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Klimatagebücher: Wie sich die Klimakrise auf Algerien auswirkt
Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In den Klimatagebüchern berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert.
In der 22. Folge berichtet Selma Bichbich, 23, warum die Landwirtschaft besonders dringend auf die Folgen der Klimakrise vorbereitet werden muss und wieso die Klimakrise in ihrem Heimatland Algerien auch die Olivenproduktion gefährdet.
„Vor drei Jahren brannte Tizi Ouzou nieder, mehrere Wälder rund um die Stadt hatten Feuer gefangen. Dutzende Menschen sind gestorben. Vor den Bränden war das eine wunderschöne Stadt in einer für Algerien sehr grünen Region, vor allem auch geprägt durch die Landwirtschaft. Feuer sind in der Region keine Seltenheit, aber diese Intensität und Heftigkeit war neu, die Klimakrise befeuert solche Bedingungen. Meine Eltern leben in der Nähe der Hauptstadt Algier, in Bourmadas, aber ein Teil meiner Familie wohnt in Tizi Ouzou, sie haben dort Land und betreiben Landwirtschaft. Auch meine Mutter ist, wie viele Menschen dort, Teil der indigenen Amazigh Algeria Community. Für meine Familie, vor allem meine Großeltern, war das Land dort beinahe heilig. Sie haben ihre Farm komplett biologisch bestellt, sie haben nur Dünger verwendet, den sie mit ihren eigenen Händen und ohne Chemie hergestellt haben.
Die Brände waren für meine Familie wirklich schlimm – glücklicherweise wurde niemand verletzt. Es könnte aber sein, dass sich die Ökosysteme nie wieder ganz erholen und es dadurch schwierig bis unmöglich wird, sie wie vorher zu nutzen. Auch wenn die Mittelmeerregion an Feuer gewöhnt ist, verändert die Klimakrise deren Intensität und damit die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme. Aber meine Großeltern hoffen weiterhin, ihr Land, das sie so sehr lieben, wieder nutzen zu können, sie hatten alles über Jahrzehnte aufgebaut. Das ist nun alles weg, anderen Farmer:innen erging es genauso. Viele Menschen verloren durch die Brände und fehlende Sicherheitsmaßnahmen ihre komplette Lebensgrundlage. Freund:innen von mir wurden vom einen auf den anderen Tag obdachlos und mussten in andere Städte ziehen, wo weniger zerstört wurde. Andere bauten ihre Häuser wieder auf, sie erhielten Unterstützung vom Staat. Die Regierung errichtete Notlager. In der Region um Tizi Ouzou werden sehr viele Oliven angebaut, sie und das daraus gewonnene Olivenöl sind wichtiger Bestandteil vieler algerischer Speisen und auch ein wichtiges Exportgut. Die Wildfeuer haben damals unzählige Olivenhaine zerstört – und damit auch viele Existenzen. Die Menschen sind immer noch in einer Art Trauerprozess.
Ich habe sehr viel von Landwirt:innen aus Palästina gelernt
Die Sommer sind anders geworden: Ab Mai oder Juni wird es wirklich heiß. Das war früher nicht so. Ich glaube, die vergangenen extrem heißen Sommer mit Temperaturen von bis zu 51 Grad Celsius haben viele Algerier:innen ein wenig traumatisiert, viele haben jetzt Angst vor erneuten Waldbränden. Man konnte nichts mehr tun, außer sich drinnen vor der Hitze zu schützen. Zur Arbeit oder zur Schule gehen ging kaum. Im Globalen Norden können sich die Menschen vielleicht besser vor der Hitze schützen, aber hierzulande sind ihr viele schutzlos ausgesetzt. Wegen der starken Trockenheit müssen wir Wasser sparen. Das schlägt sich auch im Tourismus nieder, in den Hotels gibt es Aushänge und Informationen für die Gäste zum Wassersparen. So sollen auch die Tourist:innen verstehen, dass das kein Spaß ist, sondern eine sehr ernste Lage. In Jordanien haben solche Wasserspar-Kampagnen schon viel Erfolg gehabt. Viele haben Sorge, dass es dieses Jahr wieder so schlimm wird, sie haben jetzt Angst vor dem Sommer. Das gab es früher nicht bei uns. Eigentlich ist das die Zeit, in der Familien zusammenkommen und vom Arbeitsleben durchschnaufen können. Auch ich frage mich, was in den nächsten Monaten auf uns zukommt. Die ländlichen Regionen in Algerien sind besonders von den Klimafolgen betroffen – und dadurch auch die lokalen Gemeinden dort.
Die Landwirtschaft wird in der Klimakrise stark vernachlässigt, finde ich. Und das, obwohl die Klimafolgen diesen Sektor besonders stark treffen. Meine Großeltern und ihre Naturverbundenheit haben letztendlich meinen Einstieg in den Klima-Aktivismus beeinflusst. Ich arbeite im Youth Policy Board des World Food Forum in Kollaboration mit der FAO als Vertreterin Nordafrikas mit. Dort entwickeln wir mit anderen jungen Menschen unter Anderem Maßnahmen, die wir für eine an ein neues Klima angepasste Landwirtschaft vorschlagen. Viele, vor allem junge, Menschen glauben, Landwirtschaft sei langweilig. Aber das ist nicht so, wir diskutieren viel darüber, wie man neue, moderne Technologien in diesem ‚alten‘ Sektor einsetzen kann. Besonders spannend finde ich, sich mit anderen jungen Menschen aus unterschiedlichsten Regionen darüber auszutauschen. Ich habe sehr viel von Landwirt:innen aus Palästina gelernt, die auch während des so lange andauernden Konflikts immer weiter Landwirtschaft betrieben haben – für viele war das alles, was ihnen geblieben ist, es war ihr einziges Einkommen. Gerade in konfliktzerrütteten Gegenden ist die Landwirtschaft unglaublich wichtig, da es auch immer um Nahrungssicherheit geht. Unsere Vorfahren hier im Nahen Osten haben so viel aufgebaut in der Landwirtschaft, wir können das nicht alles zerfallen lassen. Das wird unsere Generation nicht zulassen.
Früher oder später treffen die Klimafolgen alle, nicht nur die Armen. Aber im globalen Süden haben wir derzeit nicht die gleichen Anpassungsmöglichkeiten wie in den Industrieländern, die deutlich mehr zur Klimakrise beitragen. Deswegen ist internationale Unterstützung so wichtig. Viele ärmere Länder haben schlichtweg keine Finanzierungsmöglichkeiten, um ihre Jugend dabei zu unterstützen, sich an die Klimafolgen anzupassen. Es ist unser Recht, in die Entscheidungen eingebunden zu werden, wir machen Klimaaktivismus nicht zum Spaß. Es ist nicht schön, immer wieder vor verschlossenen Türen zu stehen. Wir haben es satt.“
Mehr Informationen über die Klimakrise in Algerien:
Der Mittelmeerraum ist schon heute stark von den Folgen der Klimakrise betroffen: Stärkere und längere Hitzewellen, längere Dürreperioden in ohnehin trockenem Klima, Wasserknappheit und Überflutungen in den Küstenregionen nehmen in der Region durch die Klimakrise stark zu. In Algerien ging in den vergangenen Jahrzehnten die durchschnittliche Jahresniederschlagsmenge um 30 Prozent zurück. Die steigende Wüstenbildung ist eine weitere Klimafolge in dem nordafrikanischen Land. Sie bedroht die Landwirtschaft in Algerien, wo ohnehin nur 3,5 Prozent der Landfläche für Landwirtschaft geeignet sind. Andererseit gehört das Land zu den größten Erdölexporteuren der Welt. Die Förderung fossiler Rohstoffe wie Erdöl und deren Weiterverarbeitung sorgen für einen starken Anstieg von CO₂ in der Erdatmosphäre. Dieser Anstieg sogenannter Treibhausgase wie CO₂ oder Methan ist der größte Antrieb des menschengemachten Klimawandels.