Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Wuff? Uff.

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Von Esma Annemon Dil; Illustration: Thomas Kartsolis

ein Hund geht in die Gruppentherapie mit dem Hund von Billy Idol. Ich weiß, wie sich dieser Satz anhört. Aber ich kann alles erklären.

Es fing damit an, dass ich vor vier Jahren nach Los Angeles zog, eigentlich nur, um für ein paar Monate aus dem beschaulichen München rauszukommen. Ich mietete ein Zimmer im Haus einer ehemals bekannten Schauspielerin, mit deren Karriere es bergab ging. Zum Einzug gab sie mir eine Kiste mit Kabbala-Büchern, die ihr nicht geholfen hatten. Nach wenigen Wochen fühlte ich mich fremder als in China oder Usbekistan. Ich buchte sogar Massagetermine, um irgendeine Art von menschlicher Nähe zu bekommen. Man darf sich nicht täuschen, weil man gut Englisch spricht und Amerika aus Filmen zu kennen meint. Es ist eine fremde Kultur. Ich hatte mir geschworen, mehr Beobachter dieser Kultur zu bleiben, als Teil von ihr zu werden. Lange habe ich widerstanden, doch dann lernte ich meinen heutigen Mann kennen. Wir kauften uns ein Haus in den Hollywood Hills, und zu dem Haus besorgte ich mir einen Hund. Er heißt Crackers, ist eine Malteser-Pudel-Mischung – und Crackers machte mich schließlich zu einer ganz normalen Einwohnerin von Los Angeles. Oder was hier eben als normal durchgeht.

Ich habe Crackers im Tierheim gefunden. Eigentlich wollte ich mich nur mal umsehen.
Natürlich nahm ich den ersten Hund mit, der mich treu anblickte.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Crackers wirkte erlöst, als ich mit ihm durch die engen Kurven des Mulholland Drive nach Hause fuhr. Wenige Tage zuvor war er verfilzt in den Straßen von Compton aufgegriffen worden. Dieses Gettoviertel erlangte Berühmtheit, weil Gangsta-Rapper in ihren Liedern gern darauf hinweisen, dort aufgewachsen zu sein, um ihre Härte zu belegen. An meinem Hund erfüllt sich jetzt der amerikanische Traum, dachte ich, als er neben mir in meinem Cabrio saß, die weißen Haare vom Wind zerzaust.

Doch schon am nächsten Tag zeigte mir Crackers seine Neurosen: Noch vor dem Losfahren kotzte er mir auf die Autositze, und beim Spazierengehen versteckte er sich zitternd im Gebüsch. Abends pinkelte er meinem Mann zur Begrüßung auf die Budapester. Mit seinen Gummibällchen konnte Crackers wenig anfangen, dafür wälzte er sich in den Resten eines von Kojoten erlegten Eichhörnchens.

Also fuhr ich Crackers – wieder kotzend – zum einzigen Hundesalon, den ich im Vorbeifahren gesehen hatte. Bei »Fresh Paws of Bel Air« wurde er gebadet, bekam Teebaumöl-Conditioner ins Fell und eine Blaubeer-Gesichtsmaske. Danach föhnte ihm die Dame in der rosa Schürze auf einem barocken Frisiertischchen die Haare trocken.

Von dieser Welt wollte ich meinen Hund eigentlich fernhalten. Aber ich hatte nicht mit Banger gerechnet. Banger ist der Hund unserer Nachbarn; Crackers lernte ihn schnell und schmerzhaft kennen, weil Banger sich nur ungern an die für ihn vorgesehenen Absperrungen hält. Aus Angst vor Bangers Attacken führen die meisten Nachbarn in unserer Straße ihre Hunde nur mit einem Knüppel zur Selbstverteidigung Gassi.

Banger hatte ich zum ersten Mal getroffen, als er beim Renovieren unseres Hauses versuchte, mir in die Wade zu beißen. Angelockt durch Crackers, suchte Banger nun auch uns ständig heim. Mit einem Hammer bewaffnet, ging ich zum Haus von Bangers Besitzern, aber mein Klingeln ging im starken Bass unter, der mir am Tor entgegendröhnte. Wir erkundigten uns nach dem Besitzer des Hauses, dafür reicht in L.A. eine Anfrage in der Datenbank city-data.com. Der Name William M. Broad sagte uns allerdings nichts.

Als es wenige Tage später wieder einmal »Banger!« durch die Straße schallte, weil das Monster ausgebrochen war, um Postboten und Passanten zu jagen, sprach ich seine Besitzerin an. Sie erklärte mir todernst, dass Banger nicht bösartig sei, sondern nur so wirke, »weil er seine Verlustangst in Aggression sublimiert«. Banger sei ein Trennungshund; sie, ihr Hund und ihr Sohn leben ohne ihren früheren Partner in dem Haus. Was daran liegen kann, dass der Rockstar ist und unter dem Namen Billy Idol viel in der Welt unterwegs. Mrs. Idol versicherte mir aber, dass ihr Banger auf einem guten Weg sei, seitdem er zu einem Tierpsychologen in Therapie geht. Und ob das nicht auch was für meinen Hund wäre, bei den vielen Neurosen?

Tatsächlich hatte mein Hund inzwischen aufgehört, Wasser aus seinem Napf zu trinken, dafür leckte er nasse Handtücher ab. Bei Spaziergängen an der Leine musste ich ihn hinter mir herschleifen, zu Hause pinkelte er in den Kamin. Also ging ich tatsächlich zu Dr. Steinberg und schilderte ihm meine Probleme mit Crackers und erzählte ihm von seinem schwelenden Nachbarschaftsstreit mit Banger. Dr. Steinberg attestierte: Da helfe nur eine Gruppentherapie. Crackers habe eine Heimkind-Neurose. Und so stand ich einige Tage später tatsächlich daneben, als Dr. Steinberg in unserem Garten versuchte, Crackers und Banger gemeinsam zu therapieren – was bedeutete, dass er ihnen erfolglos »Sitz!« und »Platz!« befahl und uns unleserliche Notizen hinterließ, die er beim nächsten Mal abfragte.

Viel gebracht hat das natürlich nicht, außer dass Banger und Crackers sich besser verstehen und Billy Idols Hund uns jetzt große Haufen in den Garten setzt.

Erzählte ich meinen Freunden aus Deutschland von meinen Erlebnissen, wurde ein kleines Comedy-Programm daraus, nur unterbrochen von Einwürfen wie: »Das ist nicht dein Ernst!« Mit meinen Nachbarn in L.A. konnte ich dagegen kultivierte Gespräche zum Thema führen.

Lies weiter bei den Kollegen vom SZ Magazin!

  • teilen
  • schließen