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Heile, heile Segen?

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Von Christian Nürnberger Vor rund einem Jahrzehnt schrieb der Medientheoretiker Norbert Bolz: »Das Heilsversprechen der Religion, die Utopie der Politik, das Bildungsideal des Humanismus … In diesen Traditionen stecken keine Modelle für eine postmoderne Lebensführung.« Lässig und mit der Attitüde, dass er ja nichts aufregend Neues mitteilt, schob Bolz die Kirchen, Parteien und Gewerkschaften und mit ihnen auch ihr humanistisches Wertesystem ins Museum für ausgemusterte Ideen und Institutionen. Durch den Zerfall dieser Institutionen seien die Werte obdachlos geworden, sagte Bolz mit ruhiger Gleichgültigkeit – die schon damals viele teilten, und heute sind es noch mehr.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aber ist den Gleichgültigen auch klar, was es bedeutet, wenn unsere Werte für museumsreif erklärt werden? Arbeit ist dann nicht mehr etwas, was seine eigene Würde hat, sondern eine auf dem Markt frei handelbare Ware, deren Preis beliebig gedrückt werden darf. Der arbeitsfreie Sonntag ist keine soziale und kulturelle Errungenschaft mehr, sondern ein verlorener Arbeitstag, ein Wettbewerbshindernis. Medien sind nicht mehr dazu da, um mündigen Bürgern Aufklärung, Information und Bildung zu vermitteln, sondern um Werbebotschaften möglichst kostengünstig und zielgruppengenau an Konsumenten zu bringen. Wir sind nicht mehr demokratische Staatsbürger, sondern Produzenten und Konsumenten. Wir bewohnen nicht mehr unsere Heimat, sondern hausen an Industriestandorten. Bürger sind wir allenfalls noch in dem Sinn, dass wir für die Schulden der Kasinokapitalisten und abgewirtschafteter Regierungen bürgen. Schulen sollen dann nicht mehr bilden und erziehen, sondern Kindern und Jugendlichen jene marktgängigen Fähigkeiten antrainieren, die sie brauchen, um als Soldaten im Krieg um Marktanteile verheizt werden zu können. Universitäten sind nicht mehr Stätten der Bildung, sondern Infrastruktureinrichtungen, die marktnahen Technologietransfer und »Humankapital« – oder sagen wir ruhig: Menschenmaterial – für die Schlacht auf den Weltmärkten liefern. Wissenschaftler fragen nicht mehr: Was ist wahr?, sondern: Was ist nützlich? Sie fragen nicht mehr: Was zu erforschen wäre wichtig?, sondern: Womit verschaffe ich mir Aufmerksamkeit, Drittmittel, neue Planstellen und viele Studenten? Soziologen reden noch immer vom Wertewandel. Tatsächlich haben wir es schon längst mit einer gewaltigen Wertezerstörung zu tun. Und nicht islamische Terroristen, sondern wir selbst zerstören jene westlichen Werte, die angeblich am Hindukusch verteidigt werden, mit unserer Art zu wirtschaften viel gründlicher und nachhaltiger, als die Islamisten es je vermögen. Peter Glotz verglich diese in den Neunzigerjahren beginnende Entwicklung mit einem »gottverdammten SA-Sturm«, »der alles in Scherben haut«. Wer könnte diesem Sturm Einhalt gebieten? Regierungen? Parteien? Gewerkschaften? Die Kirche? Ach. Und trotzdem: Die Kirche müsste es tun. Sie ist die älteste und einzige globale Organisation, die sich der Weltherrschaft des Geldes in den Weg stellen könnte – Global Prayers gegen Global Players, hoffte ich vor rund einem Jahrzehnt. Ich hielt die Kirche für aufgeklärt und geläutert. Gerade weil sie Macht und Einfluss verloren und über ihr Versagen in allen Jahrhunderten reflektiert hat, sei sie auf dem Wege, gütig, weise und für die Welt wichtig zu werden, dachte ich. Sie wäre doch genau die richtige Kraft für den Aufbau einer wirklichen Wertegemeinschaft. (Welche Rolle die Kirche in seiner Kindheit für Christian Nürnberger gespielt hat, und wie sie sein Vertrauen trotz Enttäuschungen bis heute nicht verloren hat, kannst du hier lesen.)

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