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Wenn Blogger ein neues soziales Netzwerk erfinden

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Angestrichen: "Manchmal geht es schneller, als man selbst für möglich gehalten hätte. Oder andere. (....) Das Ergebnis des heutigen Tages: Wir haben Investoren. quote.fm wird an den Start gehen, es wird für jeden nutzbar sein und es wird großartig. Wir werden am Invite-Only-Prinzip festhalten, aus Qualitätswahrungsgründen, aber es sollte für jeden Interessierten klappen einen Account zu bekommen. Oh. Und wir bekommen ein Büro. In einem Loft. In Hamburg. In der Schanze."

Wo steht das? In dem Blog des 21-jährigen Marcel Wichmann, Betreiber des wohl meistgelesen, themenlosen Blogs Deutschlands: UARRR.org. Zumindest sind das die Worte, mit denen Marcel sein Blog selbst beschreibt - in einem Vortrag

Über seine Identität als Digital Native. Überhaupt erzählt Marcel Wichmann am liebsten von und über sich selbst, stets mit einer großen Portion Ironie und gespielter Überheblichkeit. Bestätigen lassen kann man sich das auf seinem Blog, in seinem Twitteraccount und unter anderem einen von ihm verfassten Wikipediaeintrag über seine Person. Die selbstbewusste Masche funktioniert, Marcel unterhält auf seinem Blog nach eigenen Angaben monatlich gut 70 000 Leser. Gestern Abend hat er von dem Blog Indiskretion Ehrensache den eher unbedeutenden, aber gutgemeinten Titel des Bloggers des Jahres' gewonnen. Das bedeute ihm nichts, habe aber den Vorteil, "dass es wahnsinnig professionell klingt und man das gut weitererzählen kann", verrät Marcel im Gespräch mit jetzt.de.

Nur einige Tage zuvor hatte er auf seinem Blog die oben angestrichenen Worte gepostet, um auf die Idee zu der neuen Kommunikationsplattform hinzuweisen. Quote.fm, das zu dem Zeitpunkt noch keinen Namen trug, solle dazu dienen, im Wirr-Warr des unübersichtlichen Internets auf die richtig guten Texte aufmerksam zu machen.

"Was ich will: Man liest einen Text, markiert ein Zitat, drückt auf einen Button im Browser (...) und der Link wird anhand des Zitats aus dem Text auf der Profilseite gespeichert. Man kann Leuten folgen, sich damit einen Stream anlegen. Ergebnis: Ich speichere mir meine Texte, die ich cool fand, anhand des Zitats das mir am besten gefiel, andere sehen, was ich lese und gut finde und ich sehe was andere lesen und gut finden und finde vielleicht neue gute Sachen zu lesen. (...)" schrieb er in einem Blogpost mit dem Titel "Wir bauen uns ein soziales Netzwerk". Mit zwei Bloggerfreunden, stellte er ein Konzept zusammen und programmierte eine Beispielseite. Die Idee bekam den Namen quote.fm und einige Tage später erschien das oben angestrichene Zitat in einem Blogpost mit der Überschrift: "We just got bought!"

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was im ersten Moment ein wenig nach einer zuckerberg'schen Wundergeschichte klingt, ist auf den zweiten Blick nicht ganz so weltbewegend: "Natürlich habe ich das spannender aufgeschrieben, als es wirklich ist, das mache ich ja gerne mal", erzählt Marcel. Gelogen sei trotzdem nichts, lediglich ausgeschmückt. Die Investoren sind eine Firma von Marcels Hamburger Bekannten. Sie haben quote.fm nach den ersten Plänen pro forma übernommen, damit die drei Erfinder mit ihrem Konzept keine rechtlichen Probleme bekommen. Und das Loftbüro in der Schanze ist in Wahrheit eben auch nur das Büro der genannten Firma. Darin dürfen die Jungs immerhin einen eigenen Raum für ihr neues Projekt nutzen. "Um Geld wird es erst einmal gar nicht gehen auch wenn es natürlich eine schöne Vorstellung ist, dass das Ganze eines Tages tatsächlich mal rentabel sein könnte", sagt Marcel.

Warum die Welt neben so vielen schon bestehenden Kommunikationsplattformen gerade auf quote.fm gewartet habe, erklärt er so: "Bei Facebook und Twitter gehen hochwertige Links einfach im ganzen Gebrabbel unter. Mit quote.fm wollen wir dem ein Ende setzen uns nur auf Textempfehlungen spezialisieren!" Anders als bei Bookmarkseiten wie Delicious solle es nicht darum gehen, sich völlig beliebige Texte vorzumerken, die man später einmal lesen wolle sondern darum, die Informationsflut zu entschleunigen, in dem gelesene und für gut befundene Texte empfohlen werden. Ein Patent angemeldet haben die Jungs nicht, immerhin sei die Idee ja auch nur aus verschiedenen Bruchstücken wie Twitter, Facebook, Tumblr und ähnlichen Seiten geklaut. Einen festen Termin für den Start von quote.fm gibt es noch nicht. Bis Weihnachten soll die Seite stehen und von Marcel und seinen Freunden getestet werden. Im Frühjahr 2011 wird es schließlich auch für die Öffentlichkeit zugänglich, jedoch zunächst nur über Einladungen. Natürlich bekommt jeder eine Einladung, der eine haben möchte. Doch diese kleine Hürde soll zum Qualitätserhalt mahnen: "Wer rein will, ist gebeten sich auch zu benehmen und quote.fm so nutzen, wie es gedacht ist."

 

Auf die Frage, was passierte, wenn man ihm das Internet eine Zeit lang wegnähme, antwortet Marcel übrigens, dass es ihm kaum etwas ausmachte. "Das Internet ist hilfreich, aber ohne es wäre ich nicht aufgeschmissen. Wahrscheinlich würde ich zeichnen, lesen und Freunde treffen." Seine gelassene, ironische und oft überhebliche Art sei zwar zum Teil eine Masche, doch so entspannt wie sein Leben dadurch klingt, sei es irgendwie auch, erzählt Marcel. "Ich mache mir eben ungern Stress. Das Bloggen und Twittern mache ich nebenbei, es amüsiert mich, mehr nicht. Und die gespielte Überheblichkeit macht das Umgehen mit den vielen Trollen und missgünstigen Idioten im Internet oft leichter.", erzählt er.   Angefangen habe er mit dem Bloggen im Alter von 15 Jahren, während eines langweiligen Schulpraktikums bei der Gemeindeverwaltung seines Heimatorts Stadland. Er habe schon immer über alles Mögliche gebloggt, einfach bloß weil es Spaß machte. Glückliche Zufälle ergaben, dass er im Laufe der Zeit von einige größeren Blogs erwähnt wurde und so stieg seine Leserzahl. Im Herbst 2008 bat er seine Leser, ihm Geld für ein neues Grafiktablet zu spenden und per PayPal erreichten ihn damals tatsächlich 700 Euro. Sein Geld verdient Marcel mittlerweile mit verschiedenen Sachen rund um sein Blog, sei es mit dem Illustrieren, mit dem Blog selbst oder mit Nebenjobs, wie kürzlich erst, mit einer Werbetour für Laptops einer großen Computerfirma. Vor kurzem habe er auch eine Anfrage bekommen, eine Radiosendung zu moderieren. Doch ob er das annehme, wisse er noch nicht. Erstmal wolle er sehen, wie viel Zeit ihm neben seinen momentanen Aktivitäten überhaupt noch bleibt. Denn schließlich will er eines Tages hauptberuflich Illustrator sein und im März nächsten Jahres beginnt erstmal sein Illustrationsstudium an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg.

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