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Buchempfehlungen: Lektüre über Klimakrise und Umweltschutz
Die Klimakrise ist wahnsinnig komplex und schwer zu verstehen und gleichzeitig Teil unseres Alltags. Sie hat Einfluss auf alle Lebensbereiche, ist gut erforscht und doch unberechenbar. Manchmal können einen die vielen Nachrichten, Berichte, Analysen und Debatten rund um das Thema darum überfordern.
Aber wenn es etwas gibt, das meistens dabei hilft, die eigenen Gedanken zu ordnen, dann ist das: in Ruhe etwas lesen. Deswegen haben wir in der Redaktion gute Lektüre-Erfahrungen rund um Klima und Umwelt gesammelt – und sieben Bücher ausgesucht, die wir euch empfehlen wollen, um besser durchzublicken. Und vielleicht auch, um bei der nächsten Diskussion, in der es um die Klimakrise, ihre Ursachen und mögliche Lösungen geht, besser argumentieren zu können.
David Nelles und Christian Serrer: „Kleine Gase – große Wirkung. Der Klimawandel“
Darum geht’s: Permafrost, ozeanische Zirkulation, Klimamigration?! Und was waren nochmal vektorübertragene Krankheiten? Beim Gespräch über die Klimakrise fallen meist viele Fachwörter. Und wie sich eine Erhitzung um wie viel Grad auf was inwiefern auswirkt, kann sich auch kaum jemand merken. Das Buch „Kleine Gase – große Wirkung“ von David Nelles und Christian Serrer will darum ein Nachschlagewerk sein: Von den Ursachen der Klimakrise über die Kryosphäre, Ozeane, Wetter- und Klimaextreme bis hin zu Auswirkungen auf Umwelt und Mensch deckt das Buch eine Menge ab.
Die Details sind anschaulich und gut verständlich. Leider bleibt das Buch aber auch sehr technisch und geht wenig auf gesellschaftliche Ursachen ein. Zum Beispiel fehlt die asymmetrische Verteilung von CO2-Emissionen zwischen dem globalen Norden und den Orten, an denen die Menschen am frühesten und stärksten unter der Klimakrise zu leiden haben und hatten.
Gefühl nach dem Lesen: Der Wunsch nach mehr niedrigschwelligen Bildungsangeboten über die Klimaerhitzung – ob in der Schule, vor der Tagesschau oder auf Instagram.
Größtes Learning: Die Klimakrise ist noch komplexer als gedacht. Aber wir hätten eigentlich genug Wissen, um sie einzudämmen.
Ein Satz, der hängen bleibt: „Wenn wir weiterhin große Mengen Treibhausgase ausstoßen, ist eine weitere Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu 5° C möglich.“
David Wallace-Wells: „The Uninhabitable Earth“
Darum geht’s: Wenn abseits der Wissenschaft über die Folgen der Klimakrise gesprochen wurde, ging es lange vor allem um den schrumpfenden Lebensraum für süße Eisbären in der Arktis und um den steigenden Meeresspiegel. Das sind natürlich gravierende Konsequenzen – nur sind es leider nicht die einzigen. In seinem Buch „The Uninhabitable Earth“, das auf dem gleichnamigen, viralen Artikel aus dem Jahr 2017 basiert, wirft der US-amerikanische Journalist David Wallace-Wells darum einen Blick auf die Zukunft der Welt und geht Kapitel für Kapitel durch, was uns erwartet oder erwarten könnte: Hitzetod, Hungersnöte, Überschwemmungen, übersäuerte Ozeane, giftige Atemluft, wirtschaftliche Zusammenbrüche, Konflikte und Kriege, all das sind mögliche Folgen des Klimawandels, teilweise sind sie sogar schon Realität.
Manchmal wirken die Beschreibungen recht alarmistisch – was auch immer wieder kritisiert wurde. Dieser Eindruck ergibt sich vor allem daraus, dass Wallace-Wells in seiner Recherche die „Worst-Case“-Szenarien für unsere Zukunft zusammengetragen hat. Er schreibt auch darüber, dass in einigen Fällen eine Anpassung an den Wandel sinnvoller sei, als ihn weiterhin aktiv zu bekämpfen. Eine Perspektive, die sich sehr stark auf das Überleben der Menschheit konzentriert, statt alle Spezies in den Blick zu nehmen, und die dem Autor ebenfalls Kritik eingebracht hat.
Gefühl nach dem Lesen: Erstmal lähmende Hoffnungslosigkeit. Und dann der Wunsch, ganz pragmatisch nach Lösungen zu suchen, um gegen dieses Gefühl ankämpfen zu können.
Größtes Learning: Wallace-Wells sagt von sich selbst, er sei kein Umweltschützer. Er hat offensichtlich einfach begriffen, dass der Kampf gegen die Klimakrise kein Thema nur für Ökos und Veganer*innen ist, sondern für uns alle – und das ist eine Erkenntnis, die endlich in allen Köpfen ankommen muss.
Ein Satz, der hängen bleibt: Direkt der erste, denn das Buch beginnt mit den Worten: „It is worse, much worse, than you think“.
Elias König: „Klimagerechtigkeit: Warum wir eine sozial-ökologische Revolution brauchen“
Darum geht’s: Auf Klimastreiks ist oft die Parole „What do we want? Climate justice!“ zu hören. Aber was ist mit Klimagerechtigkeit eigentlich gemeint? Um das zu erklären, führt Elias König durch mehrere Dimensionen der Klimakrise. Die versteht er als eine historische Krise, die auch soziale Ursachen hat, und widmet sich darum in seinem Buch den Systemen, die für ihn Grundpfeiler der Klimaerhitzung sind: Kolonialismus, Kapitalismus und Patriarchat. Diese „Big Three“ seien miteinander verwoben. Die große Frage, die stets mitschwingt, ist: Wie lässt sich dieses Wollknäuel aus Problemen entwirren und auflösen?
Um sie zu beantworten, blickt König auf erfolgreiche Kämpfe der Vergangenheit. Zum Beispiel in Haiti, wo der Auftand der Sklav*innen Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur zur Unabhängigkeit vom Kolonialstaat Frankreich im Jahr 1804, sondern auch zur Abschaffung der Sklaverei führte – eine damals undenkbare Forderung. Fazit: Auch das vermeintlich Unmögliche kann möglich gemacht werden.
Gefühl nach dem Lesen: Fuck, fuck, fuck – es passiert nicht genug.
Größtes Learning: Nur weil wir uns aktuell keine Alternative zum Kapitalismus vorstellen können, heißt das nicht, dass es sie nicht geben kann.
Ein Satz, der hängen bleibt: „Wir brauchen eine Vision, die uns anregt, auf den schon jetzt existierenden (metaphorischen und realen) Ruinen der Klimakatastrophe eine neue Welt zu erbauen.“
Mary Robinson: „Climate Justice. A Man-Made Problem With a Feminist Solution“
Darum geht’s: Mary Robinson – ehemalige irische Präsidentin, bis 2002 fünf Jahre lang UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und seit einigen Jahren Vorkämpferin für Klimagerechtigkeit – hat überall auf der Welt Menschen getroffen, die in ihrer Heimat für die Umwelt und gegen die Klimakrise ankämpfen. Basierend auf diesen Begegnungen hat sie persönliche Geschichten aufgeschrieben. Und weil so viele Personen, die sie inspiriert haben, weiblich waren, kommen auch hier hauptsächlich Frauen zu Wort. Es sind ja auch sehr oft Frauen, die die prekären, aber wichtigen Jobs machen, etwa in der Landwirtschaft, und es sind auch Frauen, die am stärksten unter den Folgen der Klimakatastrophe leiden.
In Robinsons schmalem, aber sehr dichtem Buch lernen die Leser*innen zum Beispiel die Bäuerin Constance Okollet aus Uganda kennen, deren Ernte seit Jahren immer wieder durch Extremwetterereignisse zerstört wird, und die die Aufforstung der Region organisiert, um Überschwemmungen einzudämmen. Oder Vu Thi Hien aus Vietnam, die dafür sorgt, dass das langjährige Wissen der lokalen Bevölkerung darüber, wie man mit der – und nicht gegen die – Natur lebt, mehr wertgeschätzt und im Kampf gegen die Klimakrise genutzt wird.
Gefühl nach dem Lesen: Passiert ja selten genug, wenn es um dieses Thema geht, aber: Hoffnung. Weil es sie gibt, die Menschen, die vorangehen, Gutes tun und einfach niemals aufgeben.
Größtes Learning: Es gibt überall, wirklich ü-ber-all, eine Greta. Zum Glück.
Ein Satz, der hängen bleibt: „By linking women with access to power to women on the front lines of climate change at the grassroot level, we could all gather strength and create a new kind of climate activism.“
Hanna Poddig und Christopher Leo: „Kleine Geschichte der Umweltbewegungen. Von Radieschen und Revolutionen“
Darum geht’s: Das Aufkommen der Klimabewegung wird, vor allem von jüngeren Menschen, meist auf die ersten Schulstreiks von „Fridays for Future“ 2018 oder die erste Massenaktion zivilen Ungehorsams von „Ende Gelände“ im Jahr 2015 datiert. Doch eigentlich ist die Bewegung viel älter. Die Aktivistin und Autorin Hanna Poddig geht in „Kleine Geschichte der Umweltbewegungen“ der deutschen Klima- und Umweltbewegung auf den Grund.
Die erste Umweltbewegung entstand laut Poddig Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Dreck der industrialisierten Städte nicht mehr zu übersehen war: Verbände wie die Pfadfinder, die Wandervögel und die Naturfreunde gründeten sich. Auch das Aufkommen von Bioläden, die Anti-Atomkraft-Bewegung, die gemeinnützige Organisation Club of Rome, den Protest gegen Stuttgart 21, den Kampf gegen Gentechnik, Autobahnen und fragwürdige Staudämme ordnet sie in die Geschichte der Umweltbewegung ein. In dieser Tradition steht die Klimabewegung des 21. Jahrhunderts, die mindestens genauso breit aufgestellt ist und sein muss, um der Klimakrise und denen, die von ihr profitieren, zu begegnen.
Kleiner Minuspunkt: Leider bezieht sich das Buch nur auf Deutschland, obwohl der größte Widerstand gegen Umwelt- und Klimakrise im globalen Süden stattfindet.
Gefühl nach dem Lesen: Die Frage, was die kommenden Generationen (vor allem im Globalen Süden) wohl über uns schreiben werden?
Größtes Learning: Der Kampf für Klimagerechtigkeit hat eine lange Geschichte, von der wir viel lernen können. Ein Blick zurück kann sich lohnen, um nicht zu verzagen.
Ein Satz, der hängen bleibt: Auf die Frage, ob das Ganze überhaupt etwas bringt, schreibt Hanna Poddig: „An kaum einer grünen Wiese steht ein Schild ‚Hier wurde ein AKW verhindert‘.“ Denn die meisten Erfolge sind unsichtbar.
Donna Haraway: „Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene“
Darum geht's: Donna Haraway verwirft das Konzept des „Anthropozäns“ (wie unser aktuelles geologisches Zeitalter, in dem der Mensch einen direkten Einfluss auf den Planeten hat, oft genannt wird) zugunsten des „Cthuluzäns“: Ein Zeitalter, das von der Verbundenheit aller Wesen untereinander bestimmt wird und in dem der Mensch erkennt, dass er nur ein Akteur unter vielen ist. Dadurch vollzieht Haraway einen Perspektivwechsel und betrachtet die Biosphäre und alle Aktionen und Reaktionen in ihr als Ganzes. Daher auch der Name „Cthuluzän“: Unsere Welt funktioniert wie das mythische Wesen „Cthulu” mit seinen vielen Tentakeln auf mehreren Ebenen von Raum und Zeit – von Darmbakterien bis zu riesigen Bäumen.
Das Buch, das mal zutiefst philosophisch ist, mal intelligent-informativ (zum Beispiel, wenn es um die positiven Verbindungen zwischen Menschen und Tauben geht), ist eine interessante Lektüre für alle, die tief eintauchen und das Netz des Lebens besser verstehen wollen. „Staying with the trouble“, das bedeutet bei Haraway, die Verbundenheit alles Lebendigen zu schätzen zu wissen.
Gefühl nach dem Lesen: Etwas desorientiert, weil man merkt, dass man als Individuum eigentlich auch nur aus einer Gruppe von Organismen besteht, die fein säuberlich in einer Hülle zusammengepackt wurden. Aber auch inspiriert, weil man begreift, dass die eigene Existenz gleichzeitig weit über diese Hülle hinausreicht.
Größtes Learning: Seit Millionen von Jahren agieren und reagieren Millionen von Spezies jede Sekunde auf- und miteinander. Wir sollten endlich lernen, dieses Miteinander zu feiern und wertzuschätzen – nur dann kann die Biosphäre weiter ungestört atmen.
Ein Satz, der hängen bleibt: „The task is to make kin in lines of inventive connection as a practice of learning to live and die well with each other in a thick present.“
Charles C. Mann: „The wizard and the prophet“
Darum geht's: Charles C. Mann erzählt die Geschichte zweier Forscher, des Ökologen und Ornithologen William Voigt und des Agrarwissenschaftlers Norman Borlaug, deren gegensätzliche Ansichten über die Zukunft der Menschheit die Debatten über den Umweltschutz von den frühen 1950er Jahren bis heute prägen. Voigt – laut Mann der „Prophet“ – warnte, dass die Menschen nur durch weniger Konsum und mehr nachhaltiges Handeln die Probleme der Klimakrise und die Überbevölkerung in den Griff kriegen könnten. Borlaug – der „Zauberer“ – vertrat den Standpunkt, dass Innovation der Schlüssel zum Überleben und für bleibenden Wohlstand ist. Mann zeigt so nicht nur, welche beiden Pole die Umweltschutz-Debatte bis heute rahmen, sondern auch, wie unterschiedlich wir Menschen generell auf Probleme reagieren können.
Gefühl nach dem Lesen: Gut vorbereitet für weitere Lektüre über den Umweltschutz. Denn die Lebensgeschichten der beiden Wissenschaftler, die Vogelkolonien auf den Galapagos-Inseln erforscht oder die Ernteerträge in Pakistan verbessert haben, helfen dabei, seine Grundlagen zu verstehen.
Größtes Learning: Durch den „Zauberer“-Ansatz wurde eine drohende, weltweite Nahrungsmittelknappheit über Jahrzehnte hinausgezögert: Borlaug bekam den Friedensnobelpreis, weil er durch die Entwicklung von Hochleistungs-Getreidesorten Ernteerträge steigern und so Millionen von Menschenleben retten konnte. Der Umweltschutz-Ansatz des „Propheten“ hingegen gewinnt heute in den Industrieländern wieder an Popularität, weil er einen viel geringeren Einfluss auf die Biosphäre hat und, weil es dabei oft auf die Konsumentscheidungen jedes Einzelnen ankommt. Der zeitgenössische Umweltschutz umfasst beide Ansätze wie selbstverständlich – aber der 80 Jahre lange Weg dahin war ziemlich schwierig.
Ein Satz, der hängen bleibt: „Past successes do not guarantee future progress.“