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"Der Hype wird immer größer"
In zwei Jahren habe ich mehr als 20.000 Kilometer in vier Ländern zurückgelegt, habe auf durchgelegenen Matratzen in viel zu kleinen Zimmern, aber auch in Hotelbetten geschlafen. Je nach Stadt. Viele Slam Poeten verbinden mit Städtenamen keine Sehenswürdigkeiten sondern Bilder von Bühnen und Backstageräumen. Man wird oft gefragt, warum man diese Strapazen auf sich nimmt, wo es doch beim Poetry Slam nicht sehr viel Geld zu verdienen gibt. Meine persönliche Antwort lautet: „Meistens, wegen des Publikums“.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Poetry Slams gelten als neue, kulturelle Superevents obwohl sie eigentlich nicht so neu sind. Viele Leute entdecken Literatur und Poesie dadurch neu für sich. Der Hype wird immer größer. In scheinbar jeder Stadt mittlerer Größe gibt es mindestens einen monatlichen Poetry Slam, der regelmäßig ausverkauft ist. Dabei kommt dem Publikum auch die entscheidende Rolle zu: Es entscheidet über den Gewinner des Abends. Ein Poetry Slam lebt von dem Zusammenspiel der Poeten mit den Zuschauern und umgekehrt. Wir reisen von Stadt zu Stadt für den Applaus, für das Lachen oder die Rührung der Zuschauer.
Es ist also nicht verwunderlich, dass Slam Poeten inzwischen gerngesehene Gäste in anderen Formaten sind. Ob an Schulen, wo sie Workshops leiten, im Radio, wo sie Interviews geben oder im Fernsehen, wo sie Fragen beantworten und Texte vortragen. Wenn eine Plattform als jung oder dem Zeitgeist angepasst gelten möchte, dann steht ein Poetry Slam auf dem Programm. So auch am Sonntag, wenn der neue Sender ZDFkultur um 21.40 Uhr einen Poetry Slam im Rahmen seines Eröffnungswochenendes live aus Berlin übertragen wird. Ich werde dann auch dabei sein. Jetzt könnte man natürlich die Frage stellen, worin der Reiz für einen Poeten liegt, im Fernsehen aufzutreten, wenn ein Poetry Slam doch vom Publikum lebt, das vielleicht nicht so zahlreich vor Ort sein wird, sondern unsichtbar und unhörbar vor den Bildschirmen sitzt.
Ich glaube, dass es eine seltsame, aber auch eine spannende Situation werden wird. Wenn man einen Text vorträgt, dann ist man an bestimmten Textstellen aus Erfahrung gewisse Reaktionen gewöhnt. Sicher werde ich mich fragen, ob die Leute vor dem Fernseher an denselben Stellen lachen werden, wie das Publikum im Studio. Oder ob das Gefühl, das der Text transportieren soll, die Menschen hinter den Bildschirmen überhaupt erreichen kann.
Das klassische Verhältnis zwischen dem Publikum und den Slammern ist bei einem TV-Auftritt zerschnitten. Der Reiz für mich ist darum in diesem Fall ein anderer: Ich freue mich auf den Abend, weil ich Freunde treffen werde. Die Slamszene ist wie eine große Zirkusfamilie. Man trifft sich ständig in anderen Städten wieder oder reist gemeinsam weiter. Ich freue mich, dass ich die Möglichkeit haben werde, diese Szene im Fernsehen zu repräsentieren und natürlich ist es auch eine Ehre, schließlich gibt es sehr viele gute und erfolgreiche Kollegen, die genauso die Berechtigung hätten, dort aufzutreten. Ich denke, dass es der Szene nur gut tun kann, eine breite Plattform zu bekommen, auf der sie wahrgenommen wird. Man kann sich selbst, aber auch vielen anderen Gehör verschaffen, indem man dort auftritt. Darum bin ich gerne ein Teil davon.
Insgesamt empfinde ich die beschriebene Entwicklung als positiv. Die Poeten und Veranstalter, die viele Jahre dafür gearbeitet haben, bekommen so ihre verdiente Anerkennung. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, die sagen, Poetry Slam sei eigentlich eine Subkultur und solle es auch bleiben. Aber ich denke nicht, dass etwas, das so beliebt ist, auf lange Sicht hin klein gehalten werden kann. Die Gefahr, dass der Hype bald vorbei sein könnte, sehe ich auch nicht. Es gibt unglaublich viele Menschen, die von Poetry Slams noch nichts gehört haben. Jeder Poetry Slam hat seine eigene Dramaturgie, jeder Abend verläuft unterschiedlich. Darum ist es immer etwas anderes.
Wenn Menschen, die mit dem Format noch nicht vertraut waren, die Sendung am Sonntag sehen werden und am Ende sagen: „Super, so etwas schau ich mir in Zukunft öfter bei uns in der Stadt an!“, oder noch besser: „Das hat mich inspiriert, ich möchte auch etwas schreiben!“, dann bin ich froh, hierzu einen Beitrag geleistet zu haben.