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10 Jahre ATTAC: Ist doch nicht schlecht, wenn die Mainstream werden, oder?

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Angestrichen: Die Globalisierungskritik ist im Mainstream angekommen. Wo steht das? Im Wirtschaftsteil der „Welt am Sonntag“ vom 1. Juni 2008 auf Seite 33. Wer sagt das? So wird Christ Methmann, 27, zitiert. Er ist Politikwissenschaftler und zählt zum sogenannten Koordinierungskreis von Attac Deutschland, dem globalisierungskritischen Netzwerk. Um was geht’s da? Am 3. Juni vor zehn Jahren hebt ein Journalist in Frankreich Attac aus der Taufe. Hier zur Erinnerung die Bedeutung der Buchstaben: Association pour une Taxation des Transactions Financières pour l'Aide aux Citoyens. In dem Akronym steckt eine der ersten und fortwährenden Forderungen der Attacanten: Finanztransaktionen müssen besteuert werden und das Geld aus dieser Art Reichensteuer muss den armen Menschen zu Gute kommen. Vielleicht wäre diese Idee, das ganze Modell Attac, dieser junge Protest, der dort draußen einen Gegner - die eilige und immer eiliger werdende Wirtschaft - ausgemacht hatte, noch eine Weile verborgen geblieben, hätte es nicht die Proteste von Genua im Juli 2001 gegeben. Dort war mal wieder G 8-Gipfel und junge Menschen aus Überall fuhren nach Italien, um zu zeigen, dass die Jugend der Welt nicht jede Bewegung der Politik mit einem Kopfnicken versieht. Es ging ihnen um eine bessere Welt. Dann aber kam ein junger Mann bei den Protesten ums Leben, vom ersten Toten der Globalisierungsproteste war die Rede und - so zynisch es klingt -, die Tage von Genua wurden für Attac eine Art Mondlandung; Genua ist bis heute der Referenzpunkt, das Fanal in Sachen Protest, das noch bis ins vergangene Jahr die Veranstaltungen etwa gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm an der Ostsee befeuerte. 1998 die Gründung, 2001 der Vorstoß in die Welt, 2008 angeblich fast 90.000 Mitglieder in 40 Ländern: Allein in Deutschland zählt Attac nach eigener Auskunft derzeit 20.000 Mitglieder. Attac wurde zur Marke, zu einem Büro mit Menschen, die man in Frankfurt am Main anrufen kann, die man für eine Diskussion im Fernsehen oder auf einem Podium anfragen kann, in der es um faire Arbeit, Finanzmärkte oder Ökologie geht. Die Attacanten sprechen und schreiben gegen Privatisierung und Neoliberalismus, sie haben etwa eine Agrarexpertin, die im Wiener „Standard“ für eine sozial- und umweltverträgliche Landwirtschaft und gegen eine Privatisierung von Ackerflächen schreibt. Sie stützen den Kampf gegen die Bahnprivatisierung, weil etwas allgemein Gebrauchtes wie eine Bahnverbindung dann in die Hände eines Unternehmens kommt, sie machen Sommerakademien und Diskussionsrunden und Pressemitteilungen und brachten neulich die Deutsche Bank dazu, nicht mehr auf Brötchentüten für Agrarfonds zu werben, weil die für eine Teuerung der Lebensmittelpreise verantwortlich sind. So. ATTAC ist zur Sammelstelle vermeintlich guter Menschen geworden, fast schon zu einer Partei, zu der sich heute Gewerkschaften wie ver.di oder Organisationen wie der BUND oder Menschen wie Heiner Geißler zählen. „Die Globalisierungskritik ist im Mainstream angekommen“, sagt Chris Methmann. „Meiner Meinung nach hat sich die Situation einfach normalisiert“, sagte Sven Giegold im vergangenen Jahr zu jetzt.de, Giegold war vor sechs Jahren einer der Köpfe von Attac. So wandelte sich das Netzwerk von der ruch-umwehten Protestkeimzelle zu einem Verbund, in dem nicht nur die Schlagzeilen und Claims zu den derzeit relevanten Themen wie Klimawandel und Globalisierung verstaut werden, nein, Attac muss man vielleicht mehr denn je als aufklärendes Institut bezeichnen, das sich einen Beirat von Wissenschaftlern leistet, der unter anderem Taschenbücher mit Titeln wie „Vom Süden lernen – Lateinamerikas Alternativen zum Neoliberalismus“ heraus gibt. Nun beklagen die einen nach zehn Jahren den Verlust der Radikalität, der Bissigkeit, die die Protestierer von einst doch an den Tag gelegt hätten. Nun behaupten die anderen, dass einer Organisation wie Attac, will sie langfristig ernst genommen werden, nur der Weg in die Professionalisierung des Protests bleibt - und damit ginge eben ein softerer Protests, eine bessere Öffentlichkeitsarbeit und eine breitere intellektuelle Basis einher. Vielleicht ist dieser Weg in den Mainstream unumgänglich, will eine Organisation wie Attac langfristig bestehen. Und womöglich ist das Zehnjährige von Attac ein Zeichen dafür, dass die Idee hinter der Organisation ganz gut ist.

Text: peter-wagner - Foto: attac.de

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