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Leistungskurs Sport

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Die Holzbank Auf der Holzbank der Turnhalle sitzt man zumeist voller Unruhe: vor Erschöpfung, wenn es einem beim Hallenfußball schon nach den ersten Minuten in den Lungen brennt, oder vor Nervosität, wenn es im Sportunterricht ans Wählen der Mannschaften geht und jeder darauf hofft, nicht als Letzter sitzen bleiben zu müssen. Eigentlich könnte man auf dieser »Turn- und Gymnastikbank«, wie sie offiziell heißt, auch ganz praktische Dinge tun, balancieren etwa oder Liegestütze machen. Doch in der Erinnerung bleibt sie bei vielen als ein Ort der Scham. Wie es die Hamburger Band Tocotronic in einem Song formuliert: »Ich saß zu lange schon als Letzter auf der Bank / Eventuell weil ich eure Regeln nie verstand.« Kathrin Steinbichler

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Kasten Sprungkästen waren schon da, als man in die Schule kam, und sie stehen noch heute in den Gerätekammern. Möbel von klassischer Schlichtheit, bestehend aus rechteckigen, massiven Holzteilen, obendrauf ein mit Rindsleder überzogenes Polster. Die alten Sprungkästen umgibt eine fast ehrwürdige Patina, mit ihrem im Lauf der Jahre nachgedunkelten, verschrammten Holz und dem speckigen, abgewetzten Leder. Auf dem haben Generationen von Schülern ihre Fingerabdrücke und ihre Schweißtropfen hinterlassen – aber kaum einem Kind war bewusst, dass dieses Gerät zu mehr taugt als nur dazu, darüber zu springen. Es siebt auch die Charaktere. Je nachdem, wie sich einer dabei anstellt, lässt sich ableiten, wie er im späteren Leben mit Schwierigkeiten umgeht, die ihm im Weg stehen. Die einen hüpfen mühelos drüber und kommen elegant in den Stand, die anderen quälen sich strauchelnd und müssen sich erst wieder aufrappeln; wieder andere scheitern unter Schmerzen, haben es aber wenigstens versucht. Und natürlich gibt es immer diejenigen, die den bequemen Weg wählen und jedem Hindernis ausweichen. Was nicht ausschließt, dass die es später mal weit bringen. Aber gemocht hat man die nie. Joachim Mölter Der Boden Aus der Höhe betrachtet, wirkt der Boden einer Dreifachturnhalle wie ein abstraktes Kunstwerk, reich an Farben wie ein Pollock, strukturiert wie ein Mondrian. All diese Linien: die meisten gerade, einige gekrümmt, manche regelmäßig unterbrochen. Obwohl: Kunstwerk? Eher noch wirkt der Boden wie die übereinandergelegten Bus-, Tram-, U- und S-Bahn-Pläne einer ziemlich großen, ziemlich verrückten Stadt. Viele dieser Linien sind ohne Zweifel auf den Boden gemalt worden, ohne dass es dafür einen Grund gegeben hätte, außer vielleicht den, dass die Linienmaler bekifft waren. Andere Linien haben eine Funktion: Sie bilden die Umgrenzungen von Fußball-, Basketball-, Handball- oder Volleyballfeldern, dazu gibt es Wurfkreise, Neunmeterkreise, Siebenmeterpunkte, Freiwurflinien sowie hier und da glockenförmige Zonen. Bei genauem Studium drängt sich der Eindruck auf, dass auch Felder für Spiele aufgemalt sind, von denen noch nie ein Mensch etwas gehört hat. Zudem scheinen einige Linien in Wahrheit mathematische Funktionen darzustellen, was den sportlich un-, naturwissenschaftlich aber hochbegabten Schülern während mancher rasanter Fußballspiele einen angenehmen Zeitvertreib bietet. Mitschüler Kribbeler, der weder sportlich noch naturwissenschaftlich begabt war, behauptete übrigens, dass die Linien auf dem Hallenboden, wie die auf einer Hand, die Zukunft verrieten. Christian Zaschke Die Sprossenwand Dass die Sprossenwand ein Imageproblem hat, ist nicht neu. Wenn Politiker betonen wollen, wie dick heutzutage Kinder seien, müssen sie nur sagen: »Die Kinder kommen nicht mal bis zur vierten Sprosse!« In einem schicken Hotel im Zentrum Stuttgarts gibt es ein kostspieliges Zimmer, aus der Kategorie »Executive«, das bei den Gästen sehr unbeliebt ist. Es verfügt über eine Fitnessecke, in der man sich mit einer Sprossenwand fit halten kann. »Manche Gäste fühlen sich bei dem Anblick unter Druck gesetzt«, sagt eine Sprecherin des Hotels. Als müssten sie in einer Turnhalle übernachten, die sie an unglückliche Schulstunden erinnert. Doch womöglich ist die Sprossenwand seit Jahrzehnten einfach in den falschen Lebensbereich integriert. Als Designelement in Wohnhäusern wäre sie viel geeigneter. 1927 etwa ließ der Architekt Richard Döcker für eine Mustersiedlung des Deutschen Werkbundes Sprossenwände in die Räume einbauen: ein visionärer Entwurf, leider ohne Folgen. Hätte Döckers Idee damals mehr Nachahmer gefunden, müsste das schicke Hotel in Stuttgart heute keine Klagen über das Fitnesszimmer entgegennehmen. Gerald Kleffmann Die Ringe Was noch heute in den Ohren klingt, ist das Rasseln der Ketten. Wenn Turnlehrer Scholz die Ringe von der Decke herabließ, dann klimperte und schepperte es an der Wand, wo das Kettenende der beiden Seile verhakt wurde. Während die Ringe herunterkamen, blickten wir hinauf und träumten davon, Grenzen zu überwinden. Wir dachten an die Turner aus dem Fernsehen, die sich im freien Raum bewegten. In der Luft machten sie Handstände, spreizten die Arme und schwebten als Kreuz, sie wurden zum Brett und lagen zwei Meter über dem Boden auf dem Bauch. Ringeturnen hatte etwas von Schwerelosigkeit und Freiheit. Dann hängte man uns oben ein, wir sollten einfach mal irgendwas probieren. Wir hingen, aber es ging nichts. Die Biegung der Ringe drückte die Knöchel der Finger zusammen, und schnell brachen wir den Versuch ab. Was wollte Herr Scholz eigentlich von uns? Die Ringe waren von allen Turngeräten das unsinnigste, sie waren verlockend, gefährlich und unbezwingbar. Aber vielleicht wollte er auch etwas anderes – uns zeigen, wie hoch die Trauben hängen und wie schwer man arbeiten muss. Ringe sind für die allermeisten nicht zum Turnen da, sondern eher zum Fantasieren; man konnte sich hineinversetzen in die Kräfte da oben und später in die anderer Sportarten und zum Beispiel irgendwann darüber schreiben. Und man hört noch das Rasseln. Volker Kreisl

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