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Gefallener Bengel
Wenn Teenager von zu Hause ausziehen, bleibt im Kinderzimmer fast immer eine Fotocollage zurück: Bilder vom 18. Geburtstag, vom ersten Urlaub ohne die Eltern, von der ersten Liebe. Die Menschen lachen auf diesen Bildern, meistens hat einer eine Bierflasche in der Hand, fast immer scheint die Sonne, und wenn nicht, brennt ein Lagerfeuer. Es sind Erinnerungen an eine Zeit, von der man immer gedacht hat, dass sie nie aufhören würde. An Freunde, ohne die das Leben keinen Sinn zu haben schien. Meistens verstauben diese Collagen hinter einem Glasrahmen von Obi.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Für Kim Frank war diese Zeit noch viel heftiger, viel größer ausgefallen als für die meisten anderen in seinem Alter. Sie muss sich unglaublich gut angefühlt haben, als Popstar, damals Ende der Neunziger. So gut, dass er beschlossen hat, seine Jugend wieder aufleben zu lassen, mit allem, was sie ihm damals geschenkt hat. Deswegen begegnet er seit einem Jahr wieder jeden Tag seinem alten Leben, wenn er in den »home studios« in Hamburg-Eimsbüttel Richtung Aufnahmeraum Nummer 1 geht: in den Fotos einer Collage, die hinter einer verstaubten Glasfläche hängt. Mädchen mit Stupsnasen in Jeansjacken sind darauf zu sehen und ein paar Jungs mit Instrumenten. Dazwischen immer wieder grellweiße Flecken mit zwei roten Punkten in der Mitte: das Gesicht von Kim Frank, überbelichtet fotografiert, auf einem dünnen, langen Hals, eingerahmt von langem, hellbraunem Haar. Ein 16-jähriger Junge, der aussieht wie der Engel eines Krippenspiels im Kindergottesdienst.
In diesem Aufnahmestudio hat er mit seiner Band Echt zwischen 1998 bis 2002 sämtliche Hits eingespielt, Junimond, Weinst Du?, Du Trägst Keine Liebe In Dir, hier feilt der Sänger von damals seit Monaten an seinem Comeback, ohne die anderen, als Solokünstler, und als er einem dann gegenübersteht, nach all den Jahren, ertappt man sich dabei, dass man ganz plötzlich traurig wird: Er sieht gut aus, keine Frage. Ein bisschen wie ein französischer Austauschstudent: unfrisierte Haare, knielanger Mantel, aufgenähte Ellbogenschoner am Sakko. Ein hübscher junger Mann. Aber wo ist das mädchenhaft schöne Antlitz geblieben? Wo die weichen Züge? Er muss sie sich aus dem Gesicht gelebt haben. Die Wangen sind voller, die Stimme tiefer geworden.
Und dann klingt er auch noch wie der Vorstand eines Wirtschaftsunternehmens: »Natürlich glaube ich, dass 80 Millionen Menschen diese Musik hören wollen. Natürlich glaube ich, dass meine Musik die beste in Deutschland ist.« Da könnte man das Wort »Musik« auch durch »Auto« ersetzen. Oder durch »Kühlschrank«. Schade irgendwie – Kim Frank ist wohl erwachsen geworden. Jetzt will er zurückkommen. Nach vier Jahren in der Versenkung, in denen er eine Rolle im Kinofilm NVA spielte, ansonsten aber »luxuriös gelitten« habe. Zurück in die Charts, ins Musikfernsehen, in die Konzertsäle, in die Herzen der Menschen. Kim Frank hat eine Vision: Er will noch mal Popstar werden. Zum zweiten Mal in seinem Leben. Mit 24. Dieser Idee ordnet er seit einem Jahr sein komplettes Leben unter. Manchmal, sagt er, komme er sich vor wie der Held eines Sturm- und-Drang-Dramas oder der Werther, weil er so stark an seiner Selbstverwirklichung arbeite, dass alles auf der Strecke bleibe, vor allem er selbst. Und wieder ertappt man sich bei etwas: diesmal beim Aufatmen. Diese Freude am Leiden. Diese Identifika-tion mit tragischen Helden. Fast wie früher. Also doch noch nicht ganz erwachsen, der Junge, nur älter geworden. Gott sei Dank.
Auf jeden Fall erscheint Anfang März sein erstes Soloalbum, Hellblau heißt es und »soll verdammt noch mal durch die Decke gehen«. Das wird es auch müssen. Denn: Der Sänger hat kein Geld mehr. Das kleine Vermögen, das er mit 1,5 Millionen verkauften Platten verdient hat, ist weg. Verlebt, verzockt. Jahrelang hat er nach der Trennung von Echt wie ein Großgrundbesitzer im Ruhestand gelebt, auf einem Hof an der Ostsee, mit seiner Freundin, einer großen Kastanie und ein paar Schafen.
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