Angestrichen:
Monsieur Bark sagt nichts mehr. Er raucht schweigend. Monsieur Linh wartet darauf die Stimme wieder zu hören. Er versteht nichts von dem, was der Mann neben ihm auf der Bank sagt, aber er mag die Stimme, diese dunkle, kraftvolle Stimme. Vielleicht hört er sie so gern, weil er sie nicht versteht und er also sicher sein kann, dass sie nichts sagen wird, was ihn verletzt oder was er nicht hören will, dass sie keine schmerzhaften Fragen stellen und die Vergangenheit nicht wieder hervorholen wird und ihm wie einen blutigen Kadaver vor die Füße wirft.
pauline-heusterberg
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Wo steht das denn:
In Philippe Claudels siebten Roman „Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung“ der nach dem großen Erfolg von „Die grauen Seelen“ erschienen ist. Auch in diesem Buch spielen der Krieg und das Leid, das er den Menschen zufügt wieder eine zentrale Rolle. Diesmal jedoch nicht der erste Weltkrieg, sondern der Krieg in einem asiatischen Land, wegen dem der alte Monsieur Linh zur Flucht gezwungen ist. Er hat als einer der einzigen den Bombenangriff auf sein Heimatdorf überlebt und flieht nun mit seiner kleinen Enkeltochter in eine fremde Stadt, deren Namen er nicht aussprechen kann und in der er sich einsam und verlassen fühlt. Sein einziger Trost sind das kleine Mädchen und der dicke Monsieur Bark, den er auf einem seiner Spaziergänge kennen lernt. Keiner versteht die Sprache des anderen und doch entsteht eine Freundschaft zwischen den beiden. Ohne Worte erzählen sie sich Geschichten aus ihrem Leben, von Ängsten, Freude, Trauer und Hoffnungen. Bis eines Tages zufällig das tragische Geheimnis von Monsieur Linh enthüllt wird.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert
Philippe Claudel gehört zu den Autoren, denen es gelingt, den Leser mit seinen Geschichten bis zum Ende zu fesseln. Wie in seinem erfolgreichen Roman „Die grauen Seelen“, in dem es um die Ermordung eines kleinen Mädchens in einem Dorf nahe der Front des ersten Weltkrieges geht, bevorzugt er auch diesmal wieder so genannte „harte“ Themen, wie Krieg oder den Tod Unschuldiger. Dabei lehnt er aber immer jeglichen Heroismus und das Abenteuerliche des Krieges ab und beschränkt sich darauf, das Schicksal der „normalen“ vom Krieg betroffenen Menschen zu schildern. In „Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung“ gelingt es ihm außerdem, mit einem unerwarteten Ende zu überraschen, welches man doch von Anfang an hätte erahnen können. Ähnlich wie in seinen vorangegangenen Romanen (z.B. „die graue Seelen“ und „Le bruit des trousseaux“) bedient er sich einer sehr einfachen und doch eleganten Sprache. Eine bewegende Geschichte über einen alten Kriegsflüchtling, die auf jeden Fall empfehlenswert ist, auch wenn sie alles andere macht, als die Laune anzuheben.
Steht im Bücherregal zwischen: „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque und der DVD „Down by law“ von Jim Jarmusch.
Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung von Philippe Claudel, 160 Seiten, 14,90 Euro. Erschienen im Kindler Verlag.