Sigmar Gabriel war Deutschlands jüngster Ministerpräsident – an dieser Aufgabe scheiterte er kläglich. Vor zwei Jahren machte ihn Franz Müntefering zum Umweltminister. Dank der Klimadebatte hat Gabriel nun beste Aussichten, einmal Kanzlerkandidat der SPD zu werden.
julia-rothhaas
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Von: Hajo Schumacher (Text); Edgar Herbst (Foto)
Sigmar Gabriel ist ein Fuchs. Er wittert selbst dort Gefahren, wo gar keine sind. Zwischen Reichstag, Kanzleramt und Abgeordnetenhaus steht der Bundesumweltminister und soll fotografiert werden. Er guckt sich um. Motiv-Check. »Aha«, sagt er zum Fotografen, »war ja wieder mal klar, was ihr vorhabt.« Der Fotograf guckt irritiert. Er hat gar nichts vor. Er will ein Foto machen. Aber Gabriel misstraut der Arglosigkeit. Politik besteht nur aus Hintergedanken.
Natürlich, denkt Gabriel, soll im Hintergrund des Fotos die mächtige Silhouette des Kanzleramts zu erahnen sein. Und bestimmt wird das Bild hämisch betextet. Die Kanzlerin und ihr Knut, der von unten neidisch auf den Felsen guckt. »Man lernt, nicht nur in Schlagzeilen, sondern auch in Bildunterschriften zu denken«, sagt Gabriel. Er stellt sich dennoch zwischen Fotografen und Machtzentrale, er hat sich offenbar entschieden, dass es besser sei, hämisch betextet, aber immerhin mit Kanzleramt abgebildet zu werden. Nur unwillig lässt er sich stattdessen ins Grüne dirigieren, mit dem Reichstag im Hintergrund. Politik bedeutet nicht nur Misstrauen, sondern auch Widerspruchs- und Frustrationsmanagement.
Hier, im deutschen demokratischen Dreieck, wo sich nach dem Ideal der Architekten Volk und Vertreter treffen, flaniert eine Schulklasse achtlos an ihrem stattlichen Umweltminister vorbei. Der macht den Eindruck, als würde er gern erkannt werden. Soll er die jungen Leute ansprechen? 2013 dürfen die bestimmt wählen. Aber was ist, wenn sie ihn wirklich nicht erkennen, obwohl er das Klima rettet und mit dem kleinen Eisbären auf Du ist? Unbekannt zu sein wäre peinlich. Politiker müssen auch die Größe haben, nicht jede Chance zu ergreifen.
Gabriel ist einer der Begabtesten im Management von Hintergedanken, Widersprüchen, Frustrationen und Chancen. Kaum ein Politiker ist mit 47 Jahren so viel Achterbahn gefahren – mit Loopings, Aufstiegen und Abstürzen. Wäre Gabriel ein Fußballer, dann eine Mischung aus Sebastian Deisler, Stefan Effenberg und Gennaro Gattuso. Er galt als Supertalent und hatte eine große Klappe. Dann fiel er tief. Vertraute sorgten sich um seine Seele und die Gesundheit. Er überlegte, der Politik den Rücken zu kehren. Doch Sucht siegte über Vernunft.
Hier geht es zum zweiten Teil der Geschichte auf sz-magazin.de