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Ein geplanter Absturz

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Wo steht das denn? In „Sie ist weg“, dem zweiten Roman der französischen Verlegerin Catherine Guillebaud. Das Buch hat 2004 den „Grand Prix des Lectrices“ erhalten. Jetzt ist die deutsche Übersetzung von Anne L. Braun erschienen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Clarisse, die Tochter eines Schweizer Bankdirektors, ist abgehauen nach Paris. Weg von ihrem perfekten Leben in der Genfer Vorstadt-Villa und vor allem weg von ihrer gefühlskalten Mutter, die sich lieber mit ihrem morgendlichen Eisbad gegen Cellulite als mit ihrer Tochter beschäftigt. Offiziell soll Clarisse in Paris Kunst studieren, in Wirklichkeit beginnt sie ein Leben auf der Straße. Sie schläft auf Parkbänken und pinkelt in öffentliche Grünanlagen. Stück für Stück entfernt sie sich von ihrem früheren Leben - in die von Papa finanzierte Wohnung geht sie nur noch zum Duschen, zu Hause ruft sie kaum noch an. Kleidung besorgt sie sich beim Roten Kreuz, Geld für Essen erbettelt sie. Schließlich landet der Schlüssel ihrer Wohnung in einem Pariser Gully, sie nimmt sich selbst die Möglichkeit, umzukehren. Gleichzeitig wünscht sich Clarisse, gefunden zu werden und sehnt sich nach der Fürsorge und Liebe ihrer Eltern. Ihr Vater aber drückt seine Sorgen aus, indem er ihr regelmäßig Geld schickt, die Mutter macht sich vor allem Gedanken darüber, was „die Leute“ sagen werden und lenkt sich durch das Verrücken von Blumentöpfen ab. Clarisses letztes Hab und Gut ist ihr Rucksack. Als der geklaut wird, fühlt sie sich endlich richtig frei – „schwerelos“. Gerade in diesem Augenblick ringen sich ihre Eltern endlich dazu durch, sie zu suchen. Ob es dafür zu spät ist, lässt Catherine Guillebaud offen. Boshaft interpretiert erzählt das Buch die Geschichte von einem reichen Mädchen, das aus lauter Langeweile und Oberflächlichkeit das Abenteuer Obdachlosigkeit in der Großstadt wagt, um endlich mal „das richtige Leben“ kennen zu lernen. Damit wäre Catherine Guillebaud jedoch Unrecht getan. Sie erzählt die Geschichte so, dass sie den Leser zwischen die Stühle setzt. Die Sorge des Vaters wird genauso eindringlich geschildert wie das Gefühlschaos von Clarisse und die Außenperspektive des Hausmädchens. Was jeder einzelne tut, scheint logisch und realistisch, und wird zugleich in seiner Absurdität deutlich. Wenn man beginnt, „Sie ist weg“ zu lesen, denkt man als erstes an eine klassische Ausreißergeschichte und das alles gut ausgehen wird. Weil man dieses Happy End erwartet und braucht, liest man das Buch bis zum Ende durch. Und obwohl es anders kommt, oder gerade deswegen, lohnt es sich auch. Steht im Bücherregal zwischen: einem Paris-Stadtführer und Das kurze Leben des Stuart Shorter von Alexander Masters.

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