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„Ich brauche noch eine Nacht mit ihr, mindestens eine“

Illustration: Pia Wermuth

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Eine Trennung ist wie der Tod eines geliebten Menschen, sagen die einen. Eine Trennung ist wie ein Wiedergeburt, die anderen. Unserem Autor ist nur eins klar: Seine aktuelle Trennung ist weder das eine noch das andere, sondern einfach das überfordernste Gefühl, das ihm in seinen 25 Lebensjahren widerfahren ist. Also schreibt er darüber. Soll ja angeblich helfen.

Psychologen teilen Trauer in fünf Phasen ein: Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Ich dachte, ich sei bereits bei der letzten Phase angekommen. Als es mir ein paar Tage lang gut geht, in der Arbeit auf einmal alles läuft und ich gleichzeitig höre, dass es Lisa wohl nicht so gut geht, denke ich mir: Das wäre doch eine tolle Idee, sie während ihrer Barschicht spontan zu besuchen. Einfach mal nachfragen, wie es ihr so geht.

Ich bin ein Idiot.

Schon als ich auf den Laden zugehe, bemerkte ich meinen Fehler, aber da ist es schon zu spät. Ich sollte auf mein Bauchgefühl hören – hörte aber lieber auf meinen Kopf. Als ich unsere ehemalige Stammkneipe betrete, steigen mir bereits fast die Tränen in die Augen. Dieser Laden war quasi unser Wohnzimmer, ausgestattet mit Tresen und Zapfhahn. Warum ist das jetzt vorbei? Ich vermisse dieses Gefühl, das sich verlässlich eingestellt hat, wenn ich sie erst verschwommen durch die Fenster und das warme Barlicht hinter dem Tresen sah. Sekunden später hatte ich sie dann in meinem Arm und wir tauchten gemeinsam ein in die goldene Suppe aus Zigarettenrauch, Kerzenlicht, Musik und den Stimmen unserer Freunde. So wird es nie wieder sein. Jetzt kann ich hier nur noch hingehen, wenn ich hoffe, dass sie nicht da ist.

Nachdem ich mich durch das erste Pulk Menschen an der Tür gekämpft habe, entdecke ich sie sofort. Wir haben uns einige Wochen lang nicht gesehen, darf man da so unangekündigt reinschneien? Wie begrüße ich sie? Wie früher direkt hinter die Bar gehen und sie in den Arm nehmen? Oder lieber verstohlenes Winken, mit unsicherem Lächeln? Doch bevor ich zu einem Ergebnis komme, sieht sie mich und strahlt und grinst gleichzeitig verwirrt. Ohne irgendeinen Plan, ohne nachzudenken bewege ich mich auf sie zu und bringe den Barbetrieb kurzzeitig zum erliegen. Als Lisa in meinen Armen liegt, braucht es keine große Erklärung, warum ich hier bin. Das unausgesprochene Verständnis ist sofort wieder da, wenn auch mit anderer Intimität konnotiert.  

Als sie weiter arbeiten muss, sind lange Gespräche erstmal nicht möglich. Lisa stellt mir ungefragt eine Weinschorle in meinem Lieblingsglas hin. Drei, vier Platten und das häufige Schnalzen des Kellnergeldbeutels später stehen wir draußen bei einer Zigarette. Als ich sie frage, wie es ihr denn so gehe, sagt sie, schon ganz okay. Sie habe sich aber in letzter Zeit öfter rückblickend über mich geärgert. Ich verschlucke mich glatt an meiner Weinschorle. Sie ärgert sich über mich? Sie, die mich verlassen hat? Über mich, der bekanntermaßen fehlerfrei ist? Was erdreistet sie sich? Praktischerweise hat sie ihre Zigarette genau so getimt, dass sie nach dieser Aussage direkt wieder rein muss. Ich gehe ihr hinterher und warte darauf, dass es sich langsam leert. 

All die sorgsam aufgebaute, passive Wut der letzten Wochen verpufft innerhalb von Sekunden

Als sie eine halbe Ewigkeit später die Eingangstür von innen zusperrt und sich die erste Indoor-Kippe anmacht, ist die Bühne frei für ein weiteres Kapitel unserer Auseinandersetzungen. „Worüber ärgerst du dich denn bitte?“, frage ich. Sie antwortet: „Was du mir immer alles vorgeworfen hast, die ganzen unbegründeten Eifersüchteleien. Ich habe zwischenzeitlich wirklich gedacht, dass ich ein schlechter Mensch bin und vielleicht wirklich unterbewusst mit anderen schlafen will. Aber das war alles nur deine Unsicherheit, seit der Trennung habe ich mich komischerweise nicht über die halbe Stadt hergemacht. Was man von dir ja anscheinend nicht behaupten kann.“ Jawoll. Ich habe mit vielem gerechnet, aber damit definitiv nicht. Alle sorgfältig in den letzten ein, zwei Stunden vorbereiteten Comebacks müssen zurück in die Schublade und Improvisation ist angesagt: „Ich hatte sehr wohl Grund eifersüchtig sein. Was war denn mit X, hast du nicht mehrmals mit Y rumgemacht und überhaupt, wenn wir schon bei Rumgeficke nach Trennung sind, dann erinnere dich bitte an unsere erste. Der Dude ist auch noch ewig danach rumgegeistert.“

Interessant, wie schnell wir wieder in einem Kreislauf gefangen sind, von dem wir doch beide wissen, dass er zu nichts führt. Mit den ständig gleichen Konsequenzen: Da wir parallel zu diesem Gespräch gut Weinschörlchen tanken, fühle ich in mir neben Resignation auf einmal auch wieder Hoffnung, ja sogar körperliche Lust. Klar, ich habe den Sex eh vermisst, aber wirklich vorstellen, es wieder zu tun, konnte ich mir nicht. Bis jetzt. All die sorgsam aufgebaute passive Wut der vergangenen Wochen verpufft innerhalb von Sekunden. Und genau deswegen warte ich, bis sie die Bar fertig gemacht hat, sitze noch am Tresen, während sie die Musik abstellt und die Lichter ausmacht, und halte ihr die Tür des Ladens auf. Packe ihren Plattenkoffer auf mein Fahrrad und trotte neben ihr auf unserem tausendmal beschrittenen Nachhauseweg über den Fluss, über die Brücke in unser Viertel, in ihren Innenhof. Dort fängt es nicht nur an zu regnen – das ganze Leben ist ein Scheißklischee – sondern wir fangen auch an uns leidenschaftlich zu küssen. Mir doch komplett egal, was das jetzt für Folgen hat. Ich brauche noch eine Nacht mit ihr, mindestens eine. Um abzuschließen. Oder um herauszufinden, ob da doch noch was ist. Ob das alles ein Riesenfehler war.

Sie nimmt ihren Plattenkoffer und verschwindet, gefühlt für immer

Während ich mich also innerlich schon auf ihr Zimmer freue, beweist Lisa mal wieder jene Vernunft, die mich schon während der Beziehung oft ungläubig zurückgelassen hat. Sie entzieht sich meiner Umarmung und stammelt etwas von „So sehr ich auch mit dir schlafen will, das macht keinen Sinn. Morgen bereuen wir es“. Wie kann man denn in so einem Moment an morgen denken? Ich versuche alles, lasse wirklich jeglichen Anspruch auf Stolz oder Würde fallen und gebe mich auf, um aus diesem Regen in dieses Treppenhaus zu kommen. Keine Chance. Sie nimmt ihren Plattenkoffer und verschwindet, gefühlt für immer. Ich breche, nicht nur gefühlt, bei dem Versuch, nach Hause zu kommen, zusammen. Es ist plötzlich viel zu kalt, zu regnerisch, der Weg zu steil und ich bin zu betrunken. Schreiend, torkelnd und zitternd komme ich irgendwann doch noch in meiner Wohnung an. Der absolute Tiefpunkt. Als ich am nächsten Mittag aufwache, fühle ich mich so fertig wie noch nie. Meine Gedärme rebellieren nicht mehr, sie haben sich aufgelöst. In meinem Kopf sieht es aus wie nach einem Sturm auf dem Meer. Sich schnell bewegende Wolken in allen Grautönen und eine glatte See, die gerade noch alles erlebt hat. Aber wie in diesem Szenario üblich, gibt es auch in meinem Hirn diese eine kleine Stelle, durch die sehr vorsichtig weißes Licht bricht.

* Unser Autor möchte lieber anonym bleiben. Vermutlich werden es einige Bekannte trotzdem bemerken, aber damit kann er leben. Seine Ex-Freundin auch, wenngleich sie nicht glaubt, dass ihre Trennung jemanden interessiert. Vielleicht hat sie recht.

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