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Tschick: Interview mit Fatih Akin
Als "Tschick" zum Bestseller wird, stehen schnell Regisseure und Produktionsfirmen bei Wolfgang Herrndorf Schlange. Alle wollen den Jugendroman des aufstrebenden Autors auf die Leinwand bringen. Die Geschichte über zwei Pubertierende, die mit einem geklauten Lada durch das ostdeutsche Hinterland brettern, verkauft sich etwa zwei Millionen Mal. Herrndorf selbst schreibt in einer Mail an einen Freund, er würde die Rechte für 1000 Euro verhökern, wenn es denn einen geeigneten Regisseur dafür gäbe. Wolfgang Herrndorf ist zu diesem Zeitpunkt bereit an Krebs erkrankt. 2013 stirbt er. Einer Verfilmung seines größten Erfolgs stimmt der Schriftsteller vor seinem Tod noch zu. Hauptsache, es werde keine deutsche Comedy, dazu wolle er "Tschick" auf keinen Fall verhackstückelt sehen.
Fatih Akin ist kein Kandidat für verzweiohrkükte Komödien. Mit seinen Filmen „Gegen die Wand“ und „Soul Kitchen“ feierte der Regisseur internationale Erfolge. Doch beide Filme haben etwas, das bei „Tschick“ fehlt: Zeit. Nur sieben Wochen vor Drehstart ersetzt Akin den ursprünglichen Regisseur David Wnendt. Drehbuch umschreiben, Schauspieler casten, Settings abklappern. Akin hat es geschafft. Ohne viel draufrumdenken, dafür mit mehr Bauchgefühl. Ein Anruf.
jetzt: Fatih, du hattest sieben Wochen Zeit, den Film vorzubereiten. Das ist, gelinde gesagt, knapp. War „Tschick“ für dich, was der Road-Trip für die Protagonisten ist? Ein spontaner Aufbruch ins Ungewisse?
Fatih Akin: Auf jeden Fall habe ich eines durch die Nummer gelernt: Intuition. Ich habe noch nie bei einem Film so viele Dinge aus dem Bauch entschieden. Eigentlich bin ich ein vorsichtiger Regisseur, überlege 20 Mal, ob ich Sachen mache oder nicht. Aber „Tschick“ wollte ich schon nach dem ersten Lesen des Romans verfilmen. Dann hat mir das Leben diese Möglichkeit geschenkt und ich habe nicht mehr lange gezögert.
Was hat dich so begeistert an Herrndorfs Roman?
Runtergebrochen waren es: die Stimmung und das Gefühl. Die Zärtlichkeit der Figuren untereinander, und die des Autors zu seinen Figuren.
Und wie hast du es geschafft, diese Zärtlichkeit auf die Leinwand zu bringen?
Ich habe den Roman gemeinsam mit den Drehbuchautoren zerlegt, und wir haben unsere Lieblingsszenen diskutiert. Der zweite wichtige Punkt war, dass man die Jungs richtig gut castet. Ich wusste, wenn ich gute Kids hab, die ich gut führen kann, dann funktioniert das.
Hattest du Angst, dem Roman nicht gerecht zu werden?
Ja, am Anfang. Wegen der knappen Zeit. „Tschick“ ist nicht irgendein „Tatort“. Wenn man das versaut, können einem das viele Leute übel nehmen. Außerdem musste am Drehbuch noch viel geändert werden.
Was hat geholfen, die Angst zu überwinden?
Ich habe Herrndorfs Sprache vertraut. Notfalls, habe ich gesagt, komme ich mit dem Roman ans Set. Das Buch ist so visuell geschrieben, das ist eigentlich schon ein Drehbuch.
In „Tschick“ geht es um „den besten Sommer von allen“. Kannst du dich noch an deinen erinnern?
Das war die Zeit nach dem Abi. Schule war für mich wie Knast – mein Alcatraz. 1994 hatte ich mein Abitur in der Tasche und einen Studienplatz in Hamburg an der Hochschule für Bildende Künste. Meine Zukunft war abgesichert, ich war in Hamburg und konnte drei Monate voll geil chillen.
Obwohl „Tschick“ ein Roman über zwei Jugendliche ist, können viele Erwachsene sich damit identifizieren, weil sie es auf ihre eigene Jugend projizieren. Ist es nicht möglich, dieses Gefühl als Erwachsener zu wiederholen?
Wir werden alle älter. Aber wenn wir so einen Film sehen oder so ein Buch lesen, dann hält das Älterwerden für einen Moment still. Wenn man sich mit den Jungs auf der Leinwand identifizieren kann, dann ist man für den Moment nochmal 14. Viele genießen das. Ich fand 14 immer scheiße.
Warum?
14 war furchtbar. Ich war hässlich, unbeliebt und verliebt in ein Mädchen, das nichts von mir wollte.
Bist du ein Außenseiter gewesen?
Ich war ein totaler Außenseiter. Das war auch einer der Gründe, warum ich „Tschick“ drehen wollte. Ich war immer der Durchgeknallte. Ein Künstler, der Filme machen will, komische Klamotten trägt und merkwürdige Musik hört. Wenn man mit zwölf Prince geil findet, gilt man ja schon mal als Spinner.
Also eigentlich genau wie Maik Klingenberg in „Tschick“. Du bist aber nicht mit deinem besten Kumpel Richtung Walachei gebrettert, um das zu überwinden.
Nein, der Wunsch, Filme zu machen, hat mich gerettet. Mit 16 wusste ich, ich gehe zum Film und ich werde das schaffen. Das war meine Leidenschaft, mein Freund und die Stütze in meinem Leben. Das hat mir Halt gegeben.
Du hast letztens auch gesagt, „Tschick“ habe dich gerettet? Woraus musstest du gerettet werden?
Ich hatte nach meinem letzten Film „The Cut“ große Selbstzweifel.
Ein Film über den Völkermord an den Armeniern, für den du viel Gegenwind bekommen hast. War die Kritik der Grund für deine Selbstzweifel?
Ja, ich habe mich nach den Rezensionen wie verprügelt gefühlt. Der Film war für mich, wie der erste Kampf von Mohammad Ali gegen Joe Frazier. In der 14 Runde streckt Frazier Ali mit einem Aufwärtshaken nieder. Ein Schlag, so heftig, danach steht man eigentlich nicht mehr auf. Aber Ali war wieder auf den Beinen. Für mich war „The Cut“ genau dieser Schlag. Ein Uppercut sozusagen (lacht). „Tschick“ gab mir die Möglichkeit, mich wieder schnell aufzurappeln.
In unserer Generation zieht es die Leute für das „Abenteuer“ immer weiter in die Ferne – Australien, Asien, Kanada. Die Protagonisten in „Tschick“ finden das Abenteuer in Deutschland im Umkreis von vielleicht ein paar hundert Kilometern. Wie wichtig ist Entfernung für das Abenteuer?
Ich glaube, die Weite ist um die Ecke. Das, was wir suchen, muss nicht am Ende der Welt sein. Das kann auch vor der eigenen Haustür liegen. Heute reisen wir weit weg, weil es möglich ist, für ein paar Euro an den Arsch der Heide zu fliegen. Ich hab das früher mit dem Interrailticket gemacht. Für 250 Mark konnte ich drei Wochen durch die Welt fahren. Die Generation davor war wahrscheinlich noch wie in „Tschick“ in der deutschen Provinz unterwegs.
Bist du eher Tschick oder eher Maik?
Ich bin beide. Ich hab von Maik das Verträumte, das Melancholische, das Nachdenkliche und Vernünftige. Und von Tschick hab ich den Leichtsinn und das Gewitzte.
Bevor Herrndorf ein gefeierter Autor wurde, war er Karikaturist und Maler. Hatten seine Bilder Einfluss auf die Komposition der Szenen?
Ich habe Herrndorfs Bilder zusammen mit meinem Kameramann studiert: Wo ist der Horizont? Wie fängt er das Licht ein? In bestimmten Einstellungen im Film sieht man das. Da steht der Lada in einer Horde Kühe oder parkt unter einem Baum. Das sind quasi Herrndorf-Bilder.
Die Musik im Film ist sehr aktuell. Bilderbuch, K.I.Z, Seeed. Besteht nicht die Gefahr, dass die Verfilmung dadurch weniger zeitlos wird als der Roman?
„Willkommen im Dschungel“ von Bilderbuch ist ein zeitloser Song. Der klingt ja fast wie Falco in den Achtzigern. Und die schleppenden Beats und locker gesprochenen Rhymes bei „Hurra, die Welt geht unter“ von K.I.Z erinnern ja auch eher an 90er-Hip-Hop. Unsere Überlegung war: Bei welchem Song würden die Jungs das Radio anlassen? Ob das veraltet, wird die Zeit zeigen.