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Fridays for Future: Greta Thunberg protestiert in Brüssel gegen das Klimagesetz
Wie „Fridays for Future“ der EU Druck machen
Von Ursula von der Leyens Klimaschutz-Ambitionen halten sie hier beim Streik in Brüssel nicht viel. Das merkt man daran, dass mehr als 3000 Menschen an diesem Freitagnachmittag auf die Straße gegangen sind, um vom Hauptbahnhof bis ins Europaviertel zu ziehen. Dass sie laut „What do we want? Climate justice!“ und manchmal auch „Fuck you very much!“ rufen. Dass vorne „Fridays for Future“-Delegierte aus 25 europäischen Ländern laufen, die extra angereist sind. Und dass Greta Thunberg den Demonstrationszug anführt. Man merkt es aber auch an einem Gespräch, das zwei Teilnehmer*innen in der Menge führen. Von der Leyen habe sieben Kinder, sagt ein junger Mann Anfang Zwanzig zu einer Freundin, die neben ihm läuft. Das sei aber nicht gut fürs Klima, stellt die fest, und da sagt er: „She should at least sacrifice four!“ und lacht.
Der Klimastreik ist für die Aktivist*innen der Abschluss von drei Tagen Lobbyarbeit fürs Klima in Brüssel. Greta Thunberg hat in drei EU-Institutionen gesprochen und die FFF-Delegierten haben sich vernetzt, eine Kundgebung abgehalten, sich mit NGOs und Politiker*innen getroffen. Denn am Mittwoch hat die Kommission ein Gesetz vorgestellt, mit dem die Europäische Union im Jahr 2050 klimaneutral sein soll. In dem Entwurf steht, dass die Emissionen zunächst bis 2030 um 40 Prozent unter den Wert des Jahres 1990 gesenkt werden sollen, mit der Option, das Ziel auf 50 oder 55 Prozent zu erhöhen, wenn die Folgen einer Anhebung ausreichend geprüft worden sind. Umweltschützer*innen und Klimaaktivist*innen reicht das nicht. Sie fordern eine Reduktion von 65 Prozent bis 2030 und entsprechende Zwischenziele für die kommenden Jahre. Zwölf von 27 EU-Mitgliedsstaaten haben diese Forderung in einem Brief an den EU-Klimakommissar Frans Timmermans ebenfalls formuliert. Und noch ein weiterer Brief erreichte die Kommission in dieser Woche, unterschrieben von Greta Thunberg und 33 weiteren Klimaaktivist*innen aus ganz Europa. Darin bezeichneten sie das Gesetz als „Kapitulation“.
Die EU habe alle nötigen Mittel, beim Klimaschutz voranzugehen, sagt Greta. „Was wir nicht haben, ist Zeit“
Bei ihren Besuchen in den EU-Institutionen und beim Klimastreik am Freitag ist Greta umringt von Kameras und vielen Menschen, wie eigentlich immer, wenn sie irgendwo auftaucht. Aber am Donnerstagvormittag bleibt sie auf dem Schuman-Kreisverkehr, dem traditionellen Protest-Ort mitten im Brüsseler Europaviertel, fast unbemerkt. Eben saß sie noch beim EU-Umweltrat, jetzt steht sie da im Nieselregen, in der linken Hand ein grüner Schirm, in der rechten Hand eine rote Trinkflasche, und sieht so aus, als sei sie bloß zufällig hier vorbeigekommen. Die etwa 50 jungen Klimaaktvist*innen, die sich zu einer Kundgebung versammelt haben, begrüßen sie freundlich, aber ohne großes Hallo, und dann werden ihr von den erstaunlich wenigen anwesenden Journalist*innen erstaunlich wenige Kameras ins Gesicht gehalten. In die sie dann das sagt, was sie in den vergangenen 24 Stunden auch der EU-Kommission, dem Europaparlament und dem Ministerrat gesagt hat: dass das europäische Klimagesetz ein Witz sei.
Greta und FFF-Delegierte bei der Kundgebung am Donnerstag.
Leo, der für „Fridays for Future Wien“ angereist ist und an der Kundgebung teilnimmt, hat noch einen anderen Namen dafür. „Diese Klimakatastrophe von einem Gesetzesentwurf!“, sagt er. „Dass die EU jetzt bei 40 Prozent rumeiert und für höhere Ziele erstmal Prüfungen durchführen will, ist absoluter Wahnsinn. Wir werden mit leeren Händen bei der nächsten Klimakonferenz in Glasgow dastehen und alles wird sich weiter verzögern.“ Dabei habe doch keine Region der Welt mehr Möglichkeiten als die EU, den Klimaschutz effektiv umzusetzen. So ähnlich hatte das am Mittwochmittag auch Greta in ihrer Rede im Umweltausschuss des Europaparlaments gesagt: Die EU habe die moralische Pflicht und alle nötigen Mittel, beim Klimaschutz voranzugehen. „Aber was wir nicht haben, ist Zeit.“
Ein bisschen zu schön waren die Bilder schon, auf denen die strahlende Ursula von der Leyen neben Greta zu sehen ist
Leo und sein Freund Maximilian, der ebenfalls bei FFF in Wien aktiv ist, wollten Greta bei ihrer Rede im Parlament eigentlich unterstützen, als zwei von 50 FFF-Vertreter*innen aus ganz Europa. Aber wegen des Coronavirus dürfen zur Zeit nur geladene Gäste rein. Die geladene Greta sprach darum ausschließlich vor Abgeordneten, Parlamentsmitarbeiter*innen und Journalist*innen über Klimagerechtigkeit und verbleibende CO2-Budgets. „Wir werden nicht zulassen, dass ihr unsere Zukunft aufgebt“, schloss sie. Dann bekam sie Standing Ovations und in ausnahmslos allen Redebeiträgen der Angeordneten anerkennende Worte, Bewunderung oder dicke Dankeschöns. Sogar die Rednerin der rechtspopulistischen Fraktion lobte, „dass sich die junge Generation für etwas einsetzt“. Anschließend beklagte sie allerdings in unerträglicher Lautstärke, dass Greta von der Kommission instrumentalisiert worden sei.
Klassischer Vorwurf von rechts natürlich. Aber ein bisschen zu schön waren die Bilder schon, auf denen die strahlende Ursula von der Leyen neben der ihr freundlich zugewandten Greta zu sehen ist. Von der Leyen hatte sie zum nicht-öffentlichen „College Meeting“ der Kommission am Mittwochmorgen eingeladen und vermutlich hat sich Greta dort ähnlich kritisch geäußert wie später im Parlament – aber sowohl von der Leyen als auch Timmermans hatten bei der anschließenden Vorstellung des Gesetzes nur warme Worte für die junge Aktivistin übrig.
Stört es Greta, dass die Kommissionspräsidentin sich mit ihr „schmückt“? „Daraus würde ich ihr keinen Vorwurf machen, das machen doch alle so“, sagt sie unter ihrem grünen Schirm auf dem Schuman und lacht ein kurzes Lachen. „Ich habe ja auch nichts gegen sie persönlich. Es geht hier nicht um Individuen, das Problem ist das System und daran müssen wir arbeiten.“ Einige Vertreter*innen dieses Systems erscheinen jetzt nach und nach auf dem Kreisverkehr: Umweltminister*innen kommen aus dem Ratsgebäude, um mit den Aktivist*innen zu sprechen, unter anderem Teresa Ribera aus Spanien und Karolina Skog aus Schweden. Leo und Maximilian reden mit Leonore Gewessler aus Österreich. In den Gesprächen geht es immer wieder um Zahlen, vor allem um die geforderten 65 Prozent. Alle Politiker*innen versichern, dass sie die Forderungen ernst nehmen und sich um Umsetzung bemühen.
„Wir senden die Botschaft, dass die Mitgliedsstaaten ihre Differenzen überwinden müssen“, sagt Camille aus Frankreich
Aber in der EU gibt es eben nicht nur die Länder, die wie Österreich, Spanien und Schweden den Brief an Timmermans unterschrieben haben, sondern zum Beispiel auch solche wie Deutschland, die das nicht getan haben. Oder Ungarn und Polen, die strikt gegen eine Verschärfung der Klimaziele sind. Und das neue Gesetz muss nicht nur vom Europaparlament, sondern auch von allen Mitgliedsstaaten angenommen werden. Wenn 27 Länder einen Kompromiss finden müssen, kann da eine 17-jährige Schwedin mit mahnenden Worten in den Institutionen etwas ausrichten? „Ich alleine kann das nicht“, sagt Greta und weist dann hinter sich auf die jungen Europäer*innen, die gerade gemeinsam „This is what democracy looks like!“ skandieren. „Aber zusammen mit all diesen Aktivist*innen schon.“
Beim Klimastreik am Freitag tragen die FFF-Delegierten die Flaggen der vertretenen Länder.
Darum geht sie am Freitag auch wieder mit ihnen auf die Straße. Der Streik wurde vom belgischen FFF-Ableger „Youth for Climate“ organisiert, auch die Delegierten wurden von „Youth for Climate“ nach Brüssel eingeladen. Anuna de Wever, das Gesicht der belgischen Bewegung, läuft bei der Demo vorne neben Greta mit, hinter ihnen tragen Delegierte Flaggen der vertretenen Länder, da weht Deutschland neben Rumänien, Österreich neben Tschechien. Camille, die aus Paris angereist ist, trägt die Französische Flagge. Sie war am Mittwoch unter anderem bei einem Treffen mit Frans Timmermans und den Umweltminister*innen der Mitgliedsstaaten. „Hier in Brüssel wird viel verhandelt und da heißt es immer: Die Wirtschaft dieses Staats braucht dies, jener Staat will das, und so weiter. Es gibt viel politische Reibung“, sagt sie. „Aber in dieser Bewegung stehen wir alle zusammen, sie kennt keine Grenzen. Das ist schön zu sehen. Und so senden wir die Botschaft, dass auch die Mitgliedsstaaten ihre Differenzen überwinden müssen.“
Wenig später steht Greta Thunberg auf der Bühne der Abschlusskundgebung am Parc du Cinquantenaire. Von dort aus kann sie auf das Rats- und das Kommissionsgebäude blicken. „Glaubt ihr, sie hören uns zu?“, fragt sie ins Mikrofon. „Nein!“, antwortet die Menge. „Na gut, dann werden wir dafür sorgen, dass sie uns zuhören!“