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Jetzt ist der falsche Zeitpunkt, um sich fürs Klima zu freuen

Illustration: Federico Delfrati

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Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich vor etwa drei Wochen die Satellitenbilder aus China gesehen habe, auf denen ein deutlicher Rückgang der Luftverschmutzung zu erkennen war. Man führte diese Entwicklung darauf zurück, dass das öffentliche Leben im Land wegen des Coronavirus zum Erliegen gekommen war. Mein Herz machte einen kleinen Freudensprung und ich dachte mir: „Okay, vielleicht können wir auch viel Positives von dem Virus mitnehmen.“ Und auch über all die Flugzeuge, die jetzt nicht mehr flogen, und die Kreuzfahrtschiffe, die nicht mehr fuhren, freute ich mich anfangs. Immerhin, so dachte ich mir, könnte das Virus so etwas fürs Klima tun.

Mittlerweile ist das anders, die Freude ist verschwunden, das Virus ist bei uns angekommen: Ich bin vollkommen überwältigt von der Dynamik der vergangenen Tage, von allem, was das Virus mit unserer Gesellschaft macht. Und ich muss zugeben: ob jetzt gerade irgendwo die Luftqualität besser ist als früher oder das Wasser in Venedig klarer, ist mir mittlerweile völlig egal. Ich habe nur noch einen Wunsch: weniger Infizierte. Weniger Tote.

So viel Solidarität und Menschlichkeit wie in den letzten Tagen habe ich noch nie in unserem Land erlebt: Es bilden sich Nachbarschaftshilfen, viele begeben sich in freiwillige Quarantäne, um niemanden zu gefährden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Egoismus, Rücksichtslosigkeit und, Entschuldigung, brutale Dummheit. Zum Beispiel beim Einkaufen, Stichwort: Klopapier hamstern. Und dann gibt es eben noch die, die sich jetzt freuen, dass das Virus dem Klima guttut. Ich habe Whatsapp-Nachrichten dazu bekommen, darin stand: „Corona ist die bessere Greta, nur ohne Zöpfe.“

                                                                                                    

Die Absender*innen denken, was ich vor drei Wochen auch dachte: Ha! Lang geforderter Verzicht ist plötzlich von heute auf morgen möglich. Der Flugverkehr ist beinahe lahmgelegt, etwas, das im Kampf gegen den Klimawandel bislang als unvorstellbares Szenario galt. All diese Bürogebäude müssen doch nicht ständig beheizt und beleuchtet werden. Die Menschen müssen nicht ständig shoppen gehen.

Wie kann man sich freuen, dass das Klima geschont wird, aber dafür Menschen sterben?

Aber jetzt sind all diese Nachrichten, keine guten Nachrichten mehr. Alles fühlt sich gerade – zumindest für mich – wie eine Mischung aus einem Science-Fiction- und einem Horror-Film an, bei dem man ganz genau weiß, dass der Mörder jeden Moment aus dem Nichts kommt und zuschlägt. Aber es ist kein Film, sondern real: Es sterben gerade richtig viele Menschen! Und genau deshalb dürfen wir dieses Virus nicht als Erfolg feiern – auch nicht für den Klimaschutz. Ziel der Klimabewegung ist es, den Planeten zu retten, damit er uns Menschen und allen anderen Lebewesen als Lebensraum erhalten bleibt. Wie kann man sich also freuen, dass das Klima geschont wird, aber dafür Menschen schon jetzt sterben? Ist das wirklich ein akzeptabler Preis? Die Berichte aus den italienischen Krankenhäusern brechen mir das Herz. So will ich das Klima nicht retten! Darüber will und kann ich mich nicht freuen.

Luisa Neubauers Kolumne im Stern trug vergangene Woche den Titel: „Mehr als ein Infekt: Was uns das Coronavirus lehrt.“ Ich habe mich gefragt, ob es denn sinnvoll ist, Lehren zu ziehen, wenn man am Anfang einer Krise steht? Wenn deren Auswirkungen, Ende und Opferzahlen noch völlig ungewiss sind, vor allem angesichts dieser rasanten Dynamik? Sollte man nicht zuerst diese Krise überstehen und dann aus dem Geschehenen lernen?

Den Coronavirus mit dem Klimaschutz in Verbindung zu bringen oder Lehren daraus zu ziehen, halte ich momentan für wenig zielführend, auch wenn das eine das andere zweifellos beeinflusst. Wenn wir diesen Virus überstanden haben, einige von uns womöglich dann eine natürliche Immunität haben, weil sie die Krankheit durchlebt haben und der Rest durch einen Impfstoff geschützt werden kann, dann, ja dann geht es richtig los.

Dann haben wir hoffentlich gelernt, dass vieles, das für die meisten von uns selbstverständlich war, gar nicht selbstverständlich ist: weder Weltreisen noch Klopapier. Dann können wir evaluieren, welcher Verzicht beibehalten werden kann. Was nicht notwendig ist, was wir uns vielleicht sogar schon abgewöhnt haben. Und dann werden wir auch sehen, ob und welchen Effekt dieser Stillstand auf das Klima haben wird. Und dann ist es vielleicht auch die Zeit, sich darüber zu freuen, dass es uns allen jetzt wieder bessergeht.

Alle Meldungen zur aktuellen Coronavirus-Lage findet ihr zweimal täglich im SZ Espresso-Newsletter.

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