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Gehört Schummeln zum Studium?
Angestrichen:
„Was man auf jeden Fall schon mal sagen kann, ist, dass Plagiate keine singuläre Ursache haben. Es gibt sehr, sehr viele Ursachen, und eine ist zum Beispiel, dass Studierende, die nicht in der Lage sind, wissenschaftlich zu arbeiten, deutlich eher geneigt sind, zu plagiieren. Das heißt jetzt nicht nur, dass jemand die Zitierregeln nicht richtig anwenden kann, sondern es geht viel weiter auch noch darum, dass jemand sich gar nicht wissenschaftlich wirklich ausdrücken kann, dass er nicht in der Lage ist, seine Gedanken wirklich wiederzugeben, oder dass er auch wissenschaftliche Texte gar nicht richtig verstehen oder kritisch lesen kann.“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wo steht das denn?
In einem Interview des Deutschlandfunk mit dem Soziologen Sebastian Sattler. Sattler hat für seine Magisterarbeit „Plagiate in Hausarbeiten. Erklärungsmodelle mit Hilfe der Rational Choice Theorie“ 226 Studenten befragt. Das Ergebnis: Rund 90 Prozent gaben an, grundsätzlich bereit zu sein, fremdes geistiges Eigentum als das eigene auszugeben. Etwas mehr als 50 Prozent gestanden, im Studium oder in der Schule plagiiert zu haben. Sattler ist Experte auf diesem Gebiet. Seine Arbeit wurde 2006 von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ausgezeichnet und gilt im deutschsprachigen Raum als maßgebend.
Sind also fast alle Studenten Schummler? Die jüngste Debatte um die wissenschaftlichen Arbeiten diverser Politiker hat den Begriff des Plagiats in das Bewusstsein der Öffentlichkeit befördert. Und sie hat gezeigt: Auch hochrangige Vertreter ihrer Zunft sind des korrekten Zitierens scheinbar nicht mächtig. Und nicht nur Politiker, auch anerkannte Wissenschaftler bilden prominente Beispiele. Dabei sollten doch zumindest die, könnte man meinen, die Regeln beherrschen. Aber mangelnde Kenntnis der Regeln ist nicht der einzige Grund dafür, dass es zum Schummeln kommt. Konkurrenzdruck ist beispielsweise ein weiterer. Oder der Wunsch, Zeit zu sparen. Oder, ganz einfach, der geringere Aufwand beim Arbeiten. Eine von Sattlers zentralen Beobachtungen lautet: „Jemand, der eine moralische Grundüberzeugung hat, dass Plagiate verwerflich sind, der ist auch deutlich weniger bereit, zu plagiieren.“
Diejenigen, die plagiieren, sehen ihre Tat also "gar nicht als verwerflich an". Dabei gibt es eigentlich an jeder Hochschule klar formulierte Regeln. In den meisten Fällen müssen Studierende bei der Abgabe einer schriftlichen Arbeit versichern, dass sie „keine anderen als die angegebenen Quellen benutzt und alle wörtlich oder sinngemäß aus anderen Werken übernommenen Aussagen als solche gekennzeichnet“ haben. Wird man dennoch erwischt, bestimmt die jeweilige Hochschulordnung, was geschehen wird. Die Strafen reichen von automatischem Nicht-Bestehen bis hin zur Exmatrikulation. Sattler empfiehlt daher, den Studierenden die Wichtigkeit und die Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens so früh wie möglich beizubringen.
Vielleicht führt die seit Monaten andauernde Debatte über Plagiate ja dazu, dass die Prinzipien künftig wieder genauer beachtet werden. Vielleicht ändern sich dann auch die Zahlen, die Sattler in seiner Arbeit nennt. Denn leichter wird das Plagiieren auch nicht unbedingt. Fast alle Hochschulen verfügen inzwischen über spezielle Softwareprogramme zum Aufspüren von kopierten Stellen. Die Software, die an der Universität Bielefeld verwendet wird, an der auch Sebastian Sattler arbeitet, kann schriftliche Arbeiten mit mehreren Milliarden Seiten im Internet abgleichen. Das Aufspüren von Kopien wird zur Ehrensache und manche erachten es sogar als preiswürdig. Die Initiatoren der Seite GuttenPlag Wiki sind gerade für den Grimme Online Award nominiert.
Text: pierre-jarawan - Foto: Vlaminck / photocase.com