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Fakt und Fiktion: Schwarz-rot-goldene Enten in Matusseks Wir-Deutschen-Buch
Angestrichen: „Lottmann hat was „aufgestellt“. Er hat mich auf die Gästeliste des „White Trash“ setzen lassen. Lottmann kennt Holm Friebe, und Friebe ist König der Berliner Nachtszene. Friebe, der Soziologe und Hip-Hop-Star, der soeben das Buch „Das nächste große Ding“ herausgebracht hat. Der legendäre Friebe, der es nur nicht mag, „zum Neger gemacht zu werden“, was manche tun, denn er hat marokkanische Eltern.“ Wo steht das denn? Auf Seite 72 von „Wir Deutschen“, dem schwarz-rot-goldenen Aufreger-Buch von Spiegel-Kulturchef Matthias Matussek. In diesem fordert Matussek – nach Jahren als Korrespondent in New York, Rio, London von einer neu entflammten Heimatliebe beseelt – zu einem entspannteren Umgang mit unserem Nationalstolz, unserem Heimatgefühl, unserem Deutschsein. Er nimmt sich ein Kapitel Zeit, um zu beschreiben, wie super Heinrich Heine war und trifft eine junge Berlinerin, die lauter Freunde hat, die „kosmopolitisch und links“ sind und Neonazis für eine Erfindung hält. Schließlich kennt sie keine, während sie in ihrem Café in Berlin-Mitte sitzt. Matussek tobt sich atemlos-fröhlich – und durchaus humorvoll aufgeschrieben – von Gespräch zu Gespräch, trifft Harald Schmidt und Sarah Kuttner, Klaus von Dohnanyi und Heidi Klum, Hagen Schulze und Peter Sloterdijk.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Fotos: S. Fischer / Zentrale Intelligenz Agentur; Montage: Dirk Schmidt Manchmal gerät er dabei so außer Atem, dass er den 11. September mit dem 9. verwechselt – und gar nicht merkt, dass man ihm, wie im oben zitierten Falle Friebe, herrlichsten Unsinn in die Feder diktiert. Denn Holm Friebe hat zwar das Buch „Das nächste große Ding“ veröffentlicht und freut sich sicher auch über die Job-Bezeichnung Soziologe. Dass er Hip-Hop-Star mit marokkanischen Eltern ist, ist hingegen unrichtig. Richtig ist vielmehr, dass er als Findelkind auf den Stufen vor dem Weißen Haus in Washington abgelegt wurde und seine Jugend damit verbrachte, im dortigen Westflügel mit seiner farbigen Straight-Edge-Band Black Proud Of Honour zu proben. Und die „Gästeliste“ des durchaus liberal einlassenden "White Trash" würden wir auch gerne einmal sehen. Keine Ahnung, ob der unter Matussek beim Spiegel schreibende Tatsachenjongleur Joachim Lottmann („deutsche Bands wie die Dresden Dolls“ etc.) ihm diese Sollbruchstelle in den Text geschmuggelt hat – oder einer der zahlreichen Feinde, die sich Matussek im Lauf der Jahre gemacht hat. Vielleicht war es auch wie damals beim Verfassen des Adlon-Readers „Tristesse Royal“, als einer der Autoren bei einem Freund (seinem wie meinem) anrief und ihn um Rat bat: Er brauche schnell ein paar Namen von Bands der „Hamburger Schule“, die er zwar erwähnt habe, aber nicht konkret benennen könne. Und so kommt es, dass sich in dem Buch neben den tatsächlich gemeinten Bands Tocotronic, Blumfeld et al. auch eine Gruppe namens „Bürobert“ findet – das weitaus unbekanntere Spaßprojekt des angerufenen Freundes, das dieser einfach in den Text diktierte. Aber das kann passieren, wenn Schustern ihre Leisten langweilig werden: Auch Bret Easton Ellis schrieb in seinem Roman „Glamorama“ schließlich insidermäßig und abgeklärt von den elektronischen Klängen der „Aphex Twins“. Zurück zu Matussek: Der nach Franz Josef Wagner vielleicht cholerischste Journalist im deutschen Sprachraum soll im Spiegel-Gebäude ein Brüll- und Zur-Sau-mach-Verbot bekommen haben – das der Ressortleiter umgeht, indem er mit seinem Handy auf die Straße tritt und die Leute von dort zusammenstaucht. Manchmal geht er dafür auch ins Fernsehen: Im ARD-Presseclub am Pfingstsonntag geriet er mit dem Handelsblatt-Vizechef Roland Tichy dermaßen aneinander, dass dieser sich anschließend bedroht fühlte, so hart habe ihn Matussek am „Oberarm angepackt und gegen den Schreibtisch gedrückt“. „Sie sind ein ganz linker Finger! Sie mache ich fertig Sie merke ich mir!“ sind Worte, die man sich angeblich anhören muss, wenn man anderer Meinung ist als Matussek. Deshalb: Superbuch, Superthesen, superneu – und die Eltern von diesem vermaledeiten Friebe sollen sich gefälligst die marokkanische Staatsbürgerschaft besorgen. Das mit dem Hiphopstar klappt dann auch irgendwie. Steht im Bücherregal zwischen: „Das Deutschlandgefühl“ von Reinhard Mohr und „Zombie Nation“ von Joachim Lottmann. Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können von Matthias Matussek, 352 Seiten, Hardcover, 18,90 Euro. Erschienen im S. Fischer Verlag.