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Gelesen: Die neue Spex aus Berlin

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Angestrichen: Die Differenz von Wirklichkeiten, der einst auch in der Spex etwas zugetraut wurde, ist vor dem Hintergrund verlorener Unschuld der Zeichen endgültig diskreditiert. Freilich ruht die Diagnose auf einer verstümmelten Geschichtsschreibung, die Jugendkultur mit Antifaschismus verwechselt und Punk zur letzten authentischen Widerstandsgeste aufbläst, die in der Verzweiflungstat des Rock-Musikers Cobain Höhepunkt und Ende findet, um schließlich in dem Berliner Stadtbezirken Mitte endgültig zu zerfasern. Wo steht das: Am Ende eines zweiseitigen, hochkomplizierten Editorials, zu dem sich die neue Redaktion des zwangserneuerten Magazins „Spex“ bemüßigt fühlte und das Rechtfertigung bzw. Leitlinie für das vorgelegte erste Heft aus Berlin sein soll. Hoffentlich wurde es mehrheitlich überblättert, denn dieses verquaste Selbstfreisprechen zieht den Inhalt unnötig in Mitleidenschaft. Der ist, zumindest oberflächlich betrachtet, in Auswahl und Fokus dem Geist der letzten Kölner Spex-Hefte nicht unähnlich. Etwas weniger neue Musikthemen werden angerissen, dafür gibt es ein paar längere Stücke über Bands und Musiker, in schwankender Qualität (Super: das Gespräch mit dem wahnsinnigen Michael Michalsky). Unangenehm viele davon sind vom neuen Chefredakteur Max Dax verfasst und über allen ist ein heiliger Ernst ausgegossen, der den lockeren Pop-Plauderton, den Uwe Viehmann eingeführt hatte, einer strengen und bisweilen zähen taz-Litanei weichen lässt. Gepaart mit einer düsteren Bildsprache und sperrigem Layout, ist diese Berliner Spex nicht gerade ein Wonneproppen und fasst sich kühl an. Eine Kehre oder ein Neuanfang, ein wütendes Statement oder waghalsiger Kamikaze-Ansatz ist es aber leider auch nicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Gänzlich vorenthalten wird dem Leser etwas, das die zweimonatige Erscheinungsweise erklärt oder im besten Falle, vergessen macht. Das Heft wirkt im Gegenteil dünner und haltloser als die Monatshefte der letzten Jahre, die zu einem überquellenden Popmusik-Brevier stets allerhand Tellerränder überblickten und Dossiers setzten, an denen auch trainierte Leser länger Unterhaltung fanden. Das fehlt, kommt ja aber vielleicht noch, denn der Anschein, dass man es hier mit einem unter Zeit- und Personalnot vollendeten Konvolut an Stehsatzthemen zu tun hat, hält sich wacker über die 160 Seiten. Mit Tourhinweisen und einer Idee für die letzte Seite hat man es gar nicht erst versucht, die Plattenkritiken, das Rückgrat jedes Musikmagazins, sind auf einen übersichtlichen Haufen zusammengeschrumpft und zum Teil von einer beschämend seichten Qualität (vor allem: Modest Mouse, The View, Arcade Fire, Air). Da werden von – mutmaßlich – Praktikantenhänden Kreativ-Phrasen gedroschen und inhaltsspezfische Angaben verweigert, wie man es in der schlimmsten Köln-Phase des Hefts Ende der neunziger Jahre nicht hinbekam. Von Fortschritt also eher keine Spur, für ein Gesinnungsurteil ist es noch zu früh, das Layout probt auch noch. Trotzdem lässt sich eines heute feststellen: Ein Magazin für zeitgenössische Kultur, das nur alle zwei Monate erscheint, braucht eine bessere Ausrede, als sie das hier vorgelegte ist.

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