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Influencerin aus Russland spricht im Internet offen über Ukraine-Konflikt
Vor sechs Jahren begann Nika Wodwood alias nixelpixel damit, im russischen Internet und in Comics über alles aufzuklären, was mit Feminismus, Missbrauch und toxischer Männlichkeit zu tun hat. Ihr Youtube-Kanal hat rund eine halbe Millionen Abonnent:innen. Seit dem 24. Februar jedoch spricht sie in ihren Videos nur noch über den russischen Krieg gegen die Ukraine.
Das kann sie so offen machen, weil Nika sich selbst seit August 2021 im Exil in Wien befindet. Der politische Druck in Russland wurde ihr zu groß, die Drohungen gegen sie zu viele - deswegen hat sie sich in Moskau nicht mehr sicher gefühlt. Und jetzt könnte sie wegen des neuen Gesetzes, nach dem Menschen für 15 Jahre inhaftiert werden, wenn sie über den Krieg gegen die Ukraine sprechen, auch nicht mehr zurückkehren. Wir haben mit ihr unter anderem darüber gesprochen, wie sich Russland in den vergangenen Jahre zum Negativen verändert hat und wie man Putin stoppen kann:
jetzt: Du sprichst über LGBTQ-Rechte, Feminismus und den Krieg in der Ukraine - alles höchst unerwünschte Themen in Russland. Warum hast du ursprünglich damit angefangen?
Nika Wodwood: Ich wollte über Sachen aufklären, zu denen es nicht viele Informationen gab. Zum Beispiel über Sex, sexuelle Erfahrungen oder Menstruationstassen. Zuerst bin ich selbst auf eine feministische Influencerin gestoßen, und habe alle ihre Posts an einem Abend gelesen. Da habe ich erst gemerkt, dass ich viele Fragen habe - aber die meisten Antworten, die ich finden konnte, waren auf Englisch und nicht auf Russisch. Das hat mich dann motiviert, selbst Informationen auf Russisch zu sammeln, zu teilen und von meinen eigenen Erfahrungen zu berichten. Aber obwohl die russische Gesellschaft gefühlt immer aufgeklärter wurde, wurde die politische Lage immer schlimmer, und meine Arbeit damit immer schwerer.
„Während ich in Russland war, hatte ich die ganze Zeit Angst“
Was hat sich verändert?
2013 wurde ein Gesetz gegen die sogenannte „LGBT-Propaganda“ erlassen - seitdem ist aktivistische Arbeit in diesem Bereich extrem schwer. Gleichzeitig wurde häusliche Gewalt entkriminalisiert und Aktivist:innen immer stärker verfolgt. Menschen kamen ins Gefängnis, einfach nur weil sie als Aktivist:innen deklariert wurden. Von Jahr zu Jahr wurde es gefährlicher, in Russland zu bleiben. Die Regierung hat ein „Zentrum zur Bekämpfung von Extremismus“ gegründet und Spione auf uns angesetzt. Diese Typen sind nicht von der Polizei, deren einzige Aufgabe ist es, Informationen über uns zu sammeln. Sie folgen uns auf unseren Kanälen, sie infiltrieren die Chats unter unseren Posts, sie versuchen herauszufinden, wo wir uns treffen und kommen dann auch dazu. Sie machen Fotos und Aufnahmen und setzen uns auf die Liste unerwünschter Personen. Während ich in Russland war, hatte ich die ganze Zeit Angst. Ich hatte manchmal keine Ahnung, ob ich gerade einer echten Person antworte oder mich einem sehr großen Risiko aussetze, weil ich mit diesen Leuten schreibe. Das war alles super surreal.
Und dann hast du den Entschluss gefasst, ins politische Exil zu gehen.
Ja, als ich auf die Liste der unerwünschten Personen gesetzt wurde, habe ich Angst bekommen. Der Kreml-nahe Unternehmer Igor Ashmanov veröffentlichte eine Präsentation mit Namen, die über LGBTQ informierten. So habe ich erfahren, dass ich auch auf dieser Liste bin. Für meine feministischen Comics, die ich auch für Kinder illustriert hatte, wurde mir vorgeworfen, ich würde damit LGBTQ für Kinder „normalisieren“- ich musste auch Fragen bei der Polizei beantworten. Wenig später bin ich geflohen. Aktivistische Freund:innen um mich herum erlebten politische Bedrohungen, mussten hohe Strafen zahlen und kamen ins Gefängnis. Es war kein einfacher Entschluss, Russland zu verlassen, und es war ein langer Prozess.
Du hast vor drei Wochen auf Youtube ein Video hochgeladen, in dem du erklärst, was in der Ukraine gerade passiert, und unter dem dir Russ:innen und Ukrainer:innen für die Infos gedankt haben. Wie kannst du gerade Leute über Social-Media erreichen, wenn Medien wie Instagram in Russland gesperrt worden sind?
Die Verbotssituation in Russland ist gerade ein komplettes Chaos. Es gibt so viele Verbote, dass niemand mehr den Überblick darüber hat. Auf jeden Fall können viele Russ:innen Instagram trotz Verbot noch benutzen, und, was eigentlich wichtiger ist, Ukrainer:innen benutzen es auch noch. Denn ich teile Informationen, die Ukrainer:innen helfen könnten, zum Beispiel von wo in der Ukraine Busse nach Europa fahren und wo sie sich dazu anmelden können. Gleichzeitig versuche ich die Russ:innen bei den Protesten zu unterstützen, in dem ich mit meiner Reichweite Informationen teile, wo genau Proteste stattfinden. Ich habe dann auch ein paar Youtube-Videos gemacht, in denen ich über den Krieg gesprochen habe. Aber das ist nicht mein hauptsächliches Ziel: Vielmehr möchte ich die russischen Proteste unterstützen und Ukrainer:innen auf der Flucht helfen. Pro-Putin- und Pro-Krieg-Menschen sind sowieso nur sehr schwer zu erreichen. Die russische Medienlandschaft ist komplett zensiert, und andere Medien wurden eliminiert.
„Ich glaube, im Moment ist es so, dass man in Russland selbst nicht wirklich etwas bewirken kann“
Die Journalistin Marina Owsjannikowa und Arnold Schwarzenegger haben in den letzten Tagen und Wochen trotzdem versucht, genau diese Menschen zu erreichen. Glaubst du, diese Aktionen haben etwas gebracht? Wie erreicht man Menschen, die nur russische Propaganda konsumieren?
Ich denke, jede Solidarität mit den russischen Protesten und jeder Versuch, die Propagandamaschine zu sabotieren, um zu den Russ:innen durchzudringen, ist eine gute Sache. Eine weitere Möglichkeit ist es, unseren Protest finanziell zu unterstützen, zum Beispiel durch eine Spende an einen kürzlich gegründeten Streikfond, den „femagainstwar“. Das ist eine feministische Organisation gegen den Krieg, die Russ:innen vor Ort hilft, Streiks zu organisieren, um so die Aufmerksamkeit in der russischen Bevölkerung aufrecht zu erhalten.
Haben Russ:innen in Russland überhaupt noch eine realistische Möglichkeit, sich öffentlich gegen Krieg zu stellen, ohne dafür verfolgt zu werden?
Ich selbst bin gerade in einer privilegierten Situation, weil ich nicht mehr in Russland bin und deshalb frei sprechen kann. Ich verurteile deswegen auch niemanden, der sein Social-Media-Dasein nicht dafür nutzt, um offen über den Krieg zu sprechen. Menschen können dafür für 15 Jahre ins Gefängnis kommen. Die russische Regierung war in der Vergangenheit sehr erfolgreich damit, eine Atmosphäre der Angst und des Schreckens zu etablieren. In Russland kannst du für alles verurteilt werden, wirklich für alles. Du kannst alles richtig machen, und trotzdem zu deren Ziel werden. Ich glaube, im Moment ist es so, dass man in Russland selbst nicht wirklich etwas bewirken kann. Unsere Regierung hat keine Angst vor uns. Es ist ihnen egal, ob wir sterben, ob wir verhungern. Sie sind komplett losgelöst von jeder Realität. Ich denke, nur etwas von außerhalb könnte Putin noch aktiv aufhalten: Sein gesamtes Vermögen muss eingefroren werden, der Kauf von Öl und Gas muss gestoppt werden. Autos sind gerade nicht wirklich wichtig denke ich. Europa muss sich entscheiden - für Hyperprofite oder dafür, den Krieg zu stoppen. Ich wüsste nicht, was man sonst tun könnte. Putin und sein innerer Kreis müssen direkt getroffen werden.
Was berichten andere russische Anti-Kriegs-Aktivist:innen aus deinem Umfeld?
Freund:innen von mir, die Russland wegen des 15-Jahre-Gefängnis-Gesetzes verlassen, haben ernsthafte Probleme wegen der Sanktionen. Sie können kein Bankkonto in Europa eröffnen, und können so kein Geld von ihren Hilfsorganisationen erhalten. Ich habe Angst, dass sie bald von Obdachlosigkeit betroffen sind. Denn was machen diejenigen, die keine Freund:innen haben, die bereits im Ausland sind und helfen können? Es ist eine sehr komische Situation für uns Aktivist:innen und wir versuchen, einander so gut es geht zu helfen.
Du warst ja auch schon in Wien, als Putin den Angriffskrieg begann. Wie hat sich das für dich angefühlt?
Die ersten drei Tage waren ein kompletter Schock für mich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, deswegen habe ich einfach gesagt, dass ich gegen den Krieg bin. Am Anfang erschien mir das sehr wichtig, weil nicht viele Menschen das öffentlich gesagt haben. Ich glaube, die meisten Russ:innen haben nicht mit dem Krieg gerechnet. Durch den Schock konnte ich in den ersten Tagen nicht über den Krieg reden. Online habe Informationen geteilt, aber im realen Leben ist es mir am Anfang sehr schwer gefallen, darüber zu sprechen. Mittlerweile komme ich damit klar und kann auch privat darüber sprechen. Aber ich nehme auch sehr viele Medikamente, damit es mir gut geht. Schon vor dem Krieg habe ich durch den politischen Druck eine starke Depression erlitten, und auch jetzt bin ich auf meinen Therapeuten und meine Medikamente angewiesen.
Würdest du je nach Russland zurückkehren?
Gerade kann ich mir nicht vorstellen, in nächster Zeit nach Russland zurückzukehren. Wegen meines pro-ukrainischen Aktivismus würde ich in Russland sofort verurteilt werden. Ich werde nur nach Russland zurückkehren, wenn es einen Regimewechsel gibt.