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Die deutsche Rapperin Li$i ist eine erhebliche Nummer
Foto: Ingo Robin
In der Kulturgeschichte des Schimpfens gehören einige der spannendsten Kapitel dem Hip-Hop. Rapper veredelten die im Alltag nicht gerade vorbildliche Gewohnheit, sich gegenseitig mit drastischen Schmähungen zu überziehen, zu Kunst, und an der Auswahl der Schimpfwörter, deren Häufigkeit und Darreichungsform – gebrüllt, gespöttelt oder herausgespuckt – kann man einiges über die künstlerische Positionierung und die Weltsicht eines Rappers oder einer Rapperin erfahren. So gesehen scheint die Berlinerin Lisi von Gegnern und falschen Freunden umzingelt zu sein, denn in ihren Liedern wimmelt es nur so von »Bitches« und »Fotzen«, von »Huren«, »Strichern« und »Wichsern«. Ihr aktuelles Album Eine Wie Keine, eine der interessantesten Rap-CDs dieses Jahres, wirkt wie eine Generalabrechnung mit allem, was sie nervt. Und selbst wenn Lisi über Liebe redet, schleichen sich drastische Worte ein: »Ich tu alles für dich, scheiß auf alles für dich.«
Lisi, 24 Jahre alt, heißt eigentlich Regina Marlies Chukwuedo und ist als Tochter eines nigerianischen Einwanderers und einer Deutschen im Berliner Süden aufgewachsen, im Stadtteil Lankwitz. Sie ist eine der wenigen Frauen im deutschen Hip-Hop, die angesichts dessen zunehmend verschärfter Gangart nicht verunsichert oder überfordert wirken. Seit dem Erfolg von Macho-Typen wie Sido, Fler und Bushido – übrigens auch ein Süd-Berliner – dominiert der raue Getto-Slang der Trabantenstädte, ein Idiom, in dem Lisi sich zu Hause fühlt. »Ich war schon immer dafür, so zu rappen, wie man auch redet«, erklärt sie. »Wenn ich mich mit einem Freund unterhalte, würde ich ja auch nicht sagen: ›Ey, die Frau vorhin war ganz schön doof.‹ Sondern ich würde sagen: ›Die blöde Schlampe soll mal endlich die Fresse halten.‹«
Ihrem derben Rap-Stil entsprechend posiert Lisi im Booklet ihrer CD mit Knarren und dicken Autos. Privat ist sie dann natürlich doch keine Gangsterlilly, sondern eine zierliche Person, in der zwar viel Wut und Energie stecken, in der der Kampf aber keineswegs alles überlagert: »Ja klar, ich bin mit bösen Jungs unterwegs«, sagt sie. »Aber ich bin auch ein liebes Mädchen.«
Schon in der Grundschule ein Fan des Gangsta-Rappers Eazy-E, fing sie mit 14, 15 selbst an zu rappen. Als sie 17 war, im Jahr 2000, erschien ihre erste EP, bald darauf kam ihr Debüt-Album Wild heraus, inklusive des umstrittenen Tracks Vicky Vo, der ihren Ruf begründete. Es war die Zeit, als der Berliner Rapper Kool Savas mit seiner expliziten, genitalzentrierten Sprache schockte. Das kann ich auch, sagte Lisi, und nahm zusammen mit einer Freundin den Track Vicky Vo auf, mit der einprägsamen Refrainzeile »Ihr seid alles Fotzen«. Eigentlich als Witz gemeint, zog die Nummer viele Diskussionen und viel Aufmerksamkeit nach sich. Für einen Moment schien es, als würde Lisis Rap-Karriere gleich zu Beginn ordentlich Fahrt aufnehmen.
Doch dieser Moment war schnell wieder vorüber. Schlechte Plattenverkäufe führten zu Managementproblemen und bald stand bei Lisi, die eben noch hochzufliegen schien, wieder alles auf null. Sie war inzwischen zu Hause ausgezogen, hatte kein Geld und keinen Vertrag, dafür aber Probleme in der Schule. »Ich musste erst mal mein Leben ordnen«, sagt sie. »Und herausfinden, was ich überhaupt machen will.«
So reihte sich Lisi ein ins viel zitierte Prekariat. Sie machte ihr Fachabitur, bewarb sich vergeblich um Ausbildungsplätze, begann zu kellnern. Um sie herum ihre Freun-de, viele mit Migrationshintergrund, die auf ebenso mühsame – und oft vergebliche – Weise versuchten, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. »Deshalb singen hier in Berlin so viele oder tanzen oder rappen«, sagt Lisi. »Die sagen sich, auf dem normalen Arbeitsmarkt habe ich eigentlich keine Chance, da muss ich also gleich ein Star werden.« Die Kehrseite dieses Lebenstraums: »Dass du ’ne Woche lang nur Nudeln mit Ketchup zu essen hast, das ist nichts Besonderes in Berlin.« Lisi machte weiterhin Tracks mit verschiedenen Produzenten – und gewann in diesen harten Jahren die Kraft, die es ihr nun ermöglicht, noch mal anzugreifen.
Die Gelegenheit kam über den Stuttgarter Rapper Afrob, einen langjährigen Bekannten, der sie bei seinem Label unterbrachte. Fünf Jahre waren seit ihrem Debüt vergangen, und in dieser Zeit wurde der raue Stil mit derben Reimen, Schimpfwörtern und zungenbrecherischen Raps, den sie immer schon gepflegt hatte, im deutschen Hip-Hop zum Erfolgsmodell. Im Sommer erschien ihr Album, es wirkt, als müsse sie der Welt die Stirn bieten. Hier stehe ich, da drüben die anderen, wer die Grenze überschreitet und mir zu nahe tritt, bekommt meinen Zorn zu spüren: »Egal, was du Punk willst, interessiert mich nicht, geb ’nen Fick auf dich.« Auch fünfzig Jahre nach Elvis gibt es, das beweist Lisis Album, keine bessere Methode der Selbstermächtigung als Pop.
Wie geht es weiter? Ende September war Lisi mit LL Cool J auf Tour, der seit zwanzig Jahren im Geschäft ist – der langlebigste Rap-Star. »Ich dagegen denke immer noch an manchen Tagen, Scheiße, was machst du eigentlich hier?«
Außerdem im SZ-Magazin vom 3.11.:
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