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"Mangelndes intellektuelles Vermögen"
Angestrichen:
Während die Studenten finanzielle Schwierigkeiten und die schlechte Betreuung als Ursachen für einen Studienabbruch nennen, haben sie nach Meinung vieler Professoren ihr Scheitern sich selbst zuzuschreiben: Fehlende Grundlagenkenntnisse, ein mangelndes intellektuelles Vermögen, vor allem aber eine falsche Vorstellung davon, was das Studium tatsächlich ausmache, brächten die Studenten zu Fall.
Wo steht das?
In einem Artikel aus der ZEIT, in dem es um den bevorstehenden Studentenansturm auf die Hochschulen und um verschiedene Studien des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) geht. Aus einer dieser Studien gehen die Meinungen von Professoren über ihre Studenten hervor, beispielsweise deren Arbeitseinstellung betreffend. Eine weitere unterteilt die Studenten in acht verschiedene Typen mit spezifischen Studienerwartungen, -voraussetzungen und -bedürfnissen.
Was steckt dahinter?
Grob gesagt: Das, was die Professoren über ihre Studenten und die Qualität des Studiums denken und was sie diesbezüglich in Zukunft erwarten. Glaubt man dem im Artikel zitierten Rektor der Universität Bonn, Professor Jürgen Fohrmann, ist der Ausblick eher düster: Im Gespräch mit dem Bonner Generalanzeiger lehnte er eine immer größere Anzahl von Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen ab, da eine Absenkung des wissenschaftlichen Niveaus zugunsten höherer Aufnahmekapazitäten nicht das Ziel der Hochschule sein könne. Das klingt soweit logisch, hinterlässt aber, mit den Ergebnissen der CHE-Studie unterfüttert, einen bitteren Nachgeschmack: Von den 3500 befragten Professoren gaben 44 Prozent an, die Arbeitseinstellung der Studenten habe sich verschlechtert und nur acht Prozent glaubten, eine zunehmende Leistungsbereitschaft zu erkennen. Es hat den Anschein, dass die Lehrenden kein allzu gutes Bild von ihren Schützlingen haben und wenn dem so ist, fürchten sie sich natürlich umso mehr vor dem bevorstehenden Studentenansturm. Ein interessanter Aspekt der Studie, der im Artikel hervorgehoben wird, ist die Diskrepanz zwischen Studenten- und Professorenantworten auf die Frage nach den Gründen für einen Studienabbruch: Die Studenten geben finanzielle Probleme an oder fühlen sich durch die Lehrenden schlecht betreut, die Lehrenden selbst hingegen glauben, dass falsche Vorstellungen über den Studiengang, fehlende Grundlagenkenntnisse und mangelndes intellektuelles Vermögen die Studenten zum Abbruch zwingen. „Misserfolg im Studium wird eher als Versagen der Studierenden rekonstruiert denn als ein Versagen der Hochschule", heißt es dazu in der Zusammenfassung der Studie.
Eine große Anzahl von Studenten bedeutet, dass auch die Zusammensetzung der Studentenschaft vielfältiger wird: Verschiedenste familiäre und kulturelle Hintergründe, unterschiedlichste Erwartungen und Voraussetzungen treffen hier aufeinander. Darauf sind die Hochschulen anscheinend noch nicht vorbereitet. Die CHE führt als Grund an, dass die Unis und Fachhochschulen ein veraltetes „Leitbild vom modernen Studium" haben, das entstanden sei, als nur drei Prozent eines Jahrgangs nach dem Abitur an die Universitäten und Fachhochschulen gingen – bald werden es jedoch 50 Prozent sein. Der Student, der diesem „Leitbild" entspricht, ist der sogenannte „Wunschkandidat": Er hat eine tiefgreifende Allgemeinbildung, eine überdurchschnittliche Abiturnote, ist selbstständig und engagiert und kommt besonders gut mit den gegebenen Studienbedingungen zurecht. Allerdings lassen sich nur noch 13 Prozent der Studierenden diesem Typus zuordnen. Er ist einer von acht Typen, in die eine weitere Studie des EHC die Studenten unterteilt hat, ausgehend von unter anderem ihren Studienerwartungen, -leistungen und –voraussetzungen. 87 Prozent der Studenten sind demnach keine „Wunschkandidaten", sondern beispielsweise „Lonesome Rider" (kommen gut mit den Anforderungen zurecht, integrieren sich aber ansonsten nicht in das studentische Leben), „Ernüchterte" (leiden unter der Studiensituation und engagieren sich überdurchschnittlich oft, um diese zu ändern) oder „Unterstützungsbedürftige" (bringen schwierige Voraussetzungen mit und haben sich zum Teil gegen Widerstände für ein Studium entschieden).
Christian Berthold vom CHE sagte der ZEIT, „mit der richtigen Förderung könnten auch diese 87 Prozent Nicht-Wunschkandidaten zu guten, ja herausragenden Hochschulabsolventen werden." Das Problem aber seien all jene Professoren, die diese neue Vielfalt als Defizit sähen. Der „Wunschkandidat", so die ZEIT, „entspricht, könnte man sagen, im Wesentlichen dem Bild, das die meisten Professoren von sich selbst haben" – und darum betont Ulrike Senger vom Zentrum für Hochschul- und Weiterbildung an der Universität Hamburg, dass es künftig darauf ankommen werde, dass die Professoren an ihren Studenten auch diejenigen Eigenschaften schätzen lernen, die sie selber nicht haben. Zwar kommt auch der Präsident des Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, zu Wort, und verteidigt seine Kollegen: Sie seien längst weiter als das CHE suggeriere. Doch die ZEIT attestiert den Professoren „wenig Selbstkritik" – ein Vorwurf, der angesichts der Schere zwischen „mangelndes intellektuelles Vermögen" (68,6 %) und „zu wenig /schlechte Betreuung" (24,5 %) als Lehrenden-Antwort auf die Studienabbruchsgründe nicht ganz unberechtigt scheint.
Fazit des Autors ist, dass die Hochschullehrer ihre eigenen Studenten nicht gut genug kennen und dies ein Grund dafür ist, dass Deutschland in der Hochschullehre nicht weiter oben im Ranking steht. Und durch gut gemeinte Uni-Projekte für Studierende mit Kind, Behinderte oder Migranten bekräftige man sogar die Illusion vom „Normalstudenten". Lösungen aber kann weder der Artikel noch das CHE bieten. Man hofft, mit der Studententypisierung einen „Bewusstseinswandel anzuregen". Als Student kann man darauf nur hoffen, denn sonderlich motivierend ist das negative Bild, das einige Professoren von ihren Lernenden haben, wahrlich nicht. Und auch Professor Fohrmann muss über kurz oder lang einsehen, dass die Quote von drei Prozent Studenten pro Abiturjahrgang und die von Bernhard Kempen so genannte „Bestenauswahl" längst Vergangenheit ist - und vor allem Vergangenheit bleiben wird.
Text: nadja-schlueter - Foto: jomi / photocase.com