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Autofahren bleibt Gewohnheitssache trotz Klimadebatte und Urbanisierung
Das Auto gehört scheinbar selbstverständlich zum Leben dazu. Du wirst 18? Mach den Führerschein! Du verdienst Geld? Kauf dir ein Auto! Du suchst eine Wohnung? Ziehe in eine Gegend mit vielen Parkplätzen oder miete gleich eine Garage dazu. Du willst eine Familie? Kauf dir ein zweites Auto.
Wer in dieser Autowelt – so wie ich – keinen Führerschein hat, fällt aus dem Rahmen. Als 26-Jährige ohne Führerschein fühle ich mich oft so, als müsste ich mich für meine „Führerscheinlosigkeit“ rechtfertigen. Mir bleiben, trotz Klimadebatte und Urbanisierung, erstaunte Blicke und überraschte Ausrufe („Hä? Wie, du hast keinen Führerschein?!“) nicht erspart. Freund*innen üben gewollt oder ungewollt Druck auf mich aus und bombardieren mich mit Pro-Führerschein-Argumenten. Mit einem Führerschein wäre ich demnach: freier und unabhängiger, keine Last mehr für andere (zum Beispiel wenn wir in den Urlaub fahren) und für einen zukünftigen Kinderwunsch besser aufgestellt. Echt jetzt?
Das Kinderkriegen-Argument übt auf mich den meisten Druck aus. Wie soll das mit den Kindern gehen, ohne Auto?
In einem Internetforum fragt eine junge Mutter: „Bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich nicht Auto fahre?“ So absurd die Fragestellung klingt, ich kann ihre Zweifel nachvollziehen. Das Kinderkriegen-Argument übt auf mich den meisten Druck aus. Wie soll das mit den Kindern gehen, ohne Auto? Was machst du, wenn du Urlaub machen willst? Du kannst doch nicht mit zwei oder drei Kindern stundenlang Zug fahren! In unserer Gesellschaft scheint Kinderkriegen ohne Auto nicht möglich zu sein. Und während ich dieses Baby-Auto-Verhältnis hauptsächlich für konstruiert und nicht notwendig halte, sehen das nicht nur meine Eltern und Großeltern anders, sondern auch Menschen in meinem Alter. Dabei würde ich von Gleichaltrigen erwarten, dass sie mich besser verstehen oder sogar meine Sicht teilen.
Das oft fehlende Verständnis liegt wohl daran, dass Autofahren Gewohnheitssache ist. 2009 machten laut Kraftfahrt-Bundesamt 750 000 Menschen zwischen 17 und 24 Jahren einen Führerschein, 2019 nur noch 650 000. Der Anteil junger Menschen ohne Führerschein steigt also, doch eine Berechnung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft aus dem Jahr 2018 zeigte, dass immer noch 80 Prozent der jungen Menschen bis zum Alter von 24 einen Führerschein machen. Es ist also noch untypisch, keinen Führerschein zu besitzen.
Keinen Führerschein zu brauchen, ist ein Luxus, das ist mir bewusst: Ich bin in einer Großstadt aufgewachsen, habe in einer Großstadt studiert und wohne jetzt in einer Großstadt. Ich konnte immer öffentliche Verkehrsmittel nutzen, in Notfällen gab es Taxis. Bei Möbelkauf oder Umzügen plante ich etwas mehr Geld ein und buchte einen Liefer- oder Umzugsservice. Ich hatte nie das Gefühl, auf meine Freiheit oder auf meine Unabhängigkeit zu verzichten. Im Gegenteil: Die ewige Parkplatzsuche, der Stau, der Stress, die Instandhaltung, die Unfälle … Diese Dinge klingen für mich nicht nach Freiheit, sondern mehr nach Verpflichtung. Dazu kommt, dass man sich den Führerschein, ein Auto und die laufenden Kosten dafür erst mal leisten können muss.
Klar, es gibt Menschen, die ihren Alltag auch in der Stadt ohne Auto kaum bewältigen könnten. Gerade im Pandemie-Jahr 2020 ist das Auto für viele wieder eine echte Alternative zu überfüllten Öffis geworden. Das Land-Argument können aber nur vergleichsweise wenige vorbringen: In Deutschland leben gut drei Viertel der Menschen in Städten oder Ballungsräumen.
Wenn ich – vor allem in der Stadt – Auto fahren würde, wäre ich für Platzmangel, Luftverschmutzung und Stau mitverantwortlich
Und gerade in Städten wird es wegen der vielen Autos immer enger. Während Fußgänger*innen ihre schmalen Gehwege mit Fahrrädern, Rollern und Kinderwagen teilen, fahren Autos teilweise auf mehrspurigen Straßen mitten in der Stadt. Doch spricht man mit Autofahrer*innen, gibt es scheinbar immer zu wenig Platz für sie. Und so werden Grünanlagen in graue Zement-Parkhäuser umgewandelt, während sich Kinder und ihre Eltern mit einer winzigen Wiese zufrieden geben.
Obwohl das alles nichts Neues ist und vor allem junge Menschen immer umweltbewusster werden, erreichte 2020 die Zahl der gemeldeten PKWs in Deutschland einen neuen Höchststand: 47,7 Millionen Fahrzeuge sind auf den Straßen unterwegs. Tendenz steigend. Für mich ist das Führerschein-Thema deshalb Prinzipsache: Wenn ich – vor allem in der Stadt – Auto fahren würde, wäre ich für Platzmangel, Luftverschmutzung und Stau mitverantwortlich. Natürlich ist es nicht vollkommen konsequent, sich gleichzeitig ab und zu von Freund*innen oder auch für Geld „herumkutschieren“ zu lassen. Aber das kommt zum einen nicht oft vor und zum anderen ist nicht das das eigentliche Problem, sondern das Autofahren an sich. Deshalb bleibe ich ohne Führerschein – denn so kann ich in dieser Auto-Welt gar nicht erst zum Autofahren „verführt“ werden. Und für diese Entscheidung möchte ich mich nicht rechtfertigen müssen oder mir Probleme einreden lassen, die ich vielleicht nie haben werde. Also: Ja, richtig gehört, ich habe keinen Führerschein und finde das gut so.