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Neue Abhängigkeit: Warum sind "Kids On TV" aus Myspace geflogen?

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Angestrichen: Am 1. März 2007 wurde ohne Vorwarnung oder Erklärung das Myspace-Profil von Kids On TV gelöscht. Wir hatten 14.000 Freunde und 26 Konzerttermine gepostet, die auf unsere Europatournee hinwiesen. Wo steht das denn? In einem Forum der kanadischen Internetseite www.stillepost.ca Die Band bekam von Myspace eine Standard-Email geschickt, in der es heißt, dass die Seite "wegen Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen" unwiederbringlich gelöscht worden sei. Für gewöhnlich handelt es sich dabei laut der Myspace-Email um Folgendes: "Nacktbilder oder anstößige und gewalttätige Bilder, das Überdecken der Bannerwerbung mit HTML-Codes, die Belästigung anderer User, das Zuspamen von Foren oder Gästebüchern, das Aufblähen von Scores oder die User sind noch zu jung.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kids On TV Die offensiv schwul-lesbische Band, die aus der homosexuellen Aktivistenszene stammt, hat ihrer Meinung nach gegen keine dieser Punkte verstoßen und sich deswegen auch an Myspace gewendet, um das Profil wiederzubekommen. Bisher ohne Erfolg. Myspace hat gegenüber der Band keine weitere Erklärung abgegeben. Auch auf eine Anfrage von jetzt.de kam bisher keine Reaktion. Ansprechpartner für die Presse oder einen Email-Kontakt werden auf der Internetseite ohnehin nicht genannt. Wer eine Frage hat, muss auf einer Mailbox in den USA sein Anliegen hinterlassen und hoffen, dass zurückgerufen wird. „Es kann eigentlich nur an anstößigen Inhalten in den Songtexten von Kids On TV liegen", vermutet Konzertveranstalter Thomas Lechner, der für die Band europaweit Konzerte organisiert. "In dem Song "Breakdance Hunx" geht es zum Beispiel um den Fleischwert eines hübschen Jungen in der schwulen Szenen und es kommen Worte wie Schwanzlutscher vor." Nacktbilder seien aber keine zu sehen gewesen, höchstens mal Bassist John Caffery in Unterhosen oder bemaltem Körper. Auch die Band selbst vermutet: „The discussion of sexuality in our lyrics and the open embrace or radical culture was too much for myspace. We definitely ran into their limits whatever they were.” Als Reaktion auf das Löschen ihre Profils hat Kids on TV im oben genannten Forum eine Diskussion über Zensur auf Myspace eröffnet und sogar eine eigene Myspace-Seite dazu angelegt, um von ähnlichen Fällen zu erfahren: myspace.com/myspaceprofiledeletions. Die Vermutung der Band: “Die Beispiele, die hier genannt werden, scheinen meistens “gay/sex-lib arts groups” oder Aktivisten-Gruppen zu sein.“ Der brasilianische Künstler Fernando Carpaneda schreibt zum Beispiel: “Mein Profil wurde zwei Mal gelöscht, weil ich eine meiner Skulpturen gepostet habe mit dem Titel: “My Ass To The Pope”. Die Skulptur war ein Protest gegen das Verbot von Homosexualität und gleichgeschlechtlichen Ehen durch den Vatikan.” Und im Forum Stillepost erzählt ein User: „Ich hatte ein großartiges Final Fantasy Profil mit vielen Freunden und einer unglaublichen Ausstrahlung, aber sie wurde gelöscht. Ich habe sie wieder aufgebaut, doch sie wurde wieder gelöscht. Dann habe ich eine „Bart Simpson Child Fucker“-Seite bei Myspace angelegt. Die wurde bisher nicht gelöscht. … Es braucht bloß iregndein Arschloch kommen, das sich beschwert, und ein Myspace-Ombudsmann sagt „ja“ und drückt die „Löschen“-Taste.“ Ein weiterer User schreibt: “Mein Profil wurde gelöscht, weil ich ein animiertes Anti-Bush-Gif darauf hatte. Keine Warnung, keine Email, nicht mal eine Liste der Verstöße. Eine freie Webseite würde immer das Recht berücksichtigen, dass man Inhalt auch löschen oder verändern kann. Aber denkt immer dran: Myspace ist Rupert (Murdoch)." Dem australischen Medienmogul wurde immer wieder vorgeworfen, über seine Medien von Zeitungen wie "The Sun" bis Fernsehsendern wie "Fox" politisch einseitig Meinung zu machen. “Es ist natürlich klar, dass die Betreiber einer Webseite schauen, was für Inhalte auf ihrer Seite gepostet werden, das Seltsame ist nur, dass man nicht vorgewarnt wird und dass es auf Myspace offen Werbung für Pornoanbieter gibt und auch sonst einige Profile, über die man sich wesentlich mehr wundern kann als über das von Kids On-TV und ihre Texte“, sagt Thomas Lechner. Auch die Band bestätigt: „In der Woche, bevor der der Account gelöscht wurde, hatten wir ständig Porno-Werbung auf unserer Seite.“ Das Schlimme ist auch nicht, dass das Profil der Band nicht mehr da ist, Kids On TV haben längst eine neue Seite bei Myspace angelegt. Zudem wird es bei Community-Websites immer Meinungsverschiedenheiten über Inhalte geben. Was obszön oder anstößig ist, ist ein Stück weit immer auch Ansichtssache. Es wundert nur, dass eine Community-Webseite wie Myspace, die Menschen miteinander vernetzt und Kommunikation zwischen ihnen ermöglicht, auf Kommunikation anscheinend überhaupt keinen Wert legt und ihren Nutzern keine Chance zum Reagieren gibt. Das wirklich Schlimme ist aber, dass die 14.000 Kontakte von "Kids On TV" für immer verloren sind. „Für eine Band wie Kids On TV, die weder ein Label, noch ein Management oder eine Marketingabteilung hat, ist das eine Katastrophe“, sagt Thomas Lechner. „Die Arbeit von mehreren Jahren ist damit zerstört worden.“ Denn selbst wenn sich nur die Hälfte der 14.000 „Freunde“ wirklich für die Band interessiert hat, sind das immer noch 7.000 potentielle Konzertgänger und Plattenkäufer, die man über einzige Botschaft über Neues informieren kann. „Genau aus diesem Grund ist Myspace ja so erfolgreich“, so Thomas Lechner. Und dank Myspace auch zahlreiche Bands, wie ja mittlerweile hinlänglich bekannt ist. Bisher wurde diese Symbiose aber ausschließlich positiv bewertet: Neue Band ohne Label wird über Nacht und Myspace berühmt und findet Label. Nun wird erstmals die Kehrseite sichtbar: Viele Bands sind mittlerweile von Myspace abhängig. Jedes Myspace-Profil ist gleich aufgebaut: Rechts oben kann man in Musik reinhören, links gibt es Bilder, Videos und Links, rechts unten News, Konzertdaten, Freundesliste, Kommentare usw. Jeder findet sich sofort zurecht, einen Programmierer braucht man nicht, zahlen muss man auch nichts. „Ich habe schon zig Konzerte für die Band allein über die Myspace-Seite abgewickelt, weil Veranstalter zufällig auf die Seite geklickt haben und die Musik mochten“, erklärt Konzertveranstalter Thomas Lechner. „Und wenn ich keine Promo-CDs habe, schicke ich eben den Myspace-Link. Myspace ist ein wichtiges Hilfsmittel geworden.“ Ein Hilfsmittel, das kaum mehr wegzudenken ist. Dabei könnte Myspace natürlich von heute auf morgen, genauso wie Youtube oder Ebay, auch wieder dicht machen. Aus welchen Gründen auch immer. Und dann? Foto: KidsOnTV.biz

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