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Klimaaktivistin Clara von Glasow über den gescheiterten Klimagipfel in Chile
Aufgrund andauernder Proteste wurde Ende Oktober die Klimakonferenz („COP25”) in Chile abgesagt – neuer Austragsungsort ist Madrid. Zu diesem Zeitpunkt war die Gruppe „Sail to the COP” bereits seit vier Wochen klimaschonend mit dem Segelschiff von Europa nach Chile unterwegs und kurz vor Belém im Norden Brasiliens – einige der Aktivist*innen hatten dort ein Projekt im Amazonasgebiet geplant.
Ähnlich wie Klimaaktivistin Greta Thunberg hing die Gruppe nun auf dem falschen Kontinent fest – mit dem Unterschied, dass Thunberg sich bereits eine Rückreise organisieren konnte. Wir haben mit der 25-jährigen Clara gesprochen, die sich seit vergangenem Dienstag mit 36 weiteren Teilnehmer*innen in Belém befindet. Clara hatte bereits vor ihrer Abreise aus Europa mit uns über das Projekt gesprochen.
jetzt: Wie habt ihr die Absage der Konferenz aufgenommen?
Clara: Zuerst war das ein Schock. Ich habe schon an COPs teilgenommen und weiß daher, welche Chancen wir durch die Absage verloren haben. Aber wir sind uns dadurch auch bewusst geworden, was über die Teilnahme an der COP hinaus aus dem Projekt werden kann. Nächstes Jahr wollen wir an weiteren Konferenzen teilnehmen und ein ähnliches Projekt auf die Beine stellen, um an der COP26 in Glasgow teilzunehmen.
Konntet ihr denn nachvollziehen, wieso die Konferenz abgesagt wurde?
Wir stehen in Solidarität mit dem chilenischen Volk, weil wir soziale Gerechtigkeit für wichtig halten und weil es während der Proteste zu Menschenrechtsverletzungen kam, die wir verurteilen. Trotzdem ist es unglaublich schade für uns, aber noch viel mehr für die südamerikanische Klimabewegung. Dadurch, dass die COP erneut in Europa stattfindet, können viele südamerikanische junge Menschen schon wieder nicht daran teilnehmen.
Wieso seid ihr trotz der Absage zunächst weiter nach Brasilien gesegelt?
Als wir erfuhren, dass die COP in Chile abgesagt wurde, informierten wir uns sofort über mögliche Alternativen für den Austragungsort. Am wahrscheinlichsten war es, dass die Konferenz entweder zum gleichen Zeitpunkt in Costa Rica oder Anfang 2020 in Bonn stattfinden würde. Beide Orte wären für uns noch pünktlich aus Belém erreichbar gewesen. Außerdem mussten ein paar von uns für ein Projekt am 11. November im Amazonasgebiet sein, deswegen wollten wir schnellstmöglich weitersegeln. Zwei Tage, nachdem wir losgesegelt sind, erhielten wir die Nachricht, dass die Konferenz Anfang Dezember in Madrid stattfinden wird. Uns war klar, dass wir das zeitlich nicht schaffen würden.
„Für uns ist die Online-Teilnahme an der Konferenz ein Experiment“
Wie geht es bei euch stattdessen weiter?
Es gibt noch keinen festen Plan. Wir versuchen, Menschen zu finden, die uns auf Segelbooten oder Frachtschiffen mit nach Europa nehmen können. Aber die Hoffnung darauf schwindet. Der Großteil der Gruppe fährt deswegen wahrscheinlich nach Martinique. Da die Insel zu Frankreich gehört, haben wir dort europäisches Netz und eine gute Internetverbindung. So können wir von dort aus an der COP teilnehmen. Vor Ort repräsentieren uns mindestens drei Teammitglieder, die sich in Europa um das Projekt kümmern. Für uns ist die Online-Teilnahme an der Konferenz ein Experiment, aber das ist auch eine unserer Forderungen: Konferenzen sollen so geöffnet werden, dass für die Teilnahme keine Flugreise mehr notwendig ist. Außerdem haben wir eine Kampagne in Europa gestartet: „Rail to the COP”. Damit fordern wir Menschen in Europa dazu auf, mit dem Zug zur COP nach Madrid zu fahren anstatt zu fliegen.
Bei unserem letzten Gespräch hast du erzählt, dass ihr an Bord an euren Forderungen für die Klimakonferenz arbeitet. Was ist dabei herausgekommen?
Wir hatten an Bord verschiedene Arbeitsgruppen. Die Mediengruppe hat zum Beispiel eine Kampagne gegen exzessive Flugwerbung herausgearbeitet, andere haben einen Reiseführer für verantwortungsvolles Reisen geschrieben. In der Arbeitsgruppe „Policy” fokussierten wir uns auf internationales Recht. Unsere Forderung ist, dass der Transportsektor als großer Emittent von Treibhausgasen anerkannt wird und klare Ziele dafür gesetzt werden, wie diese Emissionen reduziert werden. Ein großes Problem ist, dass der Flugsektor in der EU durch Subventionen, Steuern und Freikontingente direkt und indirekt unterstützt wird, was zu unverhältnismäßig niedrigen Ticketpreisen und einem nicht nachhaltigen Wachstum der Flugindustrie führt. Um das deutlich zu machen und Veränderungen herbeizuführen, haben wir ein Positionspapier geschrieben und eine Lobbystrategie erarbeitet.
Wolltet ihr mit dem Projekt signalisieren, dass Segeln eine Alternative zur Flugreise ist?
Nein, darum ging es nicht. In erster Linie war die Reise symbolisch: Wir wollen zeigen, dass der Planet uns wichtig ist und wir die Klimakrise ernstnehmen. Was wir fördern möchten, ist bewusstes und erfüllendes Reisen. Bei einem zweiwöchigen Kurztrip in ein thailändisches Ressort zum Beispiel sollte man sich fragen, ob diese Reise wirklich so gewinnbringend ist. Eine Segelreise ist zwar eine Alternative, aber sicher nicht für jede*n. Sie dauert lange und man muss flexibel sein.
Wie war es denn für dich, ohne große Erfahrung sechs Wochen lang über das Meer zu segeln?
Ich habe mich wohl gefühlt und die Zeit sehr genossen. Aber manche konnten mit dem Wellengang schlecht schlafen, für die war es sehr anstrengend. Außerdem haben wir extrem viel gearbeitet. Zum einen hatten wir jeden Tag die Projektarbeit, zum anderen hatten wir verschiedene Schichten an Bord, unter anderem eine vierstündige und körperlich sehr fordernde Segelschicht. Da rund um die Uhr gesegelt wird, mussten wir teilweise auch nachts segeln.