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Komplexe Kulturen
"Breaking Bad" wird wegen seiner Komplexität gelobt - in Zeiten der "Klick-Mentalität".
Angestrichen
"Dank den bereits etablierten Serien, kann man vielleicht darauf vertrauen, dass der Zuseher, der vor der einen Reizflut Zuflucht in einer anderen sucht, im Wissen um diese Serien vielleicht einen Moment lang dem impulsiven Verlangen nach extremer Reduktion widersteht und sich stattdessen in eine Welt flüchtet, in der er nicht wie ein unmündiges Kind sondern wie ein denkender Erwachsener behandelt wird – solange diese Welt nicht mit aufreibender Komplexität abschreckt, denn kulturelle Komplexität ist ein modernes Tabu und darf sich nur im Verborgenen entfalten."
Wo steht das denn?
In einem Artikel des Blogs netzwertig.com.
Um was geht es?
Um den Widerspruch zwischen der Sehnsucht des Zuschauers nach einer vereinfachten Welt und seine Faszination für Komplexitäten, die unseren realen Alltag widerspiegeln sollen. Und um unser mangelnde Aufmerksamkeit.
Soll heißen?
Wir werden überflutet. Mit Reizen, Nachrichten, Schlagzeilen, Werbung. Die Informationen ähneln sich, nur wenige sind wirklich wichtig. Es entsteht ein undurchschaubares Gebilde materieller und digitaler Einflüsse. Überforderung ist so immer nur ein paar Mausklicks entfernt.
Diese künstlich-komplizierte Welt erzeugt in uns „einen mentalen Fluchtreflex, ein Fernweh nach einer reduzierten, überschaubaren Welt, in der uns eine alles umfassende Vereinfachung von der Zumutung der Wirklichkeit befreit“, schreibt Autor Alexander Lohninger. Einen Ausweg daraus bietet die Unterhaltungsindustrie. Sitcoms wie „The Big Bang Theory“ oder „Modern Family“ arbeiten mit Rollenklischees, mit einfachen Charakteren. Die Handlungen basieren einzig auf Humor. Kellnerin Penny und Computernerd Sheldon Cooper garantieren Lacher ebenso wie die patzige Latina Gloria oder das sterotype Homosexuellenpärchen. Denn „dann ist es auch für uns okay, ein semisoziopathischer Freak zu sein, eine durchschnittlich-anspruchslose aber dafür hübsche Kellnerin zu sein, denn wir lachen ja darüber und deswegen ist alles halb so wild,“ schreibt Lohninger.
Wie in den Märchen fühlen wir uns so wieder in unsere Kindheit zurück versetzt, in der das Gute stets das Böse besiegt, in der die Welt klar strukturiert ist. Alles, was über dieses reduzierte Bild hinausgeht, wird weggeklickt. Was der Autor aber übersieht, ist das Verlangen nach Struktur und Konzepten, das dem Menschen von jeher innewohnt. Wir kategorisieren Objekte und abstrakte Einheiten nach gemeinsamen Eigenschaften. Dieses Kategorisieren erfolgt unbewusst, aber ohne diese Fähigkeit könnten wir in unserer sozialen Umgebung nicht handeln. Schubladendenken ist also kein neues Phänomen.
Lohninger stellt dann dieser Art von Serien die zweite entgegen. Serien wie "Breaking Bad", "The Wire" oder "Mad Men". Die komplexen, die trotz der "Klick-Mentalität" und ihrer vielschichtigen Erzählweise Bestand haben. Doch gerade durch diese thematischer Tiefe versuchen die Produzenten, die Zuschauer an die Fernseher zu fesseln, „unsere Aufmerksamkeit über lange Zeit zu halten und uns zur Auseinandersetzung mit komplexen Inhalten zu zwingen“.
Diese „kulturelle Komplexität“, wie Lohninger schreibt, ist allerdings nicht unbedingt ein modernes Tabu, nichts, das „sich nur im Verborgenen entfalten“ kann. Denn Kultur funktioniert seit langem nach diesem Prinzip, nach der Einteilung in eine Hoch- und eine Alltagskultur. Ein literarisches Meisterepos von Goethe bedient sich anderer Mittel, hat eine anderes Ziel als ein einfacher Frauen- oder Kriminalroman. Die amerikanischen Serien bilden da keine Ausnahme, sie folgen dieser Unterteilung. Mit "Klick-Mentalität" oder Schnelllebigkeit hat das wenig zu tun.
Text: katharina-elsner - Foto: dpa/Frank-Ockenfels/Sony-Pitures