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FAQ zur Hochwasserkatastrophe: Das sagen Expert*innen
Am Mittwoch kam es es in Deutschland zu enormem Starkregen und Überflutungen, besonders schwer sind Teile von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz betroffen. Häuser stürzten ein, es ist von Hunderten Vermissten auszugehen, mehr als 100 Menschen starben (Stand: Freitag, 15:00 Uhr; alle aktuellen Enwicklungen im SZ-Liveblog). Der Schaden geht in die Milliarden. Expert*innen gehen davon aus, dass solche Katastrophen sich in Zukunft öfter ereignen werden – und viele Menschen haben deshalb Fragen. Die drängendsten wollen wir in diesem FAQ klären.
Woher kam all das Wasser?
Dominik Jung, Metereologe und Klimaexperte:
„Schuld war das Tiefdruckgebiet Bernd über Deutschland. Bernd war quasi die Grenze zwischen einer sehr schwülwarmen Luftmasse in Osteuropa und kühlen Luftmassen in Westeuropa, eingeklemmt zwischen diesen beiden Wetterlagen. Das Tiefdruckgebiet konnte also nicht weiter, als es bei uns in Deutschland war. Deshalb hat sich über Stunden hinweg der Starkregen immer am gleichen Ort entladen. Besonders betroffen war die Mitte von NRW, über Köln bis in die Eifel. Es hat dort sechs bis zehn Stunden lang durchgeregnet – so stark, wie man es sonst von einem kurzen Sommergewitter kennt. Teilweise kamen großflächig 90 bis 150 Liter pro Quadratmeter vom Himmel. Das ist doppelt so viel, wie es sonst im ganzen Juli regnet.
Besonders die Eifel hat es schwer getroffen, weil sie ein Mittelgebirge ist. Dort haben sich die Wolken gestaut – die Feuchtigkeit wurde also aus den Wolken gepresst wie aus einem nassen Schwamm. Das Wasser schoss dann wie Sturzbäche die Berge hinunter und hat alles mitgerissen, was auf dem Weg lag. Innerhalb kurzer Zeit wurden aus kleinen Bächen mit 15 Zentimetern Höhe reißende Ströme von mehr als sechs oder sieben Metern. Das Wasser hat sich in die Ortschaften gefressen.“
Das Dorf Insul in Rheinland-Pfalz ist nach massiven Regenfällen weitgehend überflutet.
Warum wurde die Bevölkerung vorher nicht eindringlicher gewarnt?
Dominik Jung, Metereologe und Klimaexperte:
„Es gab zahlreiche Unwetterwarnungen, auch Warnungen vor möglichem Hochwasser. Man wusste, es kommt was. Aber auch wir Experten können nicht im Detail voraussagen, welche Gegenden es wie heftig treffen wird. Ich hätte selbst nicht damit gerechnet, dass es eine solche Flutwelle geben wird. Hochwasser kennt man in dieser Gegend, man weiß: Das steigt bis in den Keller. Aber am Mittwoch schossen Flutwellen teils in den ersten Stock, Häuser sind eingestürzt. Hätte man im Voraus vor einem solchen Ausmaß gewarnt, dann hätte ich es selbst nicht geglaubt.“
Was tun, wenn Wasser in mein Haus läuft?
Gerd Friedsam, Präsident des Technischen Hilfswerks, rät, was meistens in Notsituationen geraten wird: „Erst einmal die Ruhe bewahren und um Hilfe rufen.“ Man müsse die Dinge im Falle eines Hochwassers ohnehin erst einmal passieren lassen. Wer merkt, dass der Keller mit Wasser vollläuft, sollte nicht sofort hinunter gehen und versuchen, das Ganze in Ordnung zu bringen. Man müsse sich vorher fragen, wo das Wasser herkommt: „Ist es Grundwasser, das hochsteigt, oder zieht ein Fluss vorbei, der mit aller Kraft gegen die Türen, Fenster und Wände drückt?“ Bei Letzterem könnten Versuche, das Wasser wieder aus dem Haus hinaus zu bekommen, eher schaden als helfen. „Es kann beispielsweise schädlich für die Stabilität des Gebäudes sein, wenn man Wasser abpumpt, während gleichzeitig neues hinzukommt“, sagt Friedsam. Stattdessen sollte man im Falle einer Überflutung zuerst den Strom abstellen und sich in Sicherheit bringen.
Soweit möglich empfiehlt Friedsam, sich schnellstmöglich in höhere Gegenden zu begeben – am besten zu Fuß. Vielerorts würden dafür auch Notunterkünfte eingerichtet. Einsatzkräfte fahren, wenn noch möglich, mit entsprechenden Warnungen und Aufforderungen die Umgebung ab. Toben draußen allerdings schon Wasserströme, rät Friedsam, sich innerhalb des eigenen Gebäudes nach oben zu bewegen und dort auf Hilfe zu warten.
Was sollte man auf keinen Fall tun, wenn die Umgebung überschwemmt wird?
Wenn die Umgebung sich schon in einen Fluss verwandelt hat, sollte man das Haus nicht mehr verlassen. Die Gefahr ist groß, vom Strom mitgezogen zu werden. „Ganz wichtig ist aber: Wenn Helfer einen befreien wollen, sollte man sich auch retten lassen“, sagt Gerd Friedsam, Präsident des Technischen Hilfswerks. Es passiere häufig, dass Menschen sich weigerten, das Haus zu verlassen, unter anderem, weil sie ihr Hab und Gut nicht zurücklassen wollten. „Das ist verständlich. Aber wenn Hilfskräfte einen auffordern, mitzukommen, dann hat das einen Grund. Man sollte der Aufforderung folgen.“
Wasserretter evakuieren Menschen aus ihren Häusern. Heftige Regenfälle in der Nacht hatten zuvor für Schlammlawinen und Überflutungen gesorgt.
Wie kann man sich auf weitere Hochwasser vorbereiten?
Manche Gebiete in Deutschland sind besonders hochwassergefährdet. Gerd Friedsam, Präsident des THW, rät deshalb, sich am besten schon vor dem Einzug darüber zu informieren, ob der eigene Wohnort dazu zählt – und sich dann entsprechend mit den Präventionsmaßnahmen der Gemeinde auseinanderzusetzen. Manchmal sei es auch sinnvoll, sich privat auszustatten. „In manchen Gegenden sollte man sich Geräte anschaffen, mit denen man Wasser abpumpen kann oder die Strom erzeugen, wenn die Stromversorgung unwetterbedingt ausfällt.“ Man müsse sich auch die Frage stellen, wie gut die eigenen Türen und Fenster abdichten.
Auch Svenja Binz, Referentin beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung, empfiehlt private Maßnahmen zur Vorsorge. „Wo befinde ich mich in Deutschland? Wie ist mein Gebäude ausgestattet?“, seien Fragen, die man sich stellen sollte. Eine Möglichkeit der Vorsorge sei zum Beispiel das Einbauen von Rückstauklappen, die verhindern, dass Wasser durch Toilette und Dusche wieder zurückläuft. „Grundsätzlich sollte an allererster Stelle aber stehen, dass die Standsicherheit des Gebäudes gesichert ist“, sagt Binz. Mit dem Online-Tool Immorisk des Bundesinstitutes kann man nachschauen, welchen Risiken man ausgesetzt ist. Praktische Hinsweise für die Vorsorge gibt es auch in dem Bundesinstitut-Leitfaden für Starkregen und der Hochwasserschutzfibel des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat.
Inwiefern könnte man die Infrastruktur anpassen, damit deutsche Gemeinden Starkregen besser aushalten?
Stefan Haas, Referent vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, sagt, dass bereits ein Wandel stattfinde: „Bund, Länder und Kommunen arbeiten schon relativ lange an einer nachhaltigen Entwicklung unseres Systems im Hinblick auf mögliche Gefahrensituationen.“ Allerdings sei das auch eine Kosten-Nutzen-Frage – das gesamte Land auf eine Extremsituation wie die jetzige vorzubereiten, sei finanziell nicht umsetzbar und im Bezug auf Ressourcen auch nicht sinnvoll. Nichtsdestotrotz betont Haas, dass die Deutschen zum Beispiel beim Regenwassermanagement zukunftsgewandter denken sollten, indem man das Wasser nicht wie bisher einfach ableitet, sondern erst mal zurückhält oder lokal versickern lässt.
Dafür können bauliche Maßnahmen in Frage kommen, wie zum Beispiel begrünte Dächer, die laut Haas bis zu 90 Prozent des Regenwassers zurückhalten könnten. „Auf dem Land hat eine begrünte Garage vielleicht keinen großen Effekt, aber gerade bei großen Industriearealen mit Flachdächern sind das immense Regenmengen, die eventuell zurückgehalten werden könnten.“ Auch privat könne man mit so einem Gründach einen positiven Beitrag leisten, fügt Stefan Haas’ Kollegin Svenja Binz hinzu. Es entlastet die Kanalisationen und kühlt das umliegende Mikroklima und das Haus selbst. „Klimaanpassung und Klimaschutz sind nicht differenziert zu betrachten, sondern in einem Gefüge“, sagt Binz.
Im stark betroffenen Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz wurden mindestens sechs Häuser durch die Fluten zerstört.
Wie sollte man in Zukunft bauen?
Es gibt zum Beispiel das Konzept der sogenannten „Schwammstadt“, die das Regenwasser wortwörtlich aufsaugt. Hier werden neben baulicher Infrastruktur wie Gründächern positive Klimaanpassungen genutzt. Das Wasser wird dann nicht abgeleitet, sondern dem Grundwasser zugeführt – oder es verdunstet und kühlt somit die Stadt. „Im Prinzip hilft es schon, etwas weniger versiegelte Fläche zu haben – Grünfläche, einen saugfähigen Boden, der dieses Wasser zwischenspeichert“, erklärt Svenja Binz vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Das sei nicht nur bei Starkregen gut, sondern auch bei Hitze. Allerdings hätte selbst eine solche Schwammstadt dem aktuellen Extremwetter nicht standgehalten, glaubt Binz.
Auch Christian Kuhlicke, Professor für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit an der Universität Potsdam, betont die Bedeutung von naturbasierten Bau-Möglichkeiten, die sich Wetterextremen anpassen. „Wissenschaftlich haben wir diese Lösungen, auch wenn es noch Optimierungsbedarf gibt. Jetzt liegt es am Gestaltungswillen auf der politischen Seite, diese Lösungen umzusetzen.“
Was haben die extremen Unwetter in diesem Sommer mit dem Klimawandel zu tun?
Dominik Jung, Metereologe und Klimaexperte:
„Die Frage stellt sich immer. Was wir gerade beobachten, ist das Wetter. Klima ist das Wetter über einen langen Zeitraum beobachtet, mindestens 30 Jahre. Man wird erst rückwirkend mit Sicherheit sagen können: ‚Ja, das war der Klimawandel‘ oder ‚Nein, das war er nicht‘. Ich gehe allerdings davon aus, dass solche Ereignisse mit der globalen Klimaveränderung zusammenhängen. Denn wir erleben globale Erwärmung und warme Luft kann immer mehr Feuchtigkeit aufnehmen als kalte. Entsprechend hat die Atmosphäre immer mehr Feuchtigkeit zur Verfügung. Das heißt unter anderem: Die Starkregenereignisse nehmen zu. Und sie werden immer heftiger, das sieht man ja auch daran, wie viele Rekorde gerade gebrochen wurden. Klimaexperten sagen immer wieder: Gerade diese Wetterextreme zeichnen den Klimawandel und seine Folgen aus. Ich gehe davon aus, dass wir uns an solche Vorfälle gewöhnen müssen.“