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Textmarker: Wenn das weiße Nashorn kommt
Angestrichen: Noch nie habe ich für eine Frau, in die ich verliebt war, echte Bewunderung verspürt. Ich spreche nicht von bloßer Schwärmerei oder Faszination, sondern von jener Art Bewunderung, die Respekt hervorruft. So wie man mit offenem Mund eine Leistung bewundert, von der man weiß, dass man selbst dazu nicht in der Lage gewesen wäre. Wo steht das denn? Im Traumland am Fluss, gleich links, wo das philosophische Mammut wartet, das sogar die Lebensweisheiten von Burt Reynolds kennt – oder nein, vielleicht doch eher in der Welt der Tritherapien und Breitband-Medikamenten und blauen Pillen? „Willkommen in der kleinen Welt des Aids“, sagt der Doktor zu Frederik Peeters, es ist als Aufmunterung gedacht, als Hilfe und ein wenig auch als Witz, denn Frederik Peeters´ Freundin ist HIV-positiv, und jetzt ist ein Kondom geplatzt, direkt beim dritten Mal, und obwohl Frederik sofort seinen Schwanz gewaschen hat, und obwohl seine Freundin sagt, er hat es nicht, und obwohl auch er selbst freundlich gelogen hat, er habe keine Angst, trotzdem durchlebt Frederik eine der schwersten Stunden seines Lebens: Ist er jetzt krank wie sie, wie Cati, seine Freundin? Krank wie auch ihr kleiner Sohn?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
In nur drei Monaten, wie in großer Eile, hat der schweizer Zeichner Frederik Peeters seinen Comic „Blaue Pillen“ gezeichnet, in dem er eine Geschichte erzählt, die die Geschichte seines Lebens ist: die Liebe zu Cati. Auf einer Party traf er sie das erste Mal, verlor sie aus den Augen, aber nie aus dem Sinn, traf sie wieder, es war Silvester und schnell alles wunderbar, doch gerade, als es mehr als wunderbar werden sollte, da sagte sie: „Ich hab HIV, Fred“. Schwindelerregende Stille. Und auf einen Schlag strömen die Gefühle aus Fred, alle auf einmal, Ekel, Mitleid, Lust, Traurigkeit, Abscheu, Frederik Peeters hat das gezeichnet wie den wuchtigen Wirbel eines Orkans, und das Auge des Orkans ist: er.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Es ist seltsam – viele der Comics, die in der vergangenen Jahren gezeigt haben, was Comics, diese oft belächelten Bilder mit Blasen dran, eigentlich können, viele dieser Comics waren autobiographisch: „Persepolis“ von Marjane Satrapi etwa, oder „Blankets“ von Craig Thompson, und jetzt auch „Blaue Pillen“ von Frederik Peeters. Er zeichnet eine Geschichte, die auf den ersten Blick so eindeutig schwarz-weiß wie seine Bilder erscheint: Da ist die Kranke, HIV, schlimm, schlimm, und da ist ein Mann, der sie zu lieben glaubt, tragisch, tragisch. Doch Frederik Peeters sprengt das alles, diese ganzen Vorurteile, das Unwissen, das Halbwissen, sogar das sicher geglaubte Wissen über eine Krankheit, die jedem seit dem Sexualkundeunterricht in der sechsten Klasse so vertraut erscheint wie keine andere. Aber ist sie das wirklich?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Er erzählt von den Besuchen beim Arzt, den vielen Medikamenten und Therapien und Pillen, von den Momenten, da die Krankheit ganz weg ist und von denen, da sie ihm direkt auf der Schulter hockt wie ein Unheil verkündender Vogel, von den Gedanken vor, bei und nach dem Sex mit einer Positiven. Und plötzlich ist die Krankheit etwas anderes: ein weißes Nashorn, eine Aufgabe, eine Chance. „Blaue Pillen“ ist ein sehr persönlicher Comic, das macht ihn zugleich schwer und leicht zu lesen: Immer ist man dabei, in jedem Moment, bis zum Ende,wenn es im Traumland am Fluß zum philosophischen Mammut geht – wenn etwas Wunderbares entsteht, der Eindruck eines anhaltenden, diffusen Glücks. Das muss die Liebe sein. Steht im Bücherregal zwischen: Persepolis von Marjane Satrapi, auch einem recht guten autobiographischen Comic, und der Kondompackung. Hier kannst du dir zwei Seiten aus "Blaue Pillen" anschauen.