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„Die pro-ukrainischen Memes liegen eindeutig in Führung“

Die Kunsthistorikerin Verena Straub forscht zur Rolle von Memes in politischen Kontexten.
Foto: Max Ernst Stockburger

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Memes sind Teil der öffentlichen Politik geworden. Und sie spielen eine große Rolle, wenn es um die Entlarvung russischer Propaganda geht. Die Kunsthistorikerin Verena Straub von der Universität Dresden untersucht Memes als politisch-visuelle Praxis. Wir haben mit ihr über Memes als Waffen und das Internet als Schlachtfeld gesprochen. 

SZ Jetzt: Wieso sind Memes so beliebt – auch im politischen Bereich? 

Verena Straub: Der Humor, der typisch für Memes ist, kann ein Mechanismus zur Überwindung schwieriger politischer Realitäten sein. Memes verwandeln einen passiven Beobachter in einen aktiven Teilnehmer. Ein Meme zu erstellen ist einfach. Memes bringen Menschen zusammen, um sie herum werden Gemeinschaften gebildet.

Welche Memes sind im Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine symbolisch geworden? 

Ganz besonders hervorzuheben sind die Memes der NAFO (North Atlantic Fella Organization, ein loser Zusammenschluss von Internet-User:innen, Anm.d.Red.). Das Ziel der NAFO ist es, russischer Propaganda entgegenzuwirken. Ihre Memes machen die Propaganda lächerlich, werden aber auch dafür genutzt, um  Spenden für die Ukraine zu sammeln. Das Symbol der Bewegung ist ein Shiba-Inu-Hund namens Fella. Der Hund taucht auf vielen Memes der NAFO auf.

Ein weiteres wichtiges Bild dieses Krieges ist das Saint Javelin Meme. Es zeigt das Bild einer Madonna, die die US-amerikanische Panzerabwehrrakete Javelin in der Hand hält. Das Meme ist zu einem Symbol des ukrainischen Widerstands geworden. Es wurde über das Meme auch ein Wohltätigkeitsverkauf für die Opfer dieses Kriegs organisiert, der angeblich eine Million Dollar einbrachte.

Was ist über NAFO bekannt – wer steckt hinter dieser Gruppe? 

Wie immer bei Memes ist es schwierig, ihre genauen Ursprünge zurückzuverfolgen, aber es wird angenommen, dass die Gruppe im Mai 2022 mit Tweets des polnischen Nutzers @Kama_Kamilia begann. Er postete einen Shiba-Inu-Hund in Kombination mit der offiziellen NATO-Flagge, die dann zu NAFO wurde. Das Meme wurde populär und andere Nutzer:innen begannen, ihre eigenen Interpretationen zu erstellen. Es gibt keine besondere Organisationsstruktur hinter der NAFO, jeder oder jede kann ein Meme erstellen und es mit dem Hashtag #NAFO veröffentlichen. Wenn man eine Spende vorweist, bekommt man einen eigenen Hunde-Avatar.  

„Wie relevant ist Humor in einer Situation echten menschlichen Leids?“

Wie erkennt man Propaganda in einem Meme? 

Bei einigen pro-russischen Tiktok-Memes, die ich untersucht habe, werden zum Beispiel die exakt gleichen Beschreibungen und Hashtags verwendet. Manchmal steht sogar das Wort „Beschreibung“ unter dem Meme: Als ob jemand einen Text, der ihm gegeben wurde, kopiert und eingefügt hätte, ohne ihn zu lesen oder die Anweisungen zu löschen. Ein weiteres Zeichen für Propaganda ist, wenn das Meme kaum verändert, sondern einfach geklont wird. Denn das Wesen der Meme-Kultur ist ja gerade die ganz individuelle Veränderung jedes Memes. Wenn sich nicht viel verändert, ist das verdächtig – wobei es natürlich auch sein kann, dass das ursprüngliche Propaganda-Meme auch unbezahlte Anhänger:innen überzeugt hat und diese dann tatsächlich einen ähnlichen Inhalt produzieren. 

Wer gewinnt deiner Meinung nach den Meme-Krieg: Russland oder die Ukraine? 

Die pro-ukrainischen Memes liegen eindeutig in Führung. Nicht nur, weil es unter den pro-ukrainischen Memes mehr erfolgreiche, lustige Memes gibt. Sie haben auch mehr Plattformen und Vertriebskanäle. Und das ist ein sehr wichtiger Aspekt der Meme-Kultur und des Internets im Allgemeinen. Tiktok zum Beispiel hat seit Anfang März alle Uploads für russische Nutzer:innen blockiert. Daher können diese ihre Inhalte viel schwieriger verbreiten. Russland selbst sperrt soziale Netzwerke für seine Bürger:innen. Natürlich können die Sperren umgangen werden, aber die Zahl der aktiven Nutzer:innen ist rückläufig. 

Russland ist also nicht nur wirtschaftlich und politisch isoliert, sondern auch in der Meme-Community. Die ukrainische Seite hingegen nutzt die Meme-Kultur zu ihren Gunsten: Im August veröffentlichte das ukrainische Verteidigungsministerium beispielsweise einen Tweet mit einem Shiba Inu und einem Dankeschön an die NAFO. 

Ja, und auch der ukrainische Verteidigungsminister Oleksiy Reznikov veröffentlichte einen Tweet mit einem Saint-Javelin-T-Shirt. Dies ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass Memes ein Phänomen sind, das nicht mehr ignoriert werden kann. Sie reichen über das Internet hinaus und betreten das Feld der öffentlichen Politik. Memes erreichen eine große Anzahl von Menschen. Politiker:innen können sie als Kommunikationskanal nutzen. 

Welche Arten von Memes gibt es in diesem Krieg? 

Ich würde verschiedene Arten unterscheiden: Zuerst einmal Bilder, die an sich schon eine starke Reaktion hervorrufen, zum Beispiel Putins langer Verhandlungstisch. Hier muss man nicht viel photoshoppen oder interpretieren. Das Originalfoto wurde selbst zu einem Meme. Die Nutzer:innen, die es verbreiten, machen sich über Putin lustig, aber ihre Postings drücken nicht unbedingt ihre politische Haltung aus. Manchmal soll es einfach nur lustig sein.

Memes mit dem Hashtag #NAFO sind insgesamt immer eine politische Aussage. Eine wichtige Kategorie von Memes innerhalb der NAFO-Bewegung sind Memes, die sich auf Bilder der Nachkriegsukraine beziehen. Zum Beispiel Krim-Memes, die eine Party auf der Halbinsel nach dem Sieg der Ukraine in diesem Krieg zeigen –­ etwa ein Shiba-Inu-Hund am Strand, der einen Strohhut und eine Brille trägt. Die NAFO bietet also eine politische Perspektive, eine Vision der Zukunft.

Eine weitere Art von Memes im Krieg sind Performance-Trends auf Tiktok, mit denen sich pro-russische und pro-ukrainische User:innen regelrechte „Battles“ liefern.

In welchen anderen politischen Kontexten haben Memes schon eine wichtige Rolle gespielt? 

Zum Beispiel im Zusammenhang mit Occupy Wall Street im Jahr 2011: Das Video eines Polizisten, der gleichgültig mit Pfefferspray auf Demonstrant:innen sprühte, wurde zu einem Meme. Durch die Übertragung der Szene auf andere Kontexte, wie das Gemälde „Declaration of Independence“ des amerikanischen Künstlers John Trumbull, die Freiheitsstatue oder auf verschiedene popkulturelle Bilder – von den Simpsons über Star Wars bis hin zu Katzen-Memes – wurde deutlich, mit welcher Geringschätzung der Polizist die Demonstrant:innen angriff, und wie absurd die Situation war. In anderen politischen Kontexten sind Memes zu einem Mittel geworden, um die Zensur zu umgehen.

Wie angemessen ist ein Shiba-Inu-Hund denn überhaupt angesichts der vielen Opfer dieses Kriegs?

In deutsch- und englischsprachigen Medien wird diese Frage oft diskutiert. Wie relevant ist Humor in einer Situation echten menschlichen Leids? Ich denke, es hängt viel von der Position der Akteure ab. Denn es ist eine Sache, wenn Ukrainer:innen lustige Memes über die Invasion ihres Landes posten, und eine ganz andere, wenn sich die postenden Menschen in den Vereinigten Staaten in Sicherheit befinden. Selbst wenn sie es als Geste der Solidarität mit der Ukraine tun. 

Doch die Memes haben ja auch reale Auswirkungen: Sie sammeln Ressourcen zur Unterstützung der Ukraine und können russischer Propaganda etwas entgegensetzen. Der Krieg dauert nun schon seit elf Monaten an, und die meiste Zeit davon – mindestens, seit die NAFO-Bewegung im Mai aufgetaucht ist – haben Memes die Aufmerksamkeit der Internetnutzer:innen immer wieder auf die Geschehnisse in der Ukraine gelenkt. Und das geschieht wahrscheinlich gerade wegen ihrer Leichtigkeit und ihrem Sinn für Humor. 

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