- • Startseite
- • SZ-Magazin
-
•
Der ultimative Kick: Jackie Chan arbeitet für sein Leben gern
VON JOHANNES WAECHTER
Jackie Chan ballt die beiden Hände zu Fäusten und schlägt sich krachend auf die Brust. »Hier traf mich der Tisch, direkt auf den Knochen«, sagt er. Dann verzieht er das Gesicht, als läge der missglückte Stunt erst wenige Minuten zurück. »Das war sehr, sehr schmerzhaft.« Es geht um eine Szene aus Rush Hour 3, Chans neuer Actionkomödie. In einem Pariser Nachtclub muss sich der von Chan dargestellte Inspektor Lee gegen eine messerwerfende Chinesin verteidigen. Im Lauf des Kampfes kommt er auf einem Sessel zu sitzen, steckt die Füße unter den vor ihm stehenden Couchtisch und schleudert diesen mit einer ruckartigen Beinbewegung in die Luft, der Killerin an den Kopf. »Wir hatten die Szene zweimal gedreht, beides gute Takes«, erzählt Chan. »Aber ich habe gesagt, los, das können wir besser, wir machen’s noch mal, sodass der Tisch in der Luft einen doppelten Salto dreht.« Beim dritten Versuch landete das Möbelstück auf Chans Brustkorb und traf dabei auch sein Schlüsselbein – das er sich erst beim vorigen Film gebrochen hatte. Nun musste wieder der Arzt kommen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Szene mit dem Tisch ist nur ein winziges Detail in Jackie Chans Werk. Aber auch in diesen paar Sekunden Film steckt viel von dem, was sein Kino ausmacht, was den 53-jährigen Hongkong-Chinesen zum Dauerhelden des asiatischen Publikums und »populärsten Filmstar der Welt« (Time) werden ließ, zur »lebenden Legende« (Neue Zürcher Zeitung). Zuerst geht es darum, einen Tisch überhaupt mit den Beinen zielgenau werfen zu können – Chans Erfolg gründet sich auf Fitness und Körperbeherrschung, auf seine Meisterschaft in Akrobatik und Kampfkunst. Dann ist an jener Szene auch sein Wille ersichtlich, sich immer wieder selbst zu überbieten, einen doppelten Salto statt eines einfachen zu versuchen, im Kleinen wie im Großen bis an die Grenzen des physisch Machbaren zu gehen.
Und schließlich bezeugt der missglückte Tischwurf Chans Bereitschaft, mit dem eigenen Wohlergehen für die Unverwechselbarkeit seiner Filmkunst einzustehen: Viele Jahre lang lehnte Chan es ab, sich doubeln zu lassen, und so hat er sich bei Stunts und Leinwandkämpfen schon Dutzende Knochenbrüche geholt; nur knapp entging er der Querschnittslähmung oder dem Verlust des Augenlichts. Und als er 1985 bei den Dreharbeiten zu Der rechte Arm der Götter von einer Mauer auf einen Baum springen wollte und dabei mit dem Kopf voran zu Boden krachte, kostete ihn das fast das Leben. Seitdem hat er ein Loch im Kopf, das mit einem Plastikstöpsel verschlossen ist.
So ein Kino mag vielen anspruchslos erscheinen, und tatsächlich gibt es bei Jackie Chan auch nur selten nuanciert gezeichnete Charaktere, große Gefühle, schmollende Lippen in Großaufnahme oder gescheite Aussagen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Seine Actionfilme finden ihren Sinn in der Zurschaustellung von körperlichem Wagemut und greifen damit auf eine der ältesten Kinotraditionen zurück: Film als Spektakel, als Jahrmarktsattraktion, als Fenster in eine Welt voller tollkühner Taten und furchtloser Abenteurer.
Die Körperlichkeit seiner Filme erinnert dabei an die großen Komiker der Stummfilmzeit, deren Erfolg ebenfalls nicht auf Dialog oder Tiefsinn beruhte, sondern auf lustvoll zelebrierter Selbstbeschädigung. So wie einst Charlie Chaplin hat heute Jackie Chan eine Strahlkraft, die bis in den hintersten Winkel der Erde reicht, denn um seine Filme zu mögen, braucht man keinerlei kulturelle Vorbildung. »Ich glaube, dass man Körpersprache besser begreift als gesprochene Sprache«, erklärt er und macht zum Beweis einige universell verständliche Handbewegungen. »Deshalb sehen die Leute überall auf der Welt meine Actionfilme.«
Chan ist ein lebhafter Gesprächspartner, der viele seiner in kurzen englischen Sät-zen vorgetragenen Ansichten mit Gesten oder Gesichtsausdrücken unterstreicht. Beschreibt er Filmszenen, so würzt er seine Rede mit lautmalerischen Wortschöpfun-gen: »Ssst – ssst – ssst«, zischt er, wenn es um einen Schwertkampf geht, und mit »Kajumm« beschreibt er jenen Moment bei den Dreharbeiten zu Rush Hour 3, als auf seinen Befehl die große Festbeleuchtung des Eiffelturms angeschaltet wurde. Während er redet, sitzt er auf der Vorderkante des Sofas, ein Energiebündel, stets bereit, aufzuspringen und zur nächsten Aufgabe zu eilen. »Ich bin einfach so aktiv. Mein Kopf – ich habe ständig neue Ideen. Urlaub? Wie buchstabiert man das?«
Mehr als fünfzig Filme als Hauptdarsteller hat er seit Mitte der Siebziger gedreht, dabei oft Regie geführt und fast immer die Stunts und Kampfszenen choreografiert. Er hat eine eigene Filmfirma in Hongkong, eine Zeichentrickserie für Kinder namens Jackie Chan Adventures und im Augenblick auch eine von 200 000 Bewerbungen überschwemmte Castingshow im chinesischen Fernsehen, bei der nicht Sänger oder Models gesucht werden, sondern – Kung-Fu-Kämpfer.
Hier geht's zum zweiten Teil des Textes
Bild: dpa