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Sexisten ins Gefängnis

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Angestrichen

„Soon, it could be a criminal matter to call someone a ‘sexist’ in Belgium. Even if someone may in fact be one. Why, you ask? Because the country’s political majority is determined to enact a new law. In what is believed to be the first legislation of its type, anywhere, the concept of sexism will be rendered punishable.“
 
Wo steht das?

Auf The Volokh Conspiracy, einem Rechtsblog, für den zwanzig US-amerikanische Juraprofessoren und drei Rechtsanwälte schreiben und der auf der Seite der Washington Post erscheint. Der Direktor der belgischen Universität Löwen, Rik Torfs, und der Leiter des an die Uni angegliederten Zentrums für Diskriminierungsgesetze, Joghum Vrielink, haben dort einen Gastartikel geschrieben, in dem sie urteilen, dass das neue belgische Anti-Sexismus-Gesetz kontraproduktiv ist.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Worum geht es?

Um Alltagssexismus und die Frage, wie wir damit am besten umgehen. Der belgische Rechtsausschuss hat kürzlich einen Gesetzesentwurf abgesegnet, der es unter Strafe stellt, wenn Menschen andere „gezielt aufgrund ihres Geschlechts als minderwertig diskriminieren oder sie auf ihre Sexualität reduzieren und damit ihre Würde verletzen“. Das Gesetz ermöglicht ­­es also Sexismus-Opfern, diejenigen anzuzeigen, von denen sie sich diskriminiert fühlen – anders als in Deutschland, wo man explizit sexuelle Angriffe anzeigen kann, nicht aber, wenn man allein auf sein Geschlecht reduziert wird. Werden die Angeklagten in Belgien verurteilt, droht ihnen eine Geldstrafe bis zu 1.000 Euro oder bis zu ein Jahr Gefängnis. Das Gesetz reicht viel weiter als bis auf die belgische Straße, wo viel Alltagssexismus geschieht: Auch Menschen, die sich in Zeitungen und im Internet sexistisch äußern, können angezeigt werden. Der Gesetzesentwurf ist so vage formuliert, dass er auch allgemeine Äußerungen über Männer oder Frauen einschließt, wenn diese das Empfinden auch nur einer einzigen Person stören – was sehr wahrscheinlich immer der Fall sein wird.  

Problematisch an dem Gesetz ist, dass es kaum finanzierbar ist und zu viele belgische Justizmitarbeiter beschäftigt sind, wenn sie alle Anklagen prüfen und in einem angemessenen Zeitraum bearbeiten müssen. Torfs und Vries schreiben deshalb, dass das Gesetz kontraproduktiv ist. In Belgien, wie auch in Deutschland, ist es zudem strafbar, jemandem einer Tat zu bezichtigen, derer er nicht schuldig ist. Von Sexismus Betroffene werden also genau überlegen müssen, ob sie das Risiko eingehen wollen, bei dem Versuch, sich zu wehren, möglicherweise selbst verklagt zu werden.  

Was lernen wir daraus?  

Wer ist Sexist und wer nicht? Die belgische Politik versucht, sexuelle Diskriminierung zu bestrafen. Das neue Gesetz zeigt: Es ist wichtig, über Sexismus zu reden, auch darüber, wie man mit ihm rechtlich umgeht. Es zeigt aber auch, wie hilflos viele staatliche Systeme diesem Thema gegenüber stehen. Nur in wenigen Fällen wird das Gesetz wirklich helfen, zum Beispiel wenn jemand häufig in der gleichen Situation und von derselben Person diskriminiert wird und sich so aktiver wehren kann. Menschen, die sich sexuell diskriminiert fühlen, müssen auf jeden Angriff einzeln reagieren, müssen wissen, wie der Angreifer heißt und die Situation vor Gericht rekonstruieren können – klar, anders geht es nicht, will man willkürliche Anklagen verhindern. Trotzdem ist sexuelle Diskriminierung ein Bereich, in dem schwer objektiv definiert werden kann, was dazu gehört und was nicht. Menschen reagieren unterschiedlich sensibel, wenn sie sexistisch behandelt werden. Das hat oft damit zu tun, dass manche Menschen sich nicht zutrauen zu bewerten, ob sie diskriminiert wurden oder nur beleidigt und davor zurückschrecken, als übersensibel abgestempelt zu werden. Zudem schränkt das Gesetz die Meinungsfreiheit ein, weil alle verallgemeinernden Aussagen angeklagt werden können.  

Das Gesetz soll Opfern von Sexismus helfen, sich zu wehren – diese müssen dafür aber einen großen bürokratischen Aufwand tätigen. Vielleicht wird es einige potentielle Täter abschrecken. Bislang ist das Gesetz aber bloß ein hübsches Aushängeschild für belgische Politiker. Was sexistisch ist, und wie wir Diskriminierung verhindern können – darüber müssen wir weiter reden.

Text: nicola-staender - Foto: dpa

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