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Klimatagebücher: Wie sich die Klimakrise auf die Türkei auswirkt
Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In unseren „Klimatagebüchern“ berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert.
In der vierzehnten Folge berichtet Günsuhan Aytaç, 23, wie sie während Waldbränden mit panischen Hotelgästen umgeht und wieso sie Unmengen an Trinkwasser nach Hause tragen musste.
„Die Waldbrände waren nur einen oder zwei Kilometer von unserem Haus entfernt, meine Mutter hat vor Angst eine Panikattacke bekommen. Der Rauchgeruch war schrecklich. Die vergangenen beiden Jahre hatten wir hier in Bodrum schlimme Feuer, die teils monatelang nicht unter Kontrolle gebracht werden konnten. Alle Einheimischen haben zusammengearbeitet und ihr Möglichstes gegeben in dieser Situation. Glücklicherweise hat auch Griechenland viel Unterstützung geleistet – denn unsere eigene Regierung hat nur einmal Hilfe geschickt.
Vergangenes Jahr sind leider auch Einheimische an den Folgen der Brände gestorben. Erst Ende des Sommers konnten die Brände gelöscht werden.
Aber vieles ist komplett heruntergebrannt: Die Çökertme-Bucht – wunderschön gelegen und ein beliebtes Touristenziel – ist zum Beispiel zerstört, es ist einfach nur traurig. Ich bin sehr gern dorthin gegangen.
Viele der Brände wurden von Menschen ausgelöst: Sowohl Tourist:innen als auch Einheimische haben keinen Respekt vor der Natur und schmeißen ihren Müll einfach irgendwo hin. Plastik, Glas oder Aluminium reflektieren das Sonnenlicht und bei der großen Hitze lösen sie Feuer aus, das sich dann rasch ausbreitet.
Es ist neu, wie riesig und unkontrollierbar die Feuer sind
In unserer Region haben wir immer schon Waldbrände gehabt, unsere Vegetation ist daran angepasst, die vielen Pinienbäume sind ein Vorteil: Ihre Zapfen ploppen bei Hitze auf, ein bisschen wie Popcorn. Dabei verteilen sie ihre Samen und die Pflanzen wachsen nach. So erholt sich bei uns die Vegetation nach Feuern relativ schnell. In anderen Teilen der Türkei hingegen wachsen viele Büsche und Sträucher, die schnell brennen und deren Samen nicht ans Feuer angepasst sind. Dass die Feuer so riesig und unkontrollierbar sind, ist neu.
Es ist schrecklich, wenn dein Zuhause von Flammen bedroht wird und du verstehst, du könntest diesen Ort verlieren. Ich arbeite in einem großen Hotel und die Gäste sind zum Teil durchgedreht wegen der Waldbrände. Besonders diejenigen, die aus kälteren Ländern für ihren Urlaub hier waren. Sie wollten andauernd wissen, ob sie in Sicherheit sind, wie gefährlich das alles ist und so weiter. Ich habe dann mit schwarzem Humor reagiert und gesagt: ‚Mein Haus ist nahe an den Waldbränden, ich bin nicht sicher. Aber ihr seid hier sicher.‘ Das war ziemlich schräg, weil ich natürlich auch große Angst hatte und die Situation nicht einschätzen konnte.
Die Brände sind nicht die einzige Folge der Klimakrise. Wir hatten im August zwei Wochen kein fließendes Wasser in den meisten Häusern, weil es so trocken war. Die Regierung hat uns Wasser für zwei Tage gegeben, aber seither haben wir nicht einen weiteren Tropfen erhalten. Trinkwasser gibt es hier ohnehin nicht aus der Leitung. Ich kann glücklicherweise bei meiner Arbeit duschen. Was aber sollen meine Mutter und mein Bruder tun, mit denen ich zusammenwohne? Ich habe mehr als 200 Liter Wasser in Flaschen zu uns nach Hause geschleppt, damit wir wenigstens das Geschirr spülen und die Toilette benutzen können.
Dass wir eine solche Wasserknappheit erleben, liegt neben der Trockenheit auch am Tourismus: In der Hochsaison leben hier zeitweise etwa 1,5 Millionen Menschen – normalerweise hat Bodrum aber nur eine Bevölkerung von gut 180 000. Dafür ist unsere Infrastruktur nicht ausgelegt. Wo soll das Wasser für so viele Menschen herkommen, die in Pools baden wollen und Trinkwasser brauchen?
Mir bricht es das Herz, die Zerstörung unseres Planeten zu sehen
Normalerweise regnet es hier von Ende September bis Ende Mai, doch in den vergangenen Jahren wurde das immer weniger. Früher gab es Sommerregen – meine Mutter sagt, das war total normal. Das haben wir jetzt aber kaum mehr. Dann kommt noch die Hitze dazu: Dieses Jahr hatten wir im Juli und August krasse Hitzewellen mit Temperaturen bis zu 45 Grad Celsius. Man schwitzt die ganze Zeit und muss viel mehr trinken, eigentlich kann man kaum etwas machen. Es ist grauenvoll.
Mir bricht es das Herz, die Zerstörung unseres Planeten zu sehen. Ich bin so unfassbar wütend auf die Menschen, die das verantworten. Überall brennt es: im Amazonas, in Kanada, bei uns – dabei sollten wir doch den Planeten schützen, der uns Leben gibt. Wir werden an der Klimakrise zugrunde gehen, wenn wir nichts dagegen tun. Ich möchte auch kein Kind in diese Welt setzen. Denn wenn der Sauerstoff knapp wird und es kein Wasser mehr gibt, wie soll ein Kind gut leben können?
Ich bin kein Sommer-Mensch. Ich mag es, wenn es kühler ist und regnet. Deswegen überlege ich, in eine kältere Region der Welt auszuwandern, vielleicht nach Kanada oder Finnland. Das ist hart, weil meine Familie und meine Freund:innen hier sind. Aber die Hitze schlägt sich auf meine mentale Gesundheit nieder. Klimaveränderungen gab es schon immer, aber nicht in dieser Intensität und Geschwindigkeit, wie wir es gerade erleben. Das ist zu viel für die Lebensspanne eines Menschen. Wir haben auf Türkisch das Wort, „sukur“, das bedeutet so viel wie Dankbarkeit. Manchmal muss ich mich daran erinnern, dankbar zu sein, Trinkwasser zu haben – denn viele andere haben das bereits nicht mehr.“
Mehr Informationen über die Klimakrise in der Türkei
Schon jetzt sind die Folgen der Klimakrise in der Türkei immens: In den vergangenen Jahrzehnten nahmen Überflutungen, Hitzewellen, Dürren, Waldbrände und andere Extremwetterereignisse sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Intensität zu. Extreme Hitzewellen führten im Südwesten des Landes zu großflächigen Waldbränden. Diese betrafen fünfmal mehr Landfläche als normalerweise. Die Türkei ist außerdem aufgrund von starken Dürren phasenweise auch von Wasserknappheit betroffen – obwohl das Land sonst eher einen Wasserüberschuss verzeichnet. Werden die Treibhausgasemissionen nicht reduziert, könnten bis 2050 Dürren das Land 37 Prozent häufiger treffen als heute. Forscher:innen gehen davon aus, dass auch Hitzewellen deutlich länger andauern werden. Auch die Wirtschaft des Landes wird wahrscheinlich stark unter dem Anstieg des Meeresspiegels, unter Küstenerosion und Extremwetterereignissen leiden – mit möglichen Einbußen von mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2050.