besten Standorte Deutschlands, wir haben praktisch immer Wind. Von meinem Elternhaus aus sieht man den Windpark. Auf unserem Hof steht eine eigene kleine Windkraftanlage für den Eigenbedarf im Haus und in der Landwirtschaft. Erneuerbare Energien sind für uns auf Pellworm total normal und irgendwie war es immer cool, Strom aus der Natur zu erzeugen – ich kenne hier niemanden, der etwas dagegen sagen würde. Wir hatten sogar eine Zeit lang die größte Solaranlage Europas, was aber nicht daran lag, dass sie so groß gewesen wäre, sondern daran, dass sie bereits 1983 gebaut wurde und damals die größte war.  

Vor zwei Jahren erregte Pellworm viel Aufmerksamkeit, als drei Bauernfamilien – eine von unserer Insel –  gemeinsam mit Greenpeace die Bundesregierung verklagten, weil sie ihre selbst gesetzten Klimaziele nicht einhielt. 2021 bekamen die Kläger:innen Recht vom Bundesverfassungsgericht, die Regierung muss nun die Reduktionsziele für die Zeit nach 2030 näher regeln. Das war damals ein großes Thema auf der Insel und ich fand es richtig cool, ich hatte ein Gefühl von ‚Es tut sich endlich was‘. Heute habe ich aber das Gefühl, dass die Euphorie von damals ein bisschen verpufft ist, da noch keine Konsequenzen aus der Klage gefolgt sind. Was die Politik bisher tut, reicht nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Aber genau das brauchen wir, damit auch Pellworm als Lebensraum bestehen kann.“ 

Mehr Informationen über die Klimakrise in Pellworm: 

Die nordfriesische Insel Pellworm ist schon heute besonders von den Folgen der Klimakrise betroffen: Sie liegt einen Meter unter dem Meeresspiegel – einzig der Deich bewahrt die Insel vor dem Untergang. Durch die Klimakrise wird es in der Nordsee besonders in den Wintermonaten wahrscheinlich häufiger zu Starkregen und Orkanen kommen. Im Sommer hingegen gehen Forscher:innen von zunehmenden Dürren aus. Durch den Anstieg des Meeresspiegels kann es in Zukunft auch vermehrt zu Sturmfluten kommen, welche das Leben auf der Insel gefährden: Denn bis zum Jahr 2100 könnte das Wasser einen Meter höher auf die Insel treffen als 100 Jahre zuvor. Zwischen 1969 und 2017 hat sich die durchschnittliche Oberflächentemperatur der deutschen Nordsee um 1,3 Grad Celcius erhöht. Das hat an Küstenstädten bereits zu einem deutlichen Anstieg des Meeresspiegels geführt: In Cuxhaven etwa um 40 Zentimeter seit Mitte des 19. Jahrhunderts und 20 Zentimeter in Travemünde.

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