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China-Kolumne. Heute: Der chinesisch-deutsche Sprichwörtervergleich
„Becher, Bogen, Schlange, Schatten“ - jeder Chinese weiß, was gemeint ist. Es handelt sich dabei um ein typisches Chengyu, ein chinesisches Sprichwortdestillat in vier Zeichen. Voraussetzung für das Verständnis solch kryptischer Rätselsprüche ist, die ihr zugrunde liegenden historischen Parabeln zu kennen. In diesem Fall handelt sie von zwei Freunden, die sich regelmäßig auf ein Plausch und einige Becherchen Reiswein treffen. Als der eine todkrank und bettlägerig wird, fängt er an, den anderen zu beschuldigen: Es hätte an dem Reiswein gelegen, beim letzten Treffen sei eine Schlange in seinem Becher gewesen. Das kann doch nicht sein, sagt der andere, wie kannst du es wagen, du unhöflicher Rüpel etc. Wie dem auch sei, am Ende stellt sich heraus, dass der eine Kerl ein Hypochonder ist und die Schlange eigentlich ein Schatten war, den ein an der Wand hängender Bogen in seinen Weinbecher geworfen hat. Auf Deutsch kann man es kürzer halten: man sagt bekanntlich, so einer sehe Gespenster.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
„Steter Tropfen höhlt den Stein, probieren geht über studieren und schließlich ist noch kein Meister vom Himmel gefallen...“ Wenn in Deutschland jemand durchgehend in volkstümelnden Allgemeinplätzen daherpalavert, möchte man ihm schnellstmöglich den Mund verbieten, aber in China zeugt es durchaus von gutem Stil und Eloquenz, häufig Spruchweisheiten zu zitieren. So spricht man, wenn von einem gottes- und gesetzeslosen Menschen die Rede ist, von einem „Mönch, der mit Schirm herumläuft“. Ein Mönch hat in China traditionellerweise keine Haare (Fa) auf dem Kopf. Fa heißt, leicht anders intoniert, wiederum Gesetz. Spannt er noch einen Regenschirm auf, hat er nicht mal einen Himmel über sich. Deshalb also. Chinesische Sprichwörter spielen meist mit Doppeldeutigkeiten, die sich einerseits aus minimalen akustischen Abweichungen, andererseits aus den unzähligen semantischen Ungenauigkeiten der chinesischen Sprache ergeben; und sie speisen sich aus Volksweisheiten aus 5000 Jahren Geschichte. Klartext wird jedenfalls nicht gesprochen. Eher ist im Chinesischen alles "Pferd, Pferd, Tiger, Tiger" (ausgesprochen: Mama Huhu) - Wischi-Waschi. Was soll das, ihr gelbgesichtigen Spinner? Gute Frage, aber teilweise wissen nicht mal Chinesen selbst, worauf die verschwurbelten Formulierungen wurzeln. Beispiele gefälligst? Wer kündigt, „brät die Tintenfische“. Trägt man feste Überzeugungen mit sich, hat man „einen Bambus in seinem Brustkorb stecken“. Weitere wunderschöne Metaphern: „Vom Pferdesattel aus Blumen betrachten“, was soviel heißt wie Dinge flüchtigen Auges zur Kenntnis zu nehmen. Findet man jemanden einen Aufschneider, der sich mit fremden Federn schmückt, schimpft man ihn besser „ein Fuchs, der sich die Macht des Tigers borgt“. Wer „das Haus mit der Krähe drauf liebt“, liebt jemanden mit Haut und Haaren, oder pragmatischer: Wer A sagt, muss auch B sagen. „Mit einem Bambuskorb Wasser schöpfen“ bedeutet vergebliche Müh', vergleichbar mit „wie gewonnen, so zeronnen.“ Überhaupt können noch einige andere Parallelen zu deutschen Redewendungen gezogen werden. „Zhang Wang Zhao Li“ kann man mit „Müller Schmidt Meier Schneider“ übersetzen und sagt man, wenn man abfällig über Hinz und Kunz oder Ottonormalverbraucher spricht. „Ein Stein, zwei Vögel“ ist das Äquivalent zu "zwei Fliegen mit einer Klappe". Wer vom Teufel redet, spricht im Chinesischen von einem anonymen Typ namens „Caocao“: Wenn von ihm die Rede ist, kommt er gleich um die Ecke. Macht man gerne aus einer Mücke einen Elefanten, vergleicht man eine Angelegenheit mit einem „Härchen von neun Ochsen“. „Papiertiger, die keine Menschen erschrecken“ sind Hunde, die bellen, aber nicht beißen. Eigentlich sollte zur Völkerverständigung dringend ein deutsch-chinesischer Sprichtwortaustausch her. In einer ersten Runde könnten „ein blindes Huhn findet auch ein Korn“ und „der frühe Vogel fängt den Wurm“ übersetzt werden. Die Chinesen würden diese bildhaften Sprichwörter sofort in ihren Sprachgebrauch übernehmen. Die Deutschen könnten wiederum lernen, wie man zum Beispiel das Prinzip Doping schön umschreiben kann. "Mit gemaltem Kuchen den Hunger stillen“, würde man nämlich in China sagen.