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I can't relax in Deutschland
www.icantrelaxin.de angestrichen: Popkultur zeichnet zu weiten Teilen gesellschaftliche Diskurse um Volk, Heimat und Nation nach und stellt sie zugleich dar. Diskurse also, die auch auf die KünstlerInnen wirken und von ihnen z.B. vertont werden. (...) Popkulturell und gesellschaftlich wünschen wir uns ein universelles, kosmopolitisches Grundverständnis, das es nicht nötig hat, in den Grenzen von Kulturkreisen, Staatsangehörigkeiten usw. zu denken. Wo steht das denn: in der Buch-Compilation „I can’t relax in Deutschland“, einem Projekt mehrerer vor allem aus Leipzig stammender Kulturinitiativen. Thema des Buchs und der CD, auf der Bands wie Mouse on Mars, Die Sterne, Robocop Kraus, Kettcar, Lali Puna u.a. vereint sind: die Kritik an einem neuen, modernen Nationalismus, der in den letzten Jahren in der deutschen Gesellschaft und damit auch in der Popkultur entstanden ist, und der sich in der Sehnsucht nach einem unverkrampften Verhältnis zu Deutschland sowie in einem neuen positiven Heimatgefühl äußert. Marvin Alster, vom selbstverwalteten Leipziger Kultur-Zentrum Conne Island, ist einer der Herausgeber. Wie kam es zu der Idee, diese Buch-Compilation herauszugeben? Es ist die Bandbreite an Phänomenen gewesen, die wir in der Popkultur beobachtet haben. Das waren im musikalischen Bereich die typischen Beispiele: Mia vor zwei Jahren mit „Was es ist“, ein Liebeslied an Deutschland, Peter Heppner und van Dyke mit „Wir sind Wir“ oder Sampler wie „Neue Heimat“. Es waren aber auch Uneindeutigkeiten wie etwa bei Wir sind Helden. Grundsätzlich sind die von ihrem Gestus sehr sympathisch und spielen auch Benefiz-Konzerte an Orten wie der Flora in Hamburg, einem besetzten Haus. Gleichzeitig sind sie in diesem Jahr beim „Vollblut“ Festival aufgetreten, bei dem alle Bands deutsch singen und aus Deutschland kommen müssen. Hinzu kamen die Diskussion um die Flick Kollektion in Berlin aber auch Filme wie „Das Wunder von Bern“, in dem eine „wir-sind-wieder-wer“-Haltung völlig kontextlos auf der Leinwand zu sehen war, oder „Der Untergang“ und die unzähligen „History“-Dokumentationen, in denen deutsches Leid inszeniert wurde. Wir glauben allerdings, dass all diese Phänomene nur Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung sind. Wie sieht diese gesellschaftlichen Entwicklung aus? Es gibt, was wir und andere, einen „neuen Nationalismus“ nennen, der sich vor allem seit dem rot-grünen Regierungswechsel 1998 zeigt. Leute, die aus einem linksalternativen, subkulturellen Kontext kommen, konnten sich plötzlich positiv mit der Politik des Staates identifizieren. Das geht mit einem Außenminister Fischer und einer grünen Bundestagsfraktion wesentlich besser als mit einer CDU-Regierung. Besonders einfach wurde es im Zuge des Irak-Krieges, während dem auch die Mia-Debatte begann. Mia haben die rot-grüne Politik so überhöht, dass am Schluss ein „Ich bin stolz auf Deutschland“ herauskam. Deutschland konnte wieder mit einem positiven Wir-Gefühl bedacht werden. Aus unserer Sicht ist dabei ein kritisches Verhältnis zu Nation verloren gegangen, was jahrelang in einer sich alternativ und gegen Obrigkeiten rebellierenden gebenden Popkultur-Szene als Standard galt. Sich auf Deutschland zu beziehen, war plötzlich kein Problem mehr, obwohl das verbietende Element in Popkultur immer der Universalismus war, für den Popkultur steht. Aber das muss ja auch nicht immer nur schlecht sein. Außerdem gibt es gibt doch nicht nur Nationalstolz oder Schuldbewusstsein. Es gibt doch auch etwas dazwischen. Ja natürlich. Mit unserem Einführungstext wollen wir auch bewusst polarisieren. Wir spitzen Dinge zu, um das Phänomen „neuer Nationalismus“ sichtbar zu machen. An einzelnen Personen ließe sich das nur schwer festmachen. Aber um eine Diskussion überhaupt anzustoßen, muss man manchmal etwas zuspitzen. Wir begrüßen es auch, wenn sich Leute mit Nation auseinandersetzen. Nur wäre es schön, wenn das etwas fundierter geschähe. Bei Debatten wie der Radioquote gab es zwar Einwürfe von einzelnen Personen, aber keine aus einer gesellschaftlichen Analyse her rührende Argumentation. Das haben wir nun versucht, indem wir auch theoretische Texte in unser Buch aufgenommen haben. Wir glauben, dass dieser positive Bezug zu Deutschland oft gefühlsgeleitet ist. Fast schon ein Bauchgefühl, was da vertont wird. Unsere Texte machen aber deutlich, dass Nation nichts Natürliches, nichts organisch Gewachsenes ist, sondern dass es ein Konstrukt des Kapitalismus ist. In Deutschland kommt natürlich noch die spezielle historische Dimension dazu. Sich in einem Songtext mit Nation auseinander zu setzen, reicht unserer Meinung nach nicht. Warum findet diese Entwicklung gerade jetzt statt? Woher kommt das Bedürfnis, sich wieder positiv auf Deutschland zu beziehen? Der Hauptgrund ist wahrscheinlich die ökonomische Krise. So deutet auch Roger Behrens in unserem Buch die Entwicklung. Frei nach der Faustregel: je größer die Krise, desto höher der Zulauf zur Nation. In unsicheren Zeiten besinnt man sich auf das einende Kollektiv. Das machen viele ja auch ganz unbewusst. Hinzu kommt die bereits angesprochene Veränderung im Bewusstsein, die mit rotgrün einsetzte. Anstatt wie bisher Auschwitz eher zu verharmlosen oder zu leugnen, wurde die deutschen Verbrechen nun instrumentell benutzt um eigene Machtinteressen durchzusetzen; erninnert seien an die Begründung des Kosovokrieges. Das rot-grüne Deutschland sah sich nun als Land, das sich für Menschenrechte einsetzt. Welche Rolle spielte für euch die Diskussion um die Radioquote? An dieser Diskussion war neu, dass sich Künstler aus ganz verschiedenen Bereichen zusammenfanden. Heinz Rudolf Kunze hat schon Mitte der 90er vom Genozid der deutschen Popmusik gesprochen. Da sind aber auch Leute wie Witt oder Heppner dabei, die in ihren Liedern eine rechtskodierte Ästhetik bedienen und eben Bands wie die Jan Eißfeld (Beginner), Seeed und Wir sind Helden, also Bands aus einem links-codierten, subkulturellen Hintergrund. Interessant war auch die Bandbreite der Beweggründe für die Initiative. Zum Einen wurden wirtschaftliche Gründe genannt wie den Popstandort Deutschland zu stärken. Zum Anderen hat die Argumentation aber stark auf ein antiamerikanisches Ressentiment gesetzt. Die deutsche Kultur, so hieß es, werde durch äußere Einflüsse zerstört. Leute wie Antje Vollmer und die "Musiker in eigener Sache" haben vom dominanten anglo-amerikanischen Repertoire gesprochen. Das ist natürlich problematisch. Nicht dass eine Kritik am Spartenradio nicht berechtigt wäre, aber man kann die eben nicht außen verorten. Zumal damals acht deutsche Bands in den Top 10 waren. Tappt ihr mit der CD, auf der nur deutsche Bands sind, nicht in die selbe Fallen wie die anderen Sampler, die ihr kritisiert? Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Wir haben das auch breit diskutiert. Aber diese Auseinandersetzung muss innerhalb Deutschlands geführt werden. Für eine französische oder polnische Band wäre es Quatsch, auf einer CD aufzutauchen, bei der es darum geht, sich nicht als deutsches Kulturgut vereinnahmen zu lassen. Insofern ist es natürlich eine CD im deutschen Kontext, den wir aber eigentlich nicht gut finden. Wir haben deshalb versucht, Bands anzusprechen, die zumindest ein Bewusstsein für unsere Problematik haben. Wir wollten klar machen, dass nicht das „Deutsch sein“ hier die Klammer ist, sondern das Bekenntnis zu Universalismus, das die Bands hier vereinigt. "I Can't Relax in Deutschland", von Unterm Durchschnitt, Conne Island, Beatpunk Webzine, Propellas, Guess I Was Punk und Blackstar Conspiracy , Buch und CD, 16 Euro 99. Erschienen im Verlag unterm durchschnitt.