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Textmarker: Urlaub jenseits vom Paradies

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Angestrichen: „Pauschalreisen hatten etwas Anrüchiges. Keine Ahnung, wie das heute ist, heute bin ich alt, aber Mitte der neunziger Jahre war das so. Moderne junge Menschen machten damals gefälligst Interrail. Individualität stand auf dem Aushängeschild, unter dem sich die Jugend verabredete, den Daumen in den Wind hielt, die Zigaretten selber drehte und den Ballermann verachtete. Traveller hieß das individualtouristische Ideal. Mich hatte es bis auf die Lofoten geführt, allerdings mitten in der Polarnacht. Dafür bereiste ich im August die Sahara. Indien besuchte ich während des Monsuns. So blöd wie ich mich anstellte, gab es eigentlich keinen wirklich guten Grund, die Planung meines Urlaubs nicht Profis zu überlassen. Aber Pauschalreisen hatten eben so etwas Anrüchiges.“ Wo steht das denn? In „Pauschal ins Paradies“, herausgegeben von Andreas Gläser.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Pauschal ins Paradies“ klingt widersprüchlich – wer will schon ein Paradies für alle? Urlaub will man im Idealfall doch auch einzigartig und eben nicht als Pauschal-Einheitsbrei erleben. Die Anthologie „Pauschal ins Paradies“, herausgegeben von Andreas Gläser, vereinigt Geschichten, denen eines gemeinsam ist: Jede Menge Losertypen stolpern und torkeln da durch Urlaube, die alles andere als paradiesisch sind. „Pauschal“ ist für die meisten eher ein Schimpfwort und steht für einen Not-Urlaub, den man vor lauter Unwohlsein angesichts der anderen Pauschal-Touristen nur schwer genießen kann. Manchmal geraten die Erzähler dabei auf recht klischeebeladene Abwege, wenn sie sich an Ostalgie-Geschichten aus der Ferienlagerzeit erinnern. Um die Lockerheit und Lebensnähe ihrer Protagonisten zu verdeutlichen, kultivieren die meisten Autoren einen umgangssprachlich gefärbten Stil. Hin und wieder gelingt das, zum Beispiel in „Türkye Mectubu“ von Matthias Klaß. Zwei junge Kerle aus dem Osten, Matthias Klaß und sein Bruder, machen ein türkisches Urlaubergebiet unsicher, sind aber durchaus sympathisch in ihrem kompromisslosen Urlaubsanspruch. Bei einem Ausflug mit jeder Menge anderer Touris und einem Reiseleiter, der Deutsch „mit diesem unverwechselbaren Mundstuhldialekt“ spricht, halten sich die Brüder vornehm zurück: „Die Teilnehmer wurden gebeten, sich auf die vier Geländewagen, drei Suzuki Samurai und einen Defender, zu verteilen. Vordrängelnd stürzten sich die Touris auf die Wagen. Jeder wollte Fahrer sein. Für uns kam das nicht in Frage. Wir hatten schließlich Urlaub und uns zu transportieren war der Job des Reiseleiters!“ Leider herrscht auch hier Klischee-Alarm: Natürlich verliert Ich-Erzähler Matthias schon vor der Einreise seine Papiere, erzählt den Behörden etwas von Stranddieben und bekommt dann doch noch bei der Drachen-ähnlichen Mitarbeiterin des Konsulats neue Papiere. Schließlich will er – ausgerechnet - am 12. September 2001 wieder nach Hause fliegen – und das möglichst ohne terrorverdachtsbedingten längeren Aufenthalt bei der türkischen Polizei. Urlaub wird in all seinen Horrorfacetten dargestellt, wobei es streng genommen gar nicht immer um Urlaub geht. Da reisen auch mal zwei völlig verplante Typen (Jan Off, „Dynamo Opfergang“) im Auftrag des Goethe-Instituts in die Ukraine und werden festgenommen, da ihr einziger Beitrag zur Verbreitung deutschen Kulturgutes in verworrenen afrikanischen Ritualen besteht, ausgeübt vor den Augen der ukrainischen Bevölkerung. Als das Ritual darin gipfelt, Essen in einen Fluss zu werfen, ist das zuviel für die ukrainischen Familien im Strandbad. Fazit der beiden Helden: '„Gottverdammte Scheiße, das nächste Ritual sollten wir vielleicht in einem Land abhalten, das über ein deutlich höheres Bruttosozialprodukt verfügt!“, keuche ich, nachdem mein Kopf nur knapp vom einem Steinguttopf verfehlt worden ist.' Trotz dieser unterhaltsamen Momente, wie sie auch Jakob Heins Mallorca-Urlaub-Problem oder Ahnes Ernüchterung angesichts des Urlaubs im Bayerischen Wald bieten, fasziniert „Pauschal ins Paradies“ nicht als Ganzes. Irgendwann nervt das Mallorca-Klischee-Wiedergekaue und der etwas zu gewollt witzig wirkende Slang. Ein Vorurteil ist aber nach der Lektüre bestätigt: Pauschalurlaube führen definitiv nicht ins Paradies. Steht im Bücherregal zwischen: Popliteraten und Poetry-Slam-Anthologien „Pauschal ins Paradies“ ist bei Voland&Quist erschienen und kostet 14,80 Euro.

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