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Die Diktatur des Kaschmir: Völlig weichgespült

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Von: Kerstin Greiner 

Wir standen in der Lobby eines dieser typischen österreichischen Hotels aus Holz und Rauputz, in die man sich einbucht, wenn man seinen Winterurlaub in den Alpen verbringen will. Mit strahlendem Lächeln entschuldigte sich die Dame an der Rezeption »für eventuell auftretende Unannehmlichkeiten« – das Hotel werde gerade umgebaut. Zeitgemäßer solle es werden. Sie erklärte, dass leider erst das Erdgeschoss fertiggestellt sei, der Empfangs- und Frühstücksraum, die Bar, das Restaurant – die oberen Stockwerke seien noch »im alten Stil« gehalten.  

Was denn der alte Stil sei, fragten wir.

Nun, man wolle das Hotel wärmer und kuscheliger gestalten, sagte sie. In den Betten lägen schon vier Kissen statt zwei, und dort, wo zuvor ein Hallenbad war, sei heute ein Spa. »Wissen Sie«, sagte die fröhliche Rezeptionistin, »früher waren wir ein Sporthotel. Aber jetzt, jetzt werden wir ein Wohlfühlhotel!« So prägnant wie sie hatte es noch kaum jemand formuliert, was in unserer Zeit, in unserer Gesellschaft gerade vor sich geht. Wir blickten uns um. Dicke, weiße, stark duftende Kerzen warfen ihren Schein über weiche Teppiche und Kissen, denen oben jemand mit der Handkante einen Knick hineingeschlagen hatte. Überall sah man Gestecke aus Zapfen, goldene Herzen, aus Stroh geformte Rehe – all das sollte mit großer Vehemenz daran erinnern, dass es im heimeligen Tirol irre gemütlich ist, hier herrschte Tirolismus in seiner heftigsten Form. Wir waren in einer Wohlfühlhölle gelandet.

Nun muss man natürlich nicht extra bis nach Tirol fahren, um sich dort von einer netten Rezeptionistin erklären zu lassen, dass wir heute in der Diktatur des Gemütlichen und Kuscheligen leben. Man muss sich nur umschauen: Wie nie zuvor dominiert das Streben nach Wohlfühlen unsere Zeit. Wobei wir uns heute ganz anders wohlfühlen als früher. Es geht nicht mehr um Sport oder Kultur, um ein kühles Bier mit Freunden – um Dinge also, die ganz beiläufig Zufriedenheit hervorrufen können. Nein, heute geht es um die reine Essenz des Wohlfühlens: um Regeneration, Entspannung, gemütliches Genießen, aufpoliertes Nichtstun.

Nicht nur die Gestaltung von Hotels und Gaststätten erfährt eine Neuinterpretation in diesem Sinne (was auf ästhetischer Ebene bisweilen zu tragischen Stilausreizungen führt). In unserem täglichen Leben haben wir es mit einer Fülle von Orten, Stoffen, Produkten zu tun, die einen hysterisch aufzufordern scheinen, sich auf der Stelle wohlzufühlen.

 

Geschäfte, die sich »Die Wohlfühler« nennen, verkaufen einen Mix aus Massagen, Yoga, Kosmetikanwendungen und Maniküre. Magazine mit dem Namen »Wohl fühlen« (zum Beispiel von dieser Zeitung) präsentieren Angebote, deren Konzept irgendwo zwischen Wellness, Bio und Öko angesiedelt ist. Die Wohlfühlindustrie stellt Produkte wie ausgleichendes Mineralwasser mit Ginseng her, grünen Wohlfühltee oder fermentierte Erfrischungsgetränke, die unsere Laune heben sollen. Fast alle großen Modemarken haben in ihr Programm inzwischen weiche Pantoffeln, Wärmflaschen mit Nerzbesatz, Kuschelplaids oder Hauswäsche aufgenommen. Wie viele Politiker in Deutschland und Österreich behaupten, dass ihr Bundesland ein »Wohlfühlland« sei, ist kaum noch zu überblicken (z.B. Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bayern, Kärnten, Steiermark). Kaum jemand, der nicht mit einem schick um den Hals geschmeichelten Wohlfühlschal aus dem Haus geht, egal ob es Sommer oder Winter ist oder ob man als Architekt oder als Fußballtrainer arbeitet. Die Verkaufszahlen von Kaminen und Öfen haben sich in den vergangenen sechs Jahren verfünffacht – nicht nur wegen steigender Energiekosten, sondern aus »Lifestylegründen«, wie man beim Industrieverband Haus-, Heiz-, Kühltechnik erfahren kann. Und auch die Karrieren von edlen Schokolade- und Kaffeeprodukten sind Sinnbilder dieser Entwicklung. Unsere Wohlstandsgesellschaft wird gerade zur Wohlfühlgesellschaft.

 

Den zweiten Teil der Geschichte über die Kaschmisierung des Alltags findest du auf sz-magazin.de.

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