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Der Protest-Pianist aus der Ukraine ist zurück

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Eine Wand aus Polizisten,  davor sitzt ein Mann auf einem Plastikhocker am Klavier. Es sind minus 15 Grad im November 2013. Auf dem Maidan in Kiew haben sich tausende Demonstranten versammelt. Sie sind wütend, weil der ukrainische Präsident Janukowitsch sich weigert, ein Abkommen zwischen EU und Ukraine zu unterschreiben. Die Proteste sind kurz vor der Eskalation, als Markiyan Matsekh sein Klavier auf den Platz schiebt und beginnt, Chopin zu spielen. Das Bild des Protestpianisten ging um die Welt.

Jetzt stimmen die Niederländer als letztes Land in der EU über genau dieses Abkommen mit der Ukraine ab. Und Markiyan Matsekh spielt wieder Klavier – in den Niederlanden, für ein holländisches „Ja“.

jetzt: Du bist bekannt geworden als Pianist vom Maidan. Jetzt versuchst du die Niederländer von einer Stimme für das Abkommen zu überzeugen – wieder mit dem Klavier. Warum denkst du, dass das der richtige Weg ist, zu protestieren?

Markiyan Matsekh: Ich weiß nicht, ob es der beste Weg ist. Es ist der einzige, den ich kenne. Ich dachte mir: Ich versuch’s und mache irgendwas. Dann habe ich Leute aus den Niederlanden getroffen und sie haben mir erzählt, dass da in allen Bahnhöfen ein Klavier steht, an dem jeder spielen kann. Und dann haben sie gesagt: Warum machst du nicht eine Tour? Ich fand das eine super Idee. Das ist eine Art, Aufmerksamkeit zu erregen, meine Botschaft rüberzubringen, mich auszudrücken. Und es ist ein sehr neutraler, friedlicher Weg, keine Propaganda. Mit dem Klavier kann ich etwas bewegen.

Glaubst du, dass du mit dem Klavierspiel andere Menschen erreichst als durchs Reden?

Naja, ich mache beides, Klavier spielen und reden. Es ist nicht so, dass ich einfach spiele und die Leute verstehen, was ich will. Also spiele ich, die Leute hören zu, und dann spreche ich mit ihnen. Eine sehr wichtige Hilfe sind die Medien. Die finden diese Story sehr interessant und helfen dabei, meine Nachricht rüberzubringen. Das ist sehr wichtig. Das Klavier verschafft mir Aufmerksamkeit. Und dann muss ich reden.

Du bist nicht der einzige Protestpianist. Davide Mortello hat am Taksim in Istanbul gespielt, Aiham Ahmed in den Ruinen der syrischen Stadt Jarmuk. Gibt es einen Grund, dass ihr alle das Klavier als Instrument gewählt habt, um eure politische Meinung zu unterstreichen?

Das ist eine gute Frage.  Das Klavier, die Musik, das ist beides unpolitisch. Es ist ein unverfälschter, neutraler Weg der Kommunikation. Und es ist schwer, Argumente dagegen zu finden. Die Nachricht geht nur in eine Richtung und die Leute hören sie oder auch nicht. Es gibt so viel Propaganda, Populismus und Hetze um das alles, da legt sich die Musik einfach drüber.

Also Protest ohne Aggressivität?

Naja, vielleicht nicht mal Protest, sondern Kommunikation, Ausdruck. In der ukrainischen Revolution fing alles an, sehr gewalttätig zu werden. Wir wurden beschuldigt, Nazis und Unmenschen zu sein. Es gab eine Menge Propaganda. Dabei war die Sache eigentlich klar und deutlich. Ich habe mein Klavierspiel zur Polizei gerichtet und die Botschaft, die wir ausgedrückt haben war: Wir wollen nicht kämpfen. Wir wollen nur ein normales Leben. 

Was für Lieder spielst du?

Das ist eine sehr gute Frage, denn eigentlich bin ich gar kein Pianist. Ich mache das nicht professionell, ich bin ein IT-Typ. Ich konnte zufällig ein bisschen Klavier spielen und ich gebe mein Bestes. Aber ich bringe mir alles selbst bei, ich spiele ein bisschen klassische Musik, Chopin und Mozart. Aber auch Coldplay, Beatles, Lennon, McCartney. Ich spiele auch Songs von Yann Tiersen und ein paar eigene. Aber das war’s dann auch schon. Ich muss mich oft wiederholen (lacht). Um das alles zu machen, musste ich die Stücke wieder einüben, die ich mal kannte, weil ich eine Zeit lang gar kein Klavier gespielt habe.

Also ist es egal, ob du Chopin oder Coldplay spielst?

Vielleicht würde es einen Unterschied machen, wenn ich meine Musik ganz bewusst auswählen würde. Aber ja, ich würde sagen, es geht nicht darum, was ich spiele, sondern dass ich es tue. Es geht darum, eine Parallele zu ziehen zwischen dem, was damals in der Ukraine passiert ist und jetzt. Das ist der wichtigste Punkt. Ein Teil der Botschaft ist, wie wichtig das für uns ist und wo wir durch mussten, um bis hierhin zu kommen. 

Glaubst du, dass man in den Niederlanden deine Position versteht?

Viele tun das nicht. Die meisten denken nicht viel über die Ukraine nach und das kann ich verstehen. Sie wurden in diese Entscheidung hineingezogen, ganz viele wollen sie gar nicht treffen. Das ist nichts, was sie so wirklich interessiert. Also ist es echt schwer, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber das, was ich mache – da würde ich sagen: Ja, eine Menge Leute können das verstehen und es gefällt ihnen. 

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