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Klimaschutz: Junge Arbeitnehmer aus der Industrie über Klimastreiks und die Zukunft ihrer Jobs
Bis Ende 2038 soll die Stromgewinnung aus Braunkohle in Deutschland beendet werden. Darauf hat sich die Kohlekommission im Januar 2019 geeinigt. Die deutsche „Fridays for Future“-Gruppe fordert allerdings einen Kohleausstieg bis 2030 sowie ein Viertel weniger Kohlekraft und ein Ende der Subventionen für fossile Energieträger noch in diesem Jahr. Viele der jungen Menschen, die jede Woche für mehr Klimaschutz demonstrieren, und radikalere Klimaschutzgruppen wie etwa „Ende Gelände“ sagen sogar, der Ausstieg müsse noch früher erfolgen – am besten sofort.
Etwa 20.000 Menschen arbeiten heute in Deutschland noch in Braunkohletagebauen oder -kraftwerken. Mehr als die Hälfte davon ist bereits über 50 Jahre alt, also bis zum geplanten Ausstieg 2038 im Ruhestand. Aber was ist mit den jüngeren Arbeitnehmer*innen, deren Jobs von der Braunkohle abhängig sind? Was sagen sie zu den Klimastreiks und der weltweiten Klimaschutzbewegung? Und wie geht es ihnen, wenn sie an die Zukunft denken? Wir haben mit drei von ihnen gesprochen.
„Als junger Mensch frage ich mich: Woran kann ich mich noch festhalten?“
Eva*, 24, ist Industriemechanikerin für RWE im Braunkohletagebau Hambach. Seit 2017 absolviert sie ein berufsbegleitendes Studium und bereitet sich aktuell im Rahmen eines internen RWE-Programms auf eine Führungsposition vor.
„Ich bin Vorsitzende der Jugend- und Ausbildungsvertretung im Tagebau Hambach und gemeinsam mit zwei Kollegen Ansprechpartnerin für rund 50 Auszubildende. Einige von ihnen teilen uns natürlich ihre Bedenken mit, sie haben zum Beispiel Angst vor Konflikten mit Aktivisten. Oder sie fragen sich, ob sie nach der Ausbildung überhaupt übernommen werden. Über die Proteste sagen manche: ,Ich war vor kurzer Zeit auch noch Schüler – warum gehen die nicht in die Schule?‘
Grundsätzlich befürworte ich es, wenn sich junge Menschen engagieren. Wenn man sich mit den Aktivisten auseinandersetzt, merkt man allerdings, dass sie zwar viele Forderungen aufstellen, sich um die Frage der Umsetzung aber wenig Gedanken machen. Wir haben mit RWE mal eine Informationsveranstaltung organisiert, bei der wir ins Gespräch kamen. Ich habe gesagt: ,Wir spielen das Szenario mal durch: Wir steigen aus der Kohle aus, was dann?‘
Sie haben gesagt: ,Dann kann sich jeder Solarpanels aufs Dach machen.‘
Ich: ,Dafür hat nicht jeder das Geld. Und es würde nicht reichen, den kompletten deutschen Strombedarf zu decken.‘
Sie: ,Dann müssen wir Strom aus den Nachbarländern einkaufen.‘
Ich: ,Aber die arbeiten doch auch mit Kohle und Atom.‘
Sie: ,Aber dann hat Deutschland schon mal eine weiße Weste.‘
Ich: ,Die Erde besteht aber aus mehr als nur Deutschland…‘
Und so weiter. Sie machen es sich einfach zu leicht. Einer von den Aktivisten hat zu mir gesagt: ,Warum seid ihr so kapitalistisch?‘ Dabei wollen wir doch nur ein gutes Leben für unsere Familien und uns. Dafür brauchen wir gute Jobs.
Längst nicht alle Aktivisten sind gewalttätig, aber einige von ihnen ignorieren jegliche Gesetze. Ein Kollege hat erzählt, dass seine Mitarbeiter einmal von Aktivisten attackiert worden sind. Ihre Autos wurden mit Steinen beworfen, ein Auto wurde sogar in Brand gesteckt. Sowas tut verdammt weh, und der für die Kolonne zuständige Kollege hat sich tierische Vorwürfe gemacht. Diesen Leuten ist es vollkommen egal, dass die RWE-Mitarbeiter einfach nur Menschen sind, die leben und arbeiten wollen. Die morgens um zwanzig nach vier aufstehen, damit sie um halb sechs ihren Dienst antreten können.
Klar, wir müssen definitiv was für die Umwelt tun, und ich finde es gut, wenn man die Natur erhalten kann, ich lebe selbst auf dem Dorf. Mehr auf erneuerbare Energien zu setzen ist also gut. Allerdings gibt es bei Wind- und Solarstrom oft Spannungsspitzen – das bedeutet, mal produzieren sie zu viel, mal zu wenig Strom. Das muss dann wieder ausgeglichen werden. Außerdem haben wir bis heute keine vernünftigen Speichermöglichkeiten. Der Netzausbau, ohne den die Energiewende nicht funktionieren wird, kommt nicht richtig voran. Daran müssen wir in Deutschland weiter und schneller arbeiten und dafür muss die Politik eine Leitentscheidung treffen – an die sich dann aber auch gehalten werden muss!
Das war bisher leider nicht immer der Fall: Die Entscheidung, dass der Hambacher Forst gerodet wird, war längst getroffen, und jetzt wird wieder umgeschwenkt. Das nimmt den Arbeitnehmern hier die Sicherheit. Als junger Mensch frage ich mich dann: Woran kann ich mich noch festhalten? Wo und wann gibt man mir das Gefühl, dass ich mich niederlassen, ein Haus kaufen, eine Familie gründen kann? Derzeit geht das einfach nicht, weil man sich nicht auf Aussagen aus der Politik verlassen kann, und darum auch nicht darauf, dass unsere Jobs sicher sind.
Insgesamt habe ich aber keine Angst vor der Zukunft. Erstmal werden wir noch Kohle fördern und ich kann den Job ausüben, den ich gerne mache. Außerdem bin ich mir mittlerweile sicher, dass der aktuelle Plan der Politik nicht funktioniert und nochmal überdacht werden muss. Denn für den frühen Ausstieg aus der Kohle müssten wir ja erstmal eine geeignete Alternative finden, ohne uns von den Nachbarländern abhängig zu machen. Davon mal abgesehen, setzt RWE selbst auch schon auf erneuerbare Energien. Ich wünsche mir jedenfalls, dass ich in 30 Jahren immer noch dort arbeiten kann.“
*Aus Sorge vor Anfeindungen hat Eva darum gebeten, auf ein Foto verzichten zu dürfen und nicht mit vollem Namen genannt zu werden. Er ist der Redaktion aber bekannt.
„Hätte ich ein bisschen mehr Zeit, würde ich vielleicht sogar mitlaufen“
Rolf Packert, 28, ist gelernter Industriemechaniker und arbeitet in der Werkstoffprüfung in einem Aluminiumwerk der Firma AluNorf in Nordrhein-Westfalen. Die Energieversorgung des Werks ist von regionalen Braunkohlekraftwerken abhängig. Schon nach einem einzigen Blackout wäre es „nur noch teurer Schrott“, sagt Mike Schürg, Pressesprecher der IG-Metall.
„Die Forderungen von ,Fridays for Future‘ finde ich absolut verständlich und richtig. Hätte ich ein bisschen mehr Zeit, würde ich da vielleicht sogar mitlaufen, es geht schließlich um die Zukunft der Erde, auf der wir alle leben. Ich kann mich auch damit identifizieren, wenn sie sagen: ,Die umweltschädliche Braunkohle sollte schon in zehn Jahren abgeschafft werden‘, denn für jüngere Leute sind zehn Jahre eben weit weg. Aus Wirtschaftssicht ist das allerdings eine knackige Geschwindigkeit, und ich habe Sorge, dass aus diesen Forderungen Schnellschüsse entstehen und dadurch unnötig Jobs riskiert werden.
Bei der Europawahl hatte ich manchmal das Gefühl, dass in der Bevölkerung gerade ein Öko-Bewusstsein entsteht, das populistisch und zu einfach gehalten ist, dass die Menschen also sagen: ,Es muss einfach alles grüner und umweltfreundlicher werden!‘ Wenn Initiatoren von ,Fridays for Future‘ Präsentationen zum Thema machen, kommen die allerdings sehr professionell, informiert und sachlich rüber. Manche Reaktionen darauf – von ,Scheiß drauf, ich fahr trotzdem meinen Diesel Euro 1!‘ bis zu ,Die haben keine Ahnung und sollen erstmal zur Schule gehen!‘ – finde ich total hochnäsig, indiskutabel und teilweise einfach nur lachhaft.
Ich selbst habe noch keine Anfeindungen von Umweltaktivisten erlebt, nur über Dritte davon gehört. Als die Arbeitnehmer aus der Braunkohleindustrie gegen die Besetzung des Hambacher Forsts und gegen eine einseitige Klimapolitik auf die Straße gegangen sind, bin ich mitgelaufen, aus Solidarität zu den Kollegen und weil ja auch mein Job davon abhängt. Die Kollegen, die in diesem Bereich arbeiten, werden derzeit gerne an den Rand gedrängt und zum Teil auch persönlich angegriffen. Und das hat man ihnen auf der Demo angemerkt: Die einen sind total auf Konfrontation gegangen und haben sich den Argumenten der Umweltschützer dabei total verschlossen. Die anderen haben versucht, sich zu rechtfertigen, was in meinen Augen gar nicht nötig ist – die müssen sich doch nicht dafür entschuldigen, dass sie in einem Unternehmen arbeiten, in dem die Energie erzeugt wird, die zum Erhalt der Netzstabilität momentan unverzichtbar ist. Die Netzstabilität ist eine Grundbedingung für energieintensive Industrien, in denen Rohstoffe wie Aluminium für den Stromtrassenbau oder die Batteriefertigung von Elektroautos verarbeitet werden. Und diese Produkte sind wiederum für die Energiewende wichtig.
In meiner Firma wird es vermutlich keine Probleme geben, solange die Stromversorgung gesichert ist, und zwar zu einem Preis, den das Unternehmen verkraften kann. Aber sollte es tatsächlich Stromausfälle geben, wäre das eine enorme Krise, und sicherlich würde es schnell zur Schließung unseres Werks kommen. Für mich könnte es dann schwierig werden, einen vergleichbaren Job unter ähnlich guten Bedingungen zu finden. Ich würde mich dann wohl weiterbilden, zum Beispiel mit einem Studium, da ich während der Ausbildung meine Fachhochschulreife nachgeholt habe.
Ich hoffe, dass auch der Staat eingreift, und vor allem den Leuten aus der Braunkohle und den davon abhängigen Industrien die Möglichkeit gibt, in die erneuerbaren Energien einzusteigen. Überhaupt müssen in der Politik neue Lösungen gefunden werden. An ,Fridays for Future‘ sieht man, dass es einen Konflikt zwischen Jung und Alt gibt, der dringend geschlichtet werden muss. Genauso wie der zwischen Arm und Reich: Eine hohe Steuer auf Strom oder Treibstoffe würden Normal- und Niedrigverdiener sofort in ihrem Geldbeutel bemerken, Großverdiener kaum. Wenn Grundbedürfnisse wie Energie oder Wärme zur finanziellen Belastung werden, wird eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gefördert. Das darf auf keinen Fall passieren.“
„Die Debatte wird teilweise realitätsfern und aggressiv geführt“
Uwe Diekmann, 34, lebt in Leipzig und Zeitz und ist Industriemeister bei der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (MIBRAG), die Braunkohle fördert und anteilig verarbeitet. Außerdem ist er für MIBRAG als Berufsausbilder tätig und macht gerade eine Weiterbildung zum technischen Betriebswirt.
„Ich stehe sowohl als Arbeitnehmer als auch als Privatmensch dazu, dass in der Demokratie jeder seine Meinung äußern darf. Grundsätzlich ist es positiv, wenn sich junge Menschen, die oft als unreflektiert und ungebildet dargestellt werden, engagieren. Was uns als Beschäftigte der Braunkohle-Branche an den Klimastreiks allerdings stört, ist das Schwarz-Weiß-Denken. Die Debatte wird teilweise realitätsfern und aggressiv geführt. Man muss kein Ingenieur oder Experte sein, um zu wissen, dass es nicht funktionieren würde, sofort aus der Braunkohle auszusteigen. Es gibt einige fachlich fundierte Publikationen, die belegen, wie knapp Deutschland teilweise an einem Strom-Blackout vorbeischrammt, wo wir noch Rückstände haben und wo die Netzstabilität erst noch gewährleistet werden muss.
Die Klimabewegung hat ihre Berechtigung – aber man muss die Realitäten beachten. Klar, die Erderwärmung und andere Umweltprobleme sind auch Realität. Aber das ist ein globales Problem, das man auch nur global lösen kann. Zum Beispiel sind weltweit aktuell zwischen 1300 und 1400 neue Kohlekraftwerke in Planung, führend ist dabei der asiatische Raum, aufgrund des großen Energiebedarfs. Dort muss sich auch etwas ändern. Und wenn Steinkohle aus Kolumbien nach Deutschland importiert und hier verstromt wird, wie das zum Teil immer noch geschieht, ist das auch keine gute Lösung. Da ist es immer noch ökologischer und ökonomischer, auf heimische Braunkohle zu setzen und damit die Energiewende zu gestalten. Was die Anlagen für Wind- und Sonnenenergie in Deutschland angeht, haben wir gerade in den neuen Bundesländern unsere Hausaufgaben sowieso mehr als erfüllt.
Kürzlich wurde ich mit einem Azubi von der sächsischen Staatskanzlei zu einer Schüler-Klimakonferenz eingeladen. Darüber habe ich mich gefreut und in den Kleingruppen zu verschieden Themen wurde dort wirklich konstruktiv diskutiert. Ich war überrascht und erfreut, wie reflektiert und gebildet die jungen Leute waren. Trotzdem gab es Äußerungen, die an den Realitäten des Industrielandes Deutschland vorbeigehen. Zum Beispiel, dass wir als Braunkohle-Branche hoch subventioniert würden, was nicht stimmt. Die deutsche Steinkohle wurde bis Ende des vergangenen Jahres über den sogenannten ,Kohlepfennig‘ subventioniert, weil sie nicht wettbewerbsfähig war. Auf die Braunkohle trifft das bis heute nicht zu.* Einige haben gesagt, dass wir sofort, spätestens aber 2025 komplett aus der Kohle aussteigen könnten. Das geht aber nicht nur wegen der schon erwähnten Versorgungsicherheit nicht, sondern in strukturschwachen Regionen würden dadurch auch unzählige Arbeitsplätze verlorengehen.
In der MIBRA-Gruppe sind 2.700 Mitarbeiter beschäftigt und im Lausitzer Revier stellt unsere Schwesterunternehmen, die LEAG, 8.000 Arbeitsplätze, und jeder davon zieht durch Zulieferfirmen und privaten Konsum weitere nach sich – am Ende macht das etwa 27.000 Arbeitsplätze, die dann wegfallen würden. Das wäre der Nackenschlag für die strukturschwachen Regionen. Das wird von vielen demonstrierenden Schülern, für die der Klima- und Umweltschutz an allererster Stelle steht, einfach vergessen. Bei der Konferenz waren allerdings auch ein paar dabei, die sich über dieses Thema Gedanken gemacht haben. Die kamen ja alle aus Sachsen und wer in den Revieren groß geworden ist und vielleicht auch einen Vater oder Großvater hat, der schon in der Branche tätig war, erlebt die Gefährdung am eigenen Leib. Wer aus den großen urbanen Zentren stammt, bekommt diese Sorgen oft weniger mit.
Am besten wäre es, wenn die Ergebnisse der Kohlekommission bald in Gesetze gemeißelt würden und dadurch Unternehmen, Arbeitnehmer und die Gesamtgesellschaft Planungssicherheit hätten. In den Braunkohlerevieren im Rheinland, in Mitteldeutschland und in der Lausitz müsste der Fahrplan für den Ausstieg so ausgearbeitet werden, dass die Regionen sich transformieren können, die Infrastruktur ausgebaut wird und adäquate, moderne Arbeitsplätze entstehen. Eine große Sorge von uns ist, dass es irgendwann sogenannte Erwerbsarbeitsplätze gibt, die aber niemals so gute Bedingungen hätten, wie unsere jetzigen Arbeitsplätze: mit einem Tarif und genug Sicherheit, um sich niederlassen und eine Familie gründen zu können.“
*Anm. d Red.: Über die Frage, ob Braunkohle subventioniert wird oder nicht, wird häufig diskutiert. Unternehmen bestreiten das, während das Umweltbundesamt und Greenpeace auf verschiedene, vor allem indirekte Subventionen verweisen.