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Mädchen sind willkommen (Jungs nicht)

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Von Karin Prummer und Dominik Stawski (Text und Fotos)

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als Nina wieder einmal so verzweifelt ist, dass sie sterben will, nimmt sie den ganzen Mut zusammen und ruft den Rektor ihrer Grundschule an: »Wenn ich kein Mädchen sein darf, dann komm ich nicht mehr!« Schweigen am anderen Ende. Der Rektor zögert. Nina wartet. Sie presst den Hörer ans Ohr und hält den Atem an. Ganz still steht sie da, im Wohnzimmer der hellen Neubauwohnung am Stadtrand von Köln. Ein Kind, elf Jahre alt, mit strohblonden Haaren, das versucht, einen Schuldirektor zu erpressen. Nina geht in die 4 b, trägt zu Hause gern Röcke und Ringelstrümpfe und tanzt am liebsten zur Musik von Mark Medlock und Rihanna durch ihr Zimmer – ein hübsches Mädchen. Wäre da nicht ihr Körper. Ein Jungenkörper. So steht es auch in der Geburtsurkunde: »männlich«, gleich neben dem Namen: »David«. Ein Fehler, sagt Nina. »Ich bin ein Mädchen.« Dass wir sie heute überhaupt Nina nennen können, dafür hat sie jahrelang gekämpft. Noch bis vor wenigen Monaten war sie David. Alle sahen sie als Jungen – Mutter, Vater, ihre drei Jahre jüngere Schwester Lisa, die Ärzte, die Lehrer, der Rektor. Wenn sie in die Schule ging, musste sie Hosen tragen. Sie solle froh sein, sagte der Vater, dass sie zu Hause mal einen Rock anprobieren dürfe. Und auch das mit den Barbies, das sei nichts für Jungs. Die Eltern schenkten ihr einen Ken. Nina schmiss ihn in die Ecke. »Der ist doof.« Sie weinte und schrie so lange, bis ihre Mutter aufgab und eine Barbie kaufte. Es ist nur so eine Phase, sagten sich die Eltern. Das geht vorbei. Sie mussten sich das immer häufiger sagen. Das erste Mal, als Nina drei Jahre alt war. Es war abends, kurz vor dem Schlafengehen. Nina stand nackt vor dem Spiegel im Badezimmer. Sie starrte auf ihren Penis. »Mama, ich will den nicht.« Ninas Mutter Beate setzte sich auf den Rand der Badewanne, hob ihr Kind auf den Schoß und erklärte, wie Mütter eben erklären: Das gehört zu dir, weil du ein Junge bist. Die Mama hat das nicht, weil sie ein Mädchen ist. Das ist ganz normal, verstehst du? Nina schüttelte den Kopf, weinte, wurde mit jedem Satz ihrer Mutter wütender. »Ich möchte ihn abschneiden!«, schrie sie. Noch heute läuft der Mutter ein Schauder über den Rücken, wenn sie an diesen Abend denkt. Sie drückte ihr Kind damals an sich, legte es ins Bett: »Alles wird gut, Kleiner.« Das wurde es nicht: Ein Jahr später schlugen die Jungs im Kindergarten auf Nina ein. Sie hatte ihre Barbie mitgebracht, um mit den Mädchen zu spielen. Es gab unzählige solcher Szenen, fast jeden Tag. Wenn sie einkaufen gingen, rannte Nina zu den Mädchenkleidern, zu Hause benutzte sie heimlich den Nagellack ihrer Mutter. Keiner konnte sie verstehen. Wie auch? Ihr Körper ließ keinen Zweifel. Die Kinderärzte wussten auch nicht weiter. Lassen Sie Ihren Sohn spielen, sagten die einen. Zeigen Sie ihm die Grenzen, rieten die anderen. Abwarten, sagten sie alle, das ändert sich bestimmt noch. Also doch nur eine Phase? Langsam zweifelte Ninas Mutter daran. Aber ihr Vater nicht. Er wollte es glauben. Sein Junge sollte ein Junge bleiben. Als er Nina einmal beim Sonntagsfrühstück vorschlug, einen Ausflug in den Zoo zu unternehmen, hüpfte sie vor Freude auf. Zehn Minuten später stand Nina startbereit im Esszimmer – zur Feier des Tages im Rock. »Zieh dich sofort um. So geh ich nicht mit dir raus«, fuhr der Vater sie an. »Jetzt lass ihn doch einfach«, sagte Beate. Es krachte immer öfter zwischen den Eltern. Als Nina fünf Jahre alt war, trennten sie sich. Beate zog mit den beiden Kindern aus, bekam das alleinige Sorgerecht. Nina konnte jetzt im Kindergarten anziehen, was sie wollte, obwohl es Beate doch Angst machte. »Was werden die Leute sagen?« Sie hörte das Getuschel: Nachbarn, die einander zuflüsterten, die Mutter habe vielleicht die Trennung nicht verarbeitet, das arme Kind. Hier kannst du lesen, wie es mit Nina weiterging.

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