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Das Justin-Bieber-T-Shirt

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Angestrichen:
"As a function of fear and pre-emptive shame, ironic living bespeaks cultural numbness, resignation and defeat. If life has become merely a clutter of kitsch objects, an endless series of sarcastic jokes and pop references, a competition to see who can care the least (or, at minimum, a performance of such a competition), it seems we've made a collective misstep."

Wo steht das?
In „The Stone", dem Philosophie-Blog der New York Times. Die Princeton-Romanistin Christy Wampole kritisiert dort, dass sich das Hipster-Milieu dem vollkommen ironischen Leben verschrieben hat.

Und was soll das Ganze?
Juchu, schon wieder eine Ironie-Debatte! Da hatte man gerade noch gedacht, spätestens Ende der 90er sei in irgendeinem Stuckrad-Barre-Text dann aber auch wirklich alles zum Thema Ironie gesagt worden, was man dazu sagen kann. Aber die Wellen der Hipster-Verachtung scheinen jetzt auch die alte Ironiekritik wieder als Strandgut mit an Land zu spülen. Und am Strand freut man sich, wie ein Blick in die vielen positiven Twitter-Kommentare zeigt. (Kritik am Text findet sich allerdings auch.) Wampoles Thesen, die so erfreut aufgenommen werden, lauten: Hipstertum, das kulturell dominante Modell unserer Zeit, ist viel zu ironisch, viel zu ironisch sein ist schlecht – deswegen läuft was falsch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ironisch gemeint: Der Hipster-Moustache.

Wampole wärmt die alte Kritik auf, dass die Durchironisierung dazu führt, dass keiner mehr irgendeine Position bezieht: „Moving away from the ironic involves saying what you mean, meaning what you say and considering seriousness and forthrightness as expressive possibilities, despite the inherent risks." Das stimmt natürlich, wenn man unter Ironie ganz statisch versteht, das eine zu sagen (zu tragen, zu hören, sich an die Wand zu nageln), aber das Gegenteil zu meinen. Linguisten haben für diese Vulgärironie meistens irgendwelche kreuzlangweiligen Beispiele zur Hand: Man sagt „Das hast du aber toll gemacht", wenn jemand sich aus Versehen in den Geburtstagskuchen gesetzt hat. Diese Form von Ironie wird aber höchstens noch von Müttern, Mitarbeitern des Einwohnermeldeamts und am Anfang dieses Textes benutzt.

Das war schon immer eines der Probleme der Ironie-Debatte: Man kann diese ganz simple Ironie nicht mit der gleichsetzen, die Wampole in der Hipster-Demographic findet. Genauso wenig wie man nicht über die Parodie eines Hipsters reden kann, wenn man über Hipster reden will. Die Illustration zu ihrem Text zeigt einen jungen Mann und ein kleines Mädchen, beide tragen ein Justin-Bieber-T-Shirt. Gemeint ist wohl: Das Mädchen einfach so im Ernst, der Junge vulgärironisch, er findet Justin Bieber nämlich doof. Möglicherweise findet man in Brooklyn tatsächlich noch jemanden, der aussieht wie ein Hipster und ein T-Shirt trägt mit etwas drauf, das er überhaupt nicht mag. Mit der Ironie unserer Zeit und mit Hipstertum hat das aber nichts zu tun. In Wirklichkeit mag der abgebildete junge Mann Justin Bieber nämlich, er weiß nur auch darum, was daran blöd sein könnte, Justin Bieber zu mögen. Das unterscheidet sein Tragen des T-Shirts von dem des kleinen Mädchens.

Es ist eigentlich genau andersherum, als Wampole es behauptet: Ironie in ihrer elaborierten Variante ermöglicht es doch erst, zu Beginn des 21. Jahrhundert überhaupt noch Position zu beziehen. Ausgerechnet Wes Anderson wird in dem Text als ein Vertreter neuer unironischer Kunst zitiert. Dabei ist sein letzter Film „Moonrise Kingdom" ein Paradebeispiel für komplexe Ironie: Anderson mag klassische Abenteuergeschichten aus Kinderbüchern, weiß aber auch, was an Kinderbüchern nicht so gut ist, und baut diese Erkenntnis in seinen Film ein, damit er am Ende das Kinderbuch feiern kann.

Zu sagen, was an dem, was man mag, schlecht sein könnte, und warum man es trotzdem braucht, das ist für Ironie-Verächter wie Wampole vielleicht immer noch feige. Aber einfach zu vergessen, was an Justin Bieber und Kinderbüchern schon alles dekonstruiert wurde, um sie ohne jede Distanz zu umarmen, das ist schlimmer als feige, nämlich irrational. Aber warum bekommt man trotzdem für Ironie-Bashing auch im Spätherbst 2012 noch so viel Zustimmung? Die Vorbehalte gegen Hipsterkultur sind wohl immer noch so groß, dass wir sie unbedingt mit ihrer eigenen Parodie verwechseln wollen.

Text: lars-weisbrod - Foto: dpa

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