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Die falsche Debatte
Angestrichen:
„Zusammenfassend lässt sich sagen, das ausländische Jugendliche gegenwärtig immer seltener wegen Straftaten (und auch wegen Gewaltdelikten) auffällig werden. (...) Eine weitergehende Differenzierung ermöglichte zeitweilig die polizeiliche Kriminalstatistik des Landes Berlin. Dort war zu erkennen, dass sich deutsche Jugendliche mit Migrationshintergrund bei Delikten mit Gewaltbezug (...) nur wenig von Deutschen ohne Migrationshintergrund unterscheiden.“
Wo steht das?
In dem Gutachten „Migration und Jugenddeliquenz – Mythen und Zusammenhänge“, das der Kriminalwissenschaftler Dr. Christian Walburg von der Universität Münster für den „Mediendienst Integration“ erstellt hat.
Worum geht es?
Darum, dass Menschen oft ein falsches Bild von Ausländerkriminalität haben. Walburg zitiert Umfragen, die belegen, dass „in der Bevölkerung die Vorstellung weit verbreitet ist, dass Menschen ausländischer Herkunft häufiger Straftaten begehen als Menschen ohne Migrationshintergrund.“ Die Massenmedien würden dieses Bild bestärken, in dem sie über Migranten häufig im negativen Kontext berichten und reißerische Schlagzeilen wählen. Walburg führt dabei nicht nur Beispiele aus Springer-Medien, sondern auch von Spiegel Online und der Süddeutschen Zeitung an.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
An der Frage, ob junge Ausländer häufiger kriminell sind, entzünden sich oft Debatten. Ein Gutachten sagt nun klar: sind sie nicht!
Walburg hat daraufhin zahlreiche Studien und Statistiken ausgewertet, um zu überprüfen, inwiefern die auffallend negative Medienberichterstattung über Kriminaldelikte von Migranten gerechtfertigt ist. Seine Haupterkenntnisse:
Ausländische Jugendliche sind in den letzten Jahren immer seltener straftätig geworden, gleiches gilt aber auch für deutsche Jugendliche.
Ausländische Jugendliche, also junge Menschen ohne deutschen Pass oder mit Wohnsitz im Ausland, und Jugendliche mit Migrationshintergrund werden in der Rezeption von Studien oft vermischt. So hatten 20 %Prozent der 2012 erfassten ausländischen Tatverdächtigen ihren Wohnsitz überhaupt nicht in Deutschland. Auch wurden 20 Prozent der nichtdeutschen Tatverdächtigen wegen Straftaten belangt, die unter das Ausländerrecht fallen (zum Beispiel unerlaubte Einreise), ergo von Deutschen gar nicht begangen werden könnten. Außerdem erfassen die meisten Kriminalstatistiken nur die Staatsbürgerschaft, nicht einen möglichen Migrationshintergrund.
Nichtdeutsche Jugendliche werden erheblich häufiger als Tatverdächtige belastet als deutsche. Das kann aber auch daran liegen, dass sie aufgrund der stereotypen Vorstellungen vieler Menschen von einem Kriminellen häufiger überprüft und angezeigt werden
Jugendliche mit Migrationshintergrund begehen ähnliche Delikte, wie junge Menschen aus deutschen Familien. Meistens handelt es sich dabei um Bagatellvergehen wie Sachbeschädigung oder Diebstahl. Türkische Jugendliche begehen gemessen an allen Herkunftsregionen (auch Deutschland) die wenigsten Diebstähle.
Religiöse Bindung, also zum Beispiel die Zugehörigkeit zum Islam, führt nicht zu vermehrter Gewaltausübung.
Der einzig prägnante Unterschied zwischen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und denen mit, ist das Risiko gewalttätigen Verhaltens: Dies betrifft zwar nur eine kleine Gruppe, allerdings begehen Jugendliche mit Migrationshintergrund öfter Gewaltdelikte (darunter fallen Mord, Totschlag, Vergewaltigungen). Über das „warum“ gibt es verschiedene Thesen. Laut Walburg ist die höhere Gewaltbereitschaft nicht verschiedenen Herkunftsgruppen zuzuordnen, sondern hängt vielmehr mit Gewalterfahrungen im eigenen Umfeld zusammen. Auch hätten Analysen gezeigt, dass oftmals Jugendliche gewalttätig werden, die sich in Deutschland unterprivilegiert fühlen, sei es sozial, ökonomisch oder weil sie von Bildung ausgeschlossen werden. Eine höhere Beteiligung von Migranten an Bildung ist laut Walberg deshalb der Schlüssel zu weniger Gewaltdelikten.
Warum sind diese Erkenntnisse wichtig?
Weil die angeblich höhere Kriminalität oft auch als Argument für eine notwenige, restriktivere Zuwanderungspolitik verwendet wird. Vergangenes Wochenende gab es dafür in der „Bild am Sonntag“ ein prominentes Beispiel. Dort schrieb Vize-Chefredakteur Nicolaus Fest:
„Nur der Islam stört mich immer mehr. Mich stört die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund. (...) Nun frage ich mich:Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen!“
Auch wenn daraufhin viele Menschen und Medien Fest für diese Aussage kritisierten und die Chefredakteure Kai Diekmann (Bild) und Marion Horn (BamS) sich am Ende entschuldigten – ein paar Leute werden immer noch gedacht haben „Recht hat der Fest“. Mit Gutachten wie denen von Dr. Christian Walburg kann man diesen Menschen zumindest sagen: „Ne, der Fest hat eben nicht Recht.“ Ob man sie damit überzeugt, ist eine andere Frage.
Text: charlotte-haunhorst - Bild: Mr. Nico / photocase.com