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Über Nacht... im Künstlercamp

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Vorsichtig tapsen wir um kurz nach 22 Uhr über die Schwelle von Tor Nummer 5. Es ist eine der wenigen Industriehallen, in denen jetzt noch Licht brennt. Ein Beamer wirft Wörter an die Wand und auf die gelbe Jacke einer Frau. Mit einem Bleistift malt sie die Umrisse von Buchstaben in die poröse Mauer. Später wird sie uns erzählen, dass sie Safak heißt. Safak ist Künstlerin und wohnt hier. „Wollt ihr mitmachen?“ fragt sie und drückt uns zwei Stifte in die Hand.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nachts hat man die Muße und Ruhe, Romane an die Wand zu malen.

Zwei Stunden zuvor sind wir angekommen im Künstlercamp der Ostrale in Dresden. Juliane, eine Leserin, hat uns hierher geschickt. Das Gelände ist eine Mischung aus Industriegebiet, heranwachsendem Urwald, Baustelle, Campingplatz und Museum. Die Ostrale ist eine alternative Messe für moderne Kunst. 200 Künstler aus 34 Ländern stellen von Juli bis Ende September auf dem ehemaligen Schlachthofgelände ihre Werke aus. Die meisten sind jung und haben sich noch nicht in der Kunstszene etabliert. Einige von ihnen leben hier. Heute Nacht schauen wir ihnen dabei zu. Wir kriegen Handtücher und Bettwäsche mit Blumen und Sternen drauf und ein Zelt.

Wir sind hier, weil wir ab sofort jede Woche an einem außergewöhnlichen Ort übernachten, den unsere Leser, also ihr bestimmt. Wir sind neugierig auf die Nacht und auf die Menschen, mit denen wir sie verbringen. Weil wir glauben, dass wir nachts die Menschen treffen, denen wir tagsüber nicht begegnen würden. Weil die Nacht ihre eigene Geschichten hat und weil der Schlaf einer der intimsten Momente des Menschen ist. Eine Künstlerkommune auf einem Industriegelände? Schlafen die hier nachts überhaupt? Was ist das Besondere an diesem Ort, was passiert dort nachts?

Das Camp, das lernen wir schnell, ist wie ein Abenteuerspielplatz, auf dem dich jeder zum Mitspielen einlädt. Safak drückt uns den Bleistift in die Hand, der nächste, den wir treffen, ein italienischer Künstler, einen Teller mit Grillfleisch und Paprika mit extra viel Knoblauch. An der Feuerstelle schnappen wir auch das aktuelle Camp-Gerücht auf: Angeblich hat dem Camp-Hund die Video-Installation von ein paar Dresdner Kunststudenten so gut gefallen, dass er das Kunstwerk mithilfe eines Kackhaufens zu seinem Revier erklärt hat.

Während die meisten Bewohner draußen zusammen sitzen und wirken wie eine große internationale Familie, arbeitet Safak weiter an ihrer Installation. Sie verbindet in ihrem Kunstwerk Zitate aus zwei Büchern („Schlachthof 5“ und „Siddhartha“) miteinander. Sie könnte die Texte auch einfach auf Klebefolie ausdrucken, statt die ganze Nacht hier mit einem Bleistift an der Wand zu stehen. Aber sie malt lieber selbst. Weil es länger dauert und sie das gut findet. Weil es sich dann anfühlt, wie ein richtiger Arbeitsprozess. Auch dass sie arbeitet, während die anderen zusammen sitzen, macht ihr nichts aus. „Die Nacht ist wunderschön. Da bin ich alleine und habe meine Ruhe.“ Safak hat immer ein Notizbuch bei sich, es gibt darin zwei Kategorien: Tag und Nacht. Darin notiert sie, was passiert – im Leben und im Schlaf.

Melanie von der „Mission O 14“ (einem Ausstellungsprojekt zum Thema Kunst und Raumfahrt) schläft mit ihrem Kollegen in einem bunten Wohnwagen, in der Nähe des Grills. Sie mag das Kommunenartige an der „Ostrale", auch wenn so ein enges Zusammenleben und Arbeiten natürlich auch mal anstrengend ist. “Man muss viel Energie reinstecken, aber man bekommt auch viel Energie wieder raus.“

Auch die anderen Schlafstätten sind nicht weit entfernt vom Grill: Drei Zelte, ein paar Ateliers und natürlich die winzigen roten Holzhütten, direkt am Lagerfeuerplatz. Diese Schlafplätze sind begehrt, Safak hat Glück gehabt, dass sie eine der 4-Quadratmeter-Hütten gekriegt hat, obwohl da wirklich nur das Allernötigste zum Leben reinpasst: Ein Bett, ein Nachttisch, ein Koffer, aus dem sie einen Monat lang lebt. Ein bisschen wie in Hesses Siddharta, findet sie.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Vier Quadratmeter Hütte müssen reichen.

Der Schlaf wird für uns im Camp zur Nebensache. Zu viel los hier. Auf dem Weg ins Zelt  machen wir noch einen Umweg über einen der großen Ausstellungsräume. Als wir an Bildern mit Hängebrüsten und einem Gemälde von Charles und Camilla vorbeilaufen, fühlen wir uns ein bisschen wie bei „Nachts im Museum“. Dann werden wir verscheucht, der letzte fleißiger Handwerker will jetzt, um kurz nach Mitternacht, auch mal ins Bett.

Diese Nacht liegen wir in unserem Zelt mitten in der Einflugschneise von Flugzeugen und Mücken. Den Sonnenaufgang verpennen wir natürlich, aber der Baulärm sorgt dafür, dass wir nicht zu lange schlafen. Tagsüber hämmert, bohrt und sägt es hier auf dem Gelände. Jetzt werden die groben, die lauten Arbeiten für die Ausstellungseröffnung gemacht, die Nacht hingegen, das wird jetzt klar, ist die Zeit für das Feinsinnige. Nachts, wenn die Handwerker weg sind, können die Künstler machen, was sie wollen. In Ruhe feiern oder ohne Druck Buchstaben kritzeln.

Der einzige richtige Raum zum Duschen ist chronisch überfüllt, wir können uns aber reinmogeln. Auf dem Rückweg treffen wir Safak. In der Hand hält sie eine Tüte Knäckebrot und einen Kaffee. Ihr Frühstück. Sie erzählt uns, dass sie noch bis 4 Uhr nachts Buchstaben auf die Wand gezeichnet hat.

Wo und was sollen die Crowdspondent-Reporterinnen in den nächsten Wochen recherchieren? An welchen ungewöhnlichen Orten könnten und sollten sie dabei übernachten? Schickt sie schlafen! Hier in den Kommentaren oder per jetzt-Botschaft, oder per Facebook, Twitter oder crowdspondent.de. 

Text: steffi-fetz - und Lisa Altmeier

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