- • Startseite
- • Textmarker
-
•
Wenn Richter dichten
Angestrichen: „Allein mit dir im Doppelbett. Ich möchte dich, bevor ich zum Frühstück gehe, ins Bett ziehen und mit dir schlafen.“ Wo steht das? In Zeitungsberichten über den Liebesrausch eines Münchner Richters. Obige Zeilen hatte der 63-Jährige per SMS einer jungen Frau zugedacht, die als Freundin eines Angeklagten auf dem Gericht erschienen war und dort des Richters Herz entflammte. Da er ihr nicht nur Textbotschaften, sondern auch rechtsbeugende Vergünstigungen zukommen lassen wollte, hat die Affäre nun vielleicht dienstrechtliche Konsequenzen für den Juristen. Seine überlieferte SMS-Botschaft ist aber auch in der literarischen Analyse interessant. Die neoradikale Eröffnung „Allein mit dir im Doppelbett.“ hat viel poetische Kraft, gerade da sie so monolithisch für sich steht. Selbstbewusst abgegrenzt vom Folgenden, kann der Satz es auch ohne Verb beinahe mit den ganz großen literarischen Eröffnungssätzen aufnehmen, etwa mit Georges „Komm in den totgesagten Park“ oder Prousts „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.“ „Allein mit dir im Doppelbett.“ - das ist aber noch mehr als nur das elegische Traumbild eines Winkeladvokaten. Es wirft Fragen auf. Warum nicht (der Platz war doch begrenzt): „Allein mit dir im Bett.“ Warum beharrt er auf der möbeltechnischen Definition „Doppelbett“? Gewohnheit? Ausgewogenheit des Versmaßes? Oder schien dem Richter nur mit dem „Doppel-“ der anzügliche Charakter seiner Botschaft gewahrt? Einen Lösungsansatz bietet vielleicht der nachgestellte Satz, in dem der Verfasser wieder ein kleines Rätsel eingebaut hat. „Ich möchte dich, bevor ich zum Frühstück gehe, ins Bett ziehen und mit dir schlafen.“ Bevor er seiner Wollust freien Lauf lässt und die Angebetete, die sich in Reichweite des Bettes aufhält, in selbiges befördert, denkt der Mann ans Frühstück. Ja, nicht nur das, ihm ist auch wichtig, dass der Verdacht ausgeräumt wird, an diesem Tag würde das Frühstück wegen Kopulation entfallen. Keineswegs, es wird nur etwas nach hinten verschoben! Wen beruhigt er mit diesem Einschub? Sich selbst? Seine Frau? Die Angebetete, die aber offenbar für das Frühstück gar nicht mehr eingeladen ist? Wie auch immer - der Einschub mit dem Frühstück ist ein retardierendes Moment der Sonderklasse. Zwischen Willensbekundung und schlüpfriger Absicht ist es perfekt platziert und wirkt äußerst spannungssteigernd. Und der Richter entlarvt sich damit als liebevoller Dramaturg der kleinen Form. Die Pointe „...mit dir schlafen.“ platziert er am Schluss und das ist einmal mehr gut so. Man denke der Satz wäre, mit weniger Sensibilität verfasst, so im Display der Traumfrau erschienen: „Ich möchte dich ins Bett ziehen und mit dir schlafen, bevor ich zum Frühstück gehe.“ Diese Reihenfolge hätte die ganze prickelnde Wirkung ins Gegenteilige verdreht. Diesen Satz hätte die Dienstaufsichtsbehörde des Münchner Landgerichts vermutlich sogar als zu lapidar durchgehen lassen. Denn wer so schreibt, schätzt das Croissant mehr als die Frau. Dasselbe gilt übrigens auch für eine vorangestellte Frühstücksabsicht. „Bevor ich zum Frühstück gehe, ...“ klingt allenfalls wie eine Anweisung für die devote Ehefrau. Nur der Korrektheit halber sei auch noch eine weitere, theoretisch mögliche Satzstellung erwähnt: „Ich möchte dich ins Frühstück ziehen, bevor ich mit dir schlafe.“ Hier ist freilich der Sinn ganz verdreht. Diese kleinen Beispiele beweisen, der Richter ist, Liebesrausch hin oder her, ein Mann des Wortes und nicht ganz so jenseits seiner geistigen Kräfte, wie es die Boulevardpresse gerne annehmen möchte. Er war bei der Niederschrift dieser gelenken Zeilen sehr wohl um ihre Tiefenwirkung bedacht und wusste genau, was er tat, als er damit einer jungen Frau sein Herz auf zarten Schwingen darbot. Illu: Daniela Pass