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Textmarker: "The Red Star" - Sowjet-Style auf LSD
Angestrichen: Die Augen der Soldaten müssen vor der Wahrheit hinter der Lizenz zum Abschlachten abgeschirmt werden. Wir müssen einen Weg finden, daran zu glauben, dass das, wofür wir kämpfen, es wert ist, dafür zu sterben. Findet eine Armee keine Wahrheit, oder zumindest Hoffnung, in der Propaganda ihres Landes… So wird sie vernichtet werden. Wo steht das denn? In den Gedanken von Genossin Major Maja Antares, Kriegszauberin der Roten Flotte, Isolatorenkammer 23, Roter-Stern-Wolkenbrüter „Konstantinov“ – und diese Gedanken zaudern, denn Maja Antares hat die Wahrheit geschaut, und die Wahrheit ist Wort geworden, und das Wort lautet: Zweifel. Zweifel, ob die Sache, für die sie kämpft, die gute ist. Zweifel, ob das Leben, das sie führt, einen Sinn hat. Zweifel, ob der Tod, der sie erwartet, schon nahe ist.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Sie steht vor dem Grab ihres Mannes, das zu erreichen nur mit der Friedhofs-Schwebebahn möglich ist, weil die Kriege und die Kriege der Vorväter und die Kriege vor den Kriegen der Vorväter so viele Tote gebracht haben, dass die Grabmäler bis zum Horizont reichen. Dort steht sie, Maja Antares, einen Strauß rote Rosen in der Hand, Gräber umgeben sie, eine ganze Ebene voller Gräber. Sie schickt ihre Gedanken zurück in die Zeit, zu alten Schlachten und längst schal gewordenen Siegen und zu Niederlagen, die noch immer nichts von ihrer Bitternis verloren haben. Da erhält sie den neuen Stellungsbefehl. Ein neuer Krieg, eine neue Schlacht. Sie sinnt über den Feind. „Ihr glorreicher Zorn gibt ihnen Kraft… Winde, die nach Sieg duften, lassen ihre Flaggen tanzen. Irgendwo in diesem Mob steht ein Mädchen. Diese Kleine glaubt, wie einst ich, an die Bestimmung ihrer Nation. Ihre Augen schauen lauter Wunder. Ihre Hände werden eine Waffe halten. Diese Waffe wird mich fällen.“ So zweifelt Maja Antares – und es ist ein Glück, dass „The Red Star“ an dieser Stelle endet, denn sonst quölle der Pathos womöglich noch weiter auf, als er es sowieso schon tut in diesem Comic: Hier marschieren die Gefühle, alles ist voll rasselndem Pomp und klirrendem Pathos, heissahoppsassa, hier kommt das Schlachtfest eines Heldencomics – aber das kommt eben davon, wenn man „Panzerkreuzer Potemkin“ auf LSD guckt und dann einen Zeichenstift zur Hand hat.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Anders ist kaum zu erklären, was die Macher des Comics „The Red Star“ da überkommen hat: Ihr Werk – und es ist nur so und nicht anders zu beschreiben: als Werk, als Opus – birst fast vor raumgreifender Optik, gepaart mit schicksalsschweren Sätzen, die donnern und dröhnen, der ganze Band kommt über den Leser wie eine Besatzungsmacht, und wenn man sich dann, von diesem Gefühlsgewitter wie gerädert, langsam wieder zusammensortiert hat, denkt man: 1. Uff, was war das denn? 2. Jetzt brauch´ ich erst mal eine feine kleine Dosis Asterix. Die Antwort auf die Frage ist, glaubt man Timur Bekmambetov, seines Zeichens Regisseur des russischen Films „Wächter der Nacht“ und damit selbst Gewährsmann für wuchtige Optik, die Antwort also ist ganz einfach: „The Red Star“ sei nichts anderes als „Doktor Schiwago meets Star Wars“. Damit ist der Sowjet-Style des Comics gut getroffen, der in einer fernen Zukunft spielt, in der ein Rotes Imperium mit Wolkenbrütern und allerlei anderem Science-Fiction-Kriegsgerät die Welt beherrscht – und auch die markige Sprache, die so martialisch klingt, als spräche hier ein Meister Yoda, der nicht Jedi-Ritter, sondern Mitglied der Waffen-SS ist. Bleibt die Wucht zu erklären, die die Bilder dieses Werks entwickeln. Leider ist das sehr einfach: „The Red Star“ ist ein Computer-Comic – die Schöpfer um Christian Gossett haben nur die Charaktere in Tusche gezeichnet, Hintergründe und vor allem die epischen Schlachtgemälde aber am Rechner erzeugt. Da ist es einfach und vor allem viel schneller machbar als mit Hand, Wolkenbrüter so wuchtig erscheinen zu lassen wie einst der Sternenkreuzer, der sich am Anfang von „Krieg der Sterne“ durch das Bild schiebt. Vielleicht haben Gossett und sein Kollektiv dem Reiz ein wenig zu oft nachgegeben, dann eben gleich alles mit der Bildgewalt eines Sternenkreuzers zu generieren – deshalb wirkt ihr Werk auf manchen Seiten hölzern und starr. Dem Wert des Comics tut es aber keinen Abbruch. „The Red Star“ ist nicht der erste computergenerierte Comic – aber in der kurzen Geschichte dieser Comic-Spielart mit Abstand einer der besten. Steht im Bücherregal zwischen: Den gesammelten Schriften Lenins und der Langspielplatte „Der Chor der Roten Armee singt die Internationale.“