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Gegen den Strom

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Mitternacht. Ich drehe die Sicherung heraus, meine Wohnung liegt im Dunkeln. Während der Kühlschrank röchelt und dann verstummt, schalte ich die Sicherungen für Boiler, Herd und Spülmaschine aus. Eine Woche lang, von Montag bis Sonntag, will ich versuchen, ohne Strom und fossile Brennstoffe zu leben. Das bedeutet: Kein elektrisches Licht. Kein Computer, Fernseher, Telefon. Kein warmes Wasser. Keine Benutzung von Auto, Bus oder U-Bahn. Keine Einkäufe in hell erleuchteten Läden, möglichst keine energieaufwändig hergestellten und nach München transportierten Lebensmittel essen. Trotzdem will ich versuchen, so normal wie möglich zu leben: Ich werde im Büro arbeiten und am Wochenende in die Berge fahren. Vielleicht werden manche sagen, es wäre spannender, dieses Experiment im Winter zu starten, wenn es richtig kalt ist. Und nicht nur eine Woche, sondern einen Monat lang. Vielleicht. Aber ich bitte um Verständnis, dass ich weder erfrieren noch verhungern möchte. Die kalte Dusche am Montagmorgen ist auch so schon ungemütlich genug. Ich darf duschen, weil das Münchner Wasser aus den Alpen und deshalb mit natürlichem Druck aus der Leitung kommt, ganz ohne Pumpstrom. In Berlin müsste ich mein Wasser am Brunnen holen oder aus der Spree, wie zu Zeiten des Alten Fritz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dann der nächste Schreck: Kaffee darf ich ja auch keinen kochen! Müde schwinge ich mich aufs Fahrrad und radle zehn Kilometer ins Büro, im Kopf das Bild einer dampfenden Tasse Kaffee. Am Arbeitsplatz geht meine Hand reflexartig zum Anschaltknopf des Computers. Gerade noch rechtzeitig merke ich es. Ich schalte den Anrufbeantworter am Telefon ein. Nun könnte eine ruhige, konzentrierte Stimmung im Büro Einzug halten, wären da nicht die Kollegen, die mich bestaunen wie ein Tier im Zoo. »Warum machst du das noch mal?«, fragt G. und wedelt mit seinem Kaffeebecher. Ja, warum eigentlich? Dieses Experiment ist in die Zukunft gerichtet: Zwar wird wohl auch in zwanzig Jahren noch Strom aus der Steckdose kommen, doch dürften sich unsere Nutzungsgewohnheiten aufgrund steigender Preise und höherer Anforderungen an den Klimaschutz radikal ändern; einfach den Stecker rein und Strom verbrauchen, bis der Zähler glüht, das wird es dann nur noch für Reiche geben. Ob wir unsere Energie in Zukunft mit Kohle, Windrädern oder der verdammten Kernspaltung erzeugen, hängt dabei von politischen Entscheidungen ab, die jetzt getroffen werden; sicher aber ist, dass derjenige eine mögliche Energiekrise am besten meistert, der am wenigsten Strom verbraucht. Gleichzeitig leben schon heute nicht nur Journalisten oder zivilisationsmüde Waldmenschen ohne Strom: Nach Recherchen des Bundes der Energieverbraucher wird pro Jahr 800 000 Haushalten – meist vorübergehend – der Saft abgedreht, wegen unbezahlter Rechnungen. Um mir etwas zu essen zu kaufen, gehe ich während der ersten Mittagspause meiner stromfreien Woche über den Viktualienmarkt und muss feststellen, dass selbst unbeleuchtete Stände zumindest eine elektrische Kasse haben. Und natürlich sind die Lebensmittel an den Marktständen nicht mitten in München geerntet, sondern mit Schiffen, Flugzeugen und Lastern herangekarrt worden. Die Ernährung, das wird mir klar, dürfte in dieser Woche mein größtes Problem sein. Ich kaufe ein Kilo Karotten, die muss ich wenigstens nicht kochen. (Weiterlesen auf sz-magazin.de: Am Dienstag muss ich einen Text schreiben und nehme meinen alten Füller mit ins Büro sowie ein Fässchen königsblaue Tinte.)

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