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Schönheitsideale stressen auch diejenigen, die sie setzen

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke; Foto: Evan Agostini / dpa

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Als ich 2015 das letzte Mal in Vietnam war, machten meine Großeltern unzählige Aufnahmen von mir und luden sie auf Facebook hoch. Es waren Bilder von mir in allen möglichen Situationen: beim Sightseeing, beim Essen, beim Rumsitzen. Ich fand keines der Bilder wirklich schön – auch wenn meine Großeltern beteuerten, dass das alles klasse Fotos seien. Ich hätte sie am liebsten alle gelöscht. Im Grunde kann ich also zumindest erahnen, was in Khloé Kardashian vor etwa zwei Wochen vorging, als ihre Oma ein Foto von ihr machte – und sich das wohl durch ein Versehen im Netz verbreitete.

Was uns dabei natürlich unterscheidet: Erstens guckt bei mir nicht die ganze Welt hin. Zweitens würde ich deshalb vermutlich eher kein Anwaltsteam losschicken, um die Verbreitung des Fotos zu verhindern. Khloé Kardashians Team war dabei auch nur semi erfolgreich: Es setzte zwar durch, dass eine Instagram-Seite, auf der das Bild zuerst prominent auftauchte, das Bild löschen müsste. Seither ist es aber noch immer auf   vielen Websites, in Youtube-Videos und natürlich im Kardashian-Reddit zu sehen. 

Es ist eine unretouchierte Aufnahme und somit ein seltener Moment in der sonst so kuratiert-inszenierten Kardashian-Welt

So viel Drama um ein Bild, an dem eigentlich nichts falsch ist: Darauf sieht man Khloé im Bikini vor einem Pool stehen. Sie lächelt in die Kamera, ihre Haare sind zu einem einfachen Zopf gebunden, das Make-up dezent. Es ist eine unretouchierte Aufnahme und somit ein seltener Moment in der sonst so kuratiert-inszenierten Kardashian-Welt. Ein Fakt, den viele Fans mit Begeisterung kommentierten.

Khloé war trotzdem nicht begeistert. Sie reagierte mit einem Selfie-Video in Unterwäsche, einem Ausschnitt eines Instagram-Livestreams und einem Statement auf Instagram. Darin erklärt sie unter anderem, dass sie das Recht haben sollte, über ihren Körper, ihr Aussehen und die veröffentlichten Bilder zu entscheiden. Sie erzählt von konstantem Druck und ihrer lebenslangen Erfahrung mit Abwertungen und Häme. „Zu versuchen diesen von der Öffentlichkeit auferlegten, unerreichbaren Standards gerecht zu werden, ist fast unerträglich.“ Ich finde es mutig, so ein Statement zu veröffentlichen und so ungeschönt mit den eigenen Zweifeln umzugehen. Doch so gerne ich jetzt: „Yeah, Selbstbestimmung und Body Acceptance“ rufen würde, so sehr habe ich auch Einwände.

Denn es sind gerade die Kardashians, die wie kaum jemand sonst auf der Welt schier unerreichbare Körperbilder popularisiert haben und daraus profitieren. Die Körperform „Slim Thickness“, also ein flacher Bauch, großer Hintern, aber winzige Taille, ist durch Kim Kardashian beliebt geworden. Der Chirurg Jason Diamond berichtete 2018 bei einem Gespräch mit der LA Times, dass Kims Körper und auch Gesicht inzwischen als beliebteste Vorlage dienen. 

Denn die Kardashians haben auch verändert, welche Gesichter heute als besonders schön gelten. In ihrem Artikel „The Age of Instagram Face“ aus dem Jahr 2019, ergründet die Autorin Jia Tolentino, weshalb viele Frauen auf Instagram „das gleiche Cyborg-artige Gesicht“ zu haben scheinen. Dieses Gesicht zeichne sich durch junge, porenlose Haut, hohe Wangenknochen, katzenartige Augen, überlange, „cartoon-artige“ Wimpern, eine kleine Nase und volle Lippen aus. Es sei außerdem deutlich das Gesicht einer weißen Frau, aber mit „ethnischen“ Merkmalen. Ein von Tolentino interviewter Starvisagist meint, dass Kim Kardashian der „Patient Zero“ für Instagram Face gewesen sei.

Die Kardashians haben aus dem Willen nach Nachahmung ein Geschäftsmodell gemacht. Auch Khloé beteiligt sich daran. Sie selbst warb für Abnehm-Shakes und Entschlackungstees. Aktuell promotet sie Kollagen-Puder und Korsagen, die man sich beim Training anziehen soll, um eine extreme Sanduhrenfigur zu erzielen. Sie hat ihren Fans dadurch selbst vermittelt, dass flache Bäuche, winzige Taillen und große Hintern durch den Kauf dieser Produkte erreicht werden könnten, dass makellose Schönheit ein Lebensziel sein kann. Dass hinter ihrer eigenen Erscheinung neben Photoshop und Filtern unzählige Kosmetikbehandlungen und Schönheitsoperationen stecken, adressiert die Familie nie – und trägt so selbst zu dem Druck bei, den Khloé in ihrem Statement kritisieren will.

Khloé Kardashians Aussage macht deutlich, wie sehr sie nach einem Doppelstandard lebt

Es ist ein toxischer Kreislauf: (Schönheits-)Ideale üben ungeheuren Druck aus, nähren Selbstzweifel, den Gedanken, nie gut genug zu sein und werden vor allem medial weiterverbreitet. Hauptsächlich Frauen versuchen dem daraufhin gerecht zu werden. Khloé Kardashian ist sicherlich Opfer dieser Dynamik. Aber sie feuert sie auch weiter an. Ich finde: Ihr Fall zeigt, dass es keine wirklichen Gewinnerinnen geben kann. Ganz einfach, weil es überhaupt nicht leicht ist, gesellschaftlichen Forderungen zu entkommen und weil das eigene Aussehen immer bewertet wird, egal wie sehr man sich dem entziehen will. 

Vergangenes Jahr habe ich beschlossen, dass ich zu alt bin, um mit meinem Körper auf Kriegsfuß zu sein. Seit meiner Jugend finde ich neue Makel an mir und verstärke somit den Druck, dem wir alle gesellschaftlich sowieso ausgesetzt sind. Dieses neue Mantra hat auch ganz gut geklappt, bis ich pandemiebedingt wieder zu viel Zeit auf Instagram verbracht habe. Ich erwischte mich dabei, meinen Körper wieder mit denen von Stars und Influencerinnen zu vergleichen. Was dagegen half, war die Erinnerung daran, wie oft vermeintliche Schnappschüsse doch bearbeitet sind, dass Stars und Influencerinnen den Zugang zu Behandlungen und Operationen haben und letztlich auch der Entfolgen-Button. 

Genau aus diesem Grund hätte ich es toll gefunden, wenn Khloé thematisiert hätte, wie sie und ihre Familie zum Druck beitragen. Im vorletzten Satz ihres Statement heißt es: „Mir ist klar geworden, dass wir nicht so weitermachen können. Wir sollten nicht versuchen, in die perfekte Vorlage zu passen, die andere uns vorgeben.“ Der Gedanke ist richtig. Aber von Khloé eben nicht zu Ende gedacht. Ihre Aussage macht deutlich, wie sehr sie nach einem Doppelstandard lebt: Khloé macht sich in ihrem Statement für Selbstakzeptanz stark. Gleichzeitig hat sie offenbar nicht vor, ihre Social-Media-Strategie zu ändern. Sie wird weiter von den Selbstzweifeln anderer profitieren. Sie wird weiter Teil des Problems bleiben.

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